„Du und ich, wir sind gleich“

11.12.2015, Lesezeit 5 Min.
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Internationale Solidarität ist ein altes Prinzip in der Linken und der Arbeiter*innenbewegung. In Zeiten des wachsenden Nationalismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus ist eine internationalistische Perspektive der Arbeiter*ìnnen unumgänglich. Impressionen aus Begegnungen unter klassenkämpferischen Arbeiter*innen.

Paris, Anfang Dezember: 150 Revolutionär*innen treffen sich zu einer Konferenz, um über die Notwendigkeit des Aufbaus einer internationalistischen und antiimperialistischen Bewegung zu sprechen, die sich gleichzeitig gegen imperialistische Krieg und gegen antidemokratische Politik im Innern wendet. Größtenteils junge Menschen, Schüler*innen, Studierende, auch prekär beschäftigte junge Arbeiter*innen.

Unter ihnen aber auch Veteran*innen des Klassenkampfes, Anführer*innen emblematischer Kämpfe der europäischen Arbeiter*innenbewegung der letzten Jahre, und solche, die es werden wollen. Sie sind gekommen, um mitzudiskutieren und Erfahrungen ihrer eigenen Kämpfe auszutauschen.

So berichtet Joe Molina, Arbeiter der Lebensmittelfabrik Panrico in der Nähe von Barcelona, von einem acht Monate andauernden Streik gegen die Schließung des Standorts. Seine wichtigste Schlussfolgerung: „Das war kein isolierter Kampf. Er fand statt als Teil einer Bewegung, die in ganz Europa aufsteigt, wie es auch der die Kämpfe von Amazon in Deutschland oder von Peugeot in Frankreich sind, und natürlich auch der Kampf in Griechenland.“
Als er auf Karsten, Arbeiter von Amazon in Deutschland, trifft, sagt er: „Du und ich, wir sind gleich.“ Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Situation ist eines klar: Die Prekarisierung, die unsicheren Arbeitsbedingungen, der konstante Krieg des Unternehmens gegen diejenigen, die sich nicht in die Misere fügen wollen — diese Erfahrungen haben sie beide gemacht. Und beide sind entschlossen, sie weiterzuführen: „Du und ich, wir sind gleich.“

Auch Karsten betont die Notwendigkeit einer Solidarität über Betriebe, Branchen und Nationalgrenzen hinweg, „damit man nicht nur den eigenen Kampf kämpft, sondern auch den der anderen.“. So erzählt er von den Anfängen einer Vernetzung mit Standorten von Amazon in Polen und Frankreich — direkt zwischen Kolleg*innen, unterhalb der Ebene der Gewerkschaftsbürokratie, die sich immer wieder gegen eine stärkere Koordinierung sperrt.

Kampf gegen Rassismus

Eine internationalistische Bewegung gegen Krieg, gegen Bonapartismus und gegen die Spaltung der Arbeiter*innenklasse durch rassistische und nationalistische Ressentiments muss auch proletarisch sein. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn die Arbeiter*innenklasse beherbergt einen weit verbreiteten Rassismus, Ausdruck des Erfolgs bürgerlicher Ideologien, des der „Sozialpartnerschaft“ inne wohnenenden Sozialchauvinismus und der Erfahrungen des sozialen Kriegs um die Reste des immer kleiner werdenden Kuchens.

Bei Amazon werden deutschlandweit im aktuellen Weihnachtsgeschäft immer mehr Geflüchtete eingestellt — doch selbst einige kämpferische Kolleg*innen, die bei Streiks in der ersten Reihe stehen, haben Angst vor „Überfremdung“ und sympathisieren mit Pegida und Co. Bei der Deutschen Post werden Geflüchtete als Praktikant*innen dort eingestellt, wo nach dem verloren gegangenen Streik reguläre Stellen gekürzt werden – Rassismus ist hier vorprogrammiert, wenn es keinen gemeinsamen Kampf für bessere Bedingungen gibt.

Umso wichtiger sind diejenigen Kämpfer*innen ihrer Klasse, die sich diesem Klima entgegenstellen und ihre Wut über ihre Bedingungen nicht gegen ihre Klassengeschwister, sondern gegen die Ausbeuter*innen wenden. Denn die Arbeiter*innen aller Länder besitzen, trotz all ihrer Unterschiedlichkeit, doch eine Gemeinsamkeit: Die kapitalistische Krise soll auf ihre Schultern abgewälzt werden.

Vincent Duse, Arbeiter in einer der größten Automobilfabriken Frankreichs, bei PSA Mulhouse, weiß das genau. Er berichtet davon, wie notwendig die Einheit mit den migrantischen Kolleg*innen ist — und wie er in den letzten Monaten besonders eine gemeinsame Front mit den kurdischen Arbeiter*innen aufbauen konnte. Der Kampf gegen Entlassungen und andere Einschnitte wäre nicht möglich, würden sie sich spalten lassen.

Davon berichtet auch Aimo, Berliner U-Bahnfahrer und Mitglied der Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv. Deswegen spricht sich seine Gruppe gegen Rassismus im Betrieb aus und wirbt für einen gemeinsamen gewerkschaftlichen Kampf von Kolleg*innen mit und ohne Papiere.

Für einen proletarischen Internationalismus

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stecken tief in den Köpfen auch vieler Arbeiter*innen. Doch die Erfahrungen eines gemeinsamen Kampfes, des Austausches über unabhängige Organisierung, die Perspektive des Kampfes über die eigene betriebliche Ebene hinaus, können das ändern.

Wie es Molina sagt: „Ich bin natürlich auch stolz, als Arbeiter Teil einer Klasse zu sein, die dafür kämpft, all das durch dieses kapitalistische System Verlorene wiederzuerlangen.“

Diese Erfahrung auszuweiten, ist eine große Herausforderung. Daniela Cobet, Anführerin der Revolutionär-Kommunistischen Strömung der NPA, schloss daraus: „Unser Kampf besteht auch darin, eine große Geschwisterlichkeit unter allen Arbeiter*innen der gesamten Welt aufzubauen. Dieser Kampf hängt von uns Revolutionär*innen und Internationalist*innen ab.“

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