Die Linke und der „heiße Herbst“: Jetzt müssen Taten folgen!

19.08.2022, Lesezeit 7 Min.
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2018/19 kam es in Frankreich zur Gelbwestenbewegung. Steht auch Deutschland ein heißer Herbst bevor? Foto: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

Erste Politiker:innen der Partei DIE LINKE wollen endlich gegen die steigenden Preise auf die Straße gehen. Auch aus der breiteren Linken gibt es erste Protestansätze. Doch der rechte Parteiflügel um Bodo Ramelow bremst und die Rechten schlafen nicht.

Erwartet uns ein „heißer Herbst“ der sozialen Proteste gegen die Preissteigerungen? Können wir sogar auf eine Bewegung im Stile der französischen Gelbwesten hoffen? Bürgerliche Politiker:innen jedenfalls warnen bereits fleißig vor Ausschreitungen. Annalena Baerbock warnte sogar vor „Volksaufständen“.

Nur allmählich beginnt sich jedoch die Linke auf ein solches Szenario vorzubereiten. Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann hatte vor wenigen Tagen als einer der ersten aus den Reihen der Partei DIE LINKE betont, dass es linke Proteste gegen die Inflation braucht. Die Gasumlage sei „der schärfste soziale Einschnitt für die Bürger seit den Hartzreformen der 2000er-Jahre“. Damals hatte es montägliche Demonstrationen gegen Hartz IV gegeben – und die will Pellmann nun wieder aufleben lassen.

Auch die Parteispitze gibt sich inzwischen kämpferisch. Der Co-Parteivorsitzende Martin Schirdewan sagte am Montag: „Ich hatte Ihnen ja einen heißen Herbst der sozialen Proteste gegen die soziale Kälte der Bundesregierung angekündigt.“ Seine Partei werde diesen Protest mit unterstützen und auch mitorganisieren. Auch der Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, meinte, man brauche einen „heißen Herbst der Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung“.

Auf ihrer Internetseite kündigt die Partei an: „Am 17.9. wird’s richtig heiß. Wir wollen in möglichst vielen Kreisverbänden Aktionen gegen die Teuerungen durchführen.“

Doch andere in der Partei bremsen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte seine Partei davor, bei solchen Protesten rechten Kräften zu nahe zu kommen – noch bevor es wirklich zu solchen Protesten gekommen ist. Seinen Appell verstärkten nicht nur andere Parteifunktionär:innen. Auch aus den bürgerlichen Medien bekommt Ramelow dafür Applaus. Im Spiegel hob Chef vom Dienst Philipp Wittrock den Zeigefinger: Wenn die Linke Ängste schüre, „dann tut sie dem Verursacher der ganzen Misere einen Gefallen: Wladimir Putin.“ Aber: „Gut, dass es in der Linken noch Stimmen der Vernunft wie die von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow gibt“.

Klar ist jedoch: Aus dem bequemen Ministerpräsidentensessel in der Erfurter Staatskanzlei heraus werden sich die Preissteigerungen sicher nicht bekämpfen lassen.

Sind uns die Rechten einen Schritt voraus?

Es ist freilich nicht von der Hand zu weisen, dass auch rechte Kräfte den Unmut wegen der Preissteigerungen für ihre Zwecke umleiten. Ganze 72 Prozent der AfD-Wähler:innen würden einer kürzlichen Erhebung zufolge „sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit an Demonstrationen gegen die hohen Energiepreise teilnehmen“. Zum Vergleich: Nur 60 Prozent der Wähler:innen der Partei DIE LINKE stimmten dieser Aussage zu.

Die extrem rechte Kleinstpartei „Freie Sachsen“ ruft bereits zu einer „Welle der Energieproteste“ auf. Sie hängt mit der NPD zusammen und ist aus den Protesten gegen die Maßnahmen  zur Pandemiebekämpfung hervorgegangen. Gerade diese Proteste könnten den Rechten einen Startvorteil verschaffen, wenn es darum geht, Einfluss auf Proteste gegen die Inflation zu nehmen. Ihre Basis ist über die Pandemie hinweg breiter geworden, nun bietet sich ein neuer Protestanlass.

Die Antwort kann jedoch nicht sein, auf „Abstandsregeln“ zu pochen, wie Ramelow es getan hat – und damit nebenbei das Narrativ der Regierung legitimiert, dass jeder Protest gegen ihre Politik nur von rechts kommen könne. Den Einfluss der Rechten können Linke nur bekämpfen, wenn sie selbst zu den sichtbarsten Vorkämpfer:innen gegen die Inflation werden und sie mit einer linken Kritik der arbeiter:innenfeindlichen Regierungspolitik anführen.

Es gilt aus den Diskussionen um die Gelbwesten-Bewegung zu lernen. Damals schrieben viele deutsche Linke die Bewegung von vornherein als rechts ab – eine dramatische Fehleinschätzung. Denn natürlich beteiligten sich auch rechte Kräfte an den Massenprotesten. Doch es gab Teile der Linken, die hart darum gekämpft haben, dass die Rechten keine Hegemonie über sie erlangen.

Was macht die außerparlamentarische Linke?

Für die analyse & kritik hat Fabian Lehmann zusammengetragen, was in den breiteren gesellschaftlichen Linken an Protest geplant wird. Sein Fazit: „Die bisher bekannten Planungen für linke Protestangebote stecken jedoch noch in den Anfängen oder sind organisatorisch wie regional fragmentiert.“

Das Berliner Bündnis „Wer hat, der gibt“ hat am Mittwochabend zu Protesten vor der FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte aufgerufen. Einige Dutzend Protestierende versammelten sich dort unter dem Motto „Lindner raus. Umverteilung jetzt“. In Bremen hat ein ähnliches Bündnis bereits im Juli erste solche Kundgebungen organisiert. Mit rund 120 Teilnehmer:innen blieb die Resonanz damals noch eher verhalten.

Solche Kundgebungen sind wichtige erste Schritte. Doch sie stehen vor der großen Herausforderung, nicht zu rein innerlinken Veranstaltungen zu werden.

In diese Richtung droht jedoch zumindest ein Teil der Ankündigungen bereits jetzt abzugleiten. Gegenüber ak fragte sich die Sprecherin des bundesweiten postautonomen Zusammenschlusses „Ums Ganze“, Liv Roth: „Wenn im Winter die Leute frieren müssen, weil sie sich die Rechnung nicht mehr leisten können, aber die Autoindustrie munter weiter ihren Scheiß produzieren kann – wieso dann nicht mal deren Werke blockieren?“ Blockaden als Aktionsform in allen Ehren. Doch damit kündigt „Ums Ganze“ letztlich nur an, die bisherige Politik routiniert fortzusetzen. Erst vor wenigen Tagen fanden in Hamburg im klimaaktivistischen „System Change Camp“ Blockaden des Hafens statt, bei denen neben der Interventionistischen Linken und Ende Gelände auch „Ums Ganze“ eine zentrale Rolle spielte.

Kontakt zu den Beschäftigten am Hafen, die sich selbst gerade in einer Lohnauseinandersetzung befinden und zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder groß gestreikt hatten, fand jedoch keiner statt. Diesen Fehler gilt es nicht noch einmal zu machen. Linke Aktionen gegen die Inflation dürfen sich nicht als Stellvertreterkämpfe verstehen, sondern müssen an den bestehenden Kämpfen anknüpfen. Die kommenden Tarifrunden bieten hierfür eine wichtige Gelegenheit.

Gewerkschaftliche Kämpfe werden jedoch nicht von selbst der Inflation den Kampf ansagen. Denn: Auch die Bürokratie in den Gewerkschaften bremst. In der für die deutsche Wirtschaft ebenso wie für die deutsche Arbeiter:innenklasse so wichtigen Tarifrunde in der Metall- und Elektrobranche fordert die IG Metall nur acht Prozent mehr Lohn. Der Abschluss wird also mit großer Wahrscheinlichkeit unter der Inflationsrate liegen. Noch gibt es keine Ansätze, die kommenden Tarifrunden zu großen Kämpfen der gesamten Klasse gegen die Inflation zu machen. Dabei fordert etwa die IG Metall durchaus „Übergewinnsteuer, Gaspreisdeckel, niedrigere Strompreise und Entlastungen für alle“.

Sowohl für die Partei DIE LINKE als auch für die Gewerkschaften gilt jetzt: Auf die Worte müssen Taten folgen. Die nächste Gelegenheit bietet sich schon in wenigen Tagen: Am kommenden Montag demonstrieren die Hafenarbeiter:innen zur zehnten Verhandlungsrunde in ihrem Tarifkampf in Bremen. Wenn sie Erfolg haben, wäre das ein wichtiges Signal für die gesamte Arbeiter:innenbewegung, dass es möglich ist, sich mit den Mitteln unserer Klasse gegen die Inflation zu stemmen.

Setzen wir uns als Linke und als Gewerkschafter:innen gegen die bremsende Rolle der Gewerkschaftsbürokratie ein und kämpfen dafür, dass die Arbeiter:innenklasse mit ihren Streiks zur Vorkämpferin der gesamten Gesellschaft gegen die Preissteigerungen wird.

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