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„Die Gewerkschaften dürfen auf keinen Fall Kriegspartei werden“

31.05.2023, Lesezeit 10 Min.
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Quelle: Wikimedia Commons

Interview mit dem Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe anlässlich der 5. Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung, die vor Kurzem in Bochum stattfand.

Freddy: Frank, du hast bei der Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung einen Vortrag zum Thema „Die Waffen nieder! Gewerkschaften in Kriegszeiten gestern und heute“ gehalten. Dort hast du eine Position geäußert, die sowohl den russischen Angriffskrieg als auch die Einmischung der NATO und die Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnt. Kannst du für uns noch einmal zusammenfassen, wie der Krieg stattdessen beendet werden kann?

Frank Deppe: Das ist natürlich eine schwierige Frage. Wir können aus der Friedensbewegung und aus der Tradition der Arbeiterbewegung heraus, oder was wir aus der Geschichte der Arbeiterbewegung wissen, klassenmäßig an die Beantwortung bestimmter Fragen heranzugehen. Erstmal nur sagen: „Der Krieg muss beendet werden, die Waffen nieder!“. Das muss die Hauptlosung sein und das müssen wir auch vertreten in unseren Diskussionen, in unseren Gewerkschaften.

Was wir als Lösung und Weg vertreten, das verlangt von uns natürlich, genaue Analysen der Situation zu machen. So wie in jedem Krieg gehen verschiedene Logiken immer ineinander über. Also das ist so: Der Ukraine-Krieg steht einerseits im Zentrum der großen weltpolitischen Veränderungen und ist da zweifellos schon eine militärische Zuspitzung der neuen Geopolitik, in der Großmächte gewissermaßen auch bereit sind, ihre Einflusssphären gegeneinander militärisch zu verteidigen. Dazu gehört natürlich die Ausweitung der NATO vom Westen aus, zu der Putin schon seit 2007 ganz klar gesagt hat: „Wenn das weitergeht, werden wir darauf reagieren“.

Und es ist auf der anderen Seite der Anspruch Putins, dass Russland auch wieder als Großmacht akzeptiert wird. Und für eine solche Großmacht gilt es als selbstverständlich, dass an ihren Grenzen keine aggressiven Gegenpositionen aufgebaut werden. Wenn zum Beispiel Kanada oder Mexiko ein Militärbündnis mit China und Kuba eingehen würden, wären die USA wahrscheinlich hoch beunruhigt. Und so wie man sie kennt, würden sie sofort auch militärisch auf solche Dinge reagieren.

Aber das ist die Schwierigkeit: Der Krieg steht im Kontext der großen weltpolitischen Veränderungen. Da haben wir die Frage: Was ist die neue Geopolitik, wie kommen wir mit der Imperialismus-Theorie an sie heran? Ist das jetzt die Beherrschung des Weltmarktes, die Beherrschung der Technologien, die zwischen einem Block im Westen, der von der USA geführt wird, sich aber im Niedergang befindet, und einen um China sich aufbauenden Block in der Weltpolitik, der von großen Staaten des Südens mitgetragen wird, die sich jetzt von der Vorherrschaft des Westens und der USA befreien wollen? Das ist eine Dimension dabei.

Jetzt inzwischen regiert Lula in Brasilien, aber der Herr Bolsonaro war auch vorher bei Xi Jinping in Peking und hat sich mit Putin eher freundlich die Hand geschüttelt, weil sie in den BRICS-Staaten ja diese Verbindung haben mit Südafrika, Indiens Premier Modi war da auch dabei. Da ist die Frage, was ist progressiv, was ist nicht progressiv? Das ist die eine Dimension, die andere Dimension ist das Verhältnis Russland-Ukraine. Das ist natürlich nochmal eine ganz eigene Dimension, die natürlich mit der Geschichte der Sowjetunion zu tun hat und jetzt mit der Entwicklung der letzten 15 Jahre, dem Maidan 2014 und so weiter. Es ist oft sehr schwierig, die verschiedenen ineinandergreifenden Dimensionen in einem solchen Krieg richtig auseinanderzuhalten.

Es gibt die Linken hierzulande, die eine große Sympathie für Russland haben. Es gibt eine kommunistische Linke in Deutschland, für die waren die Sowjetunion und Russland sozusagen der große positive Bezugspunkt. Das ist ein sehr kompliziertes Problem, ich kenne es auch aus Gesprächen mit Russen oder Russinnen, die totale Anhänger von Putin sind und die dir im sehr langen Dialog – ich kenne auch Literatur dazu – sagen können, Putin konnte gar nicht anders, weil sich alles defensiv reagiert hat. Und selbst wenn ich sagen würde, ich kann von diesen Analysen viel nachvollziehen, würde ich persönlich, aber auch von meiner politischen Position her sagen, trotzdem halte ich die Kriegsentscheidung für falsch. Und selbst – aber das wäre wiederum eine eigene Diskussion – wenn man sagt, wie die NATO sich plötzlich wieder berappelt hat, wie Schweden und Finnland der NATO beitreten, könnte man manchmal als Linker bei uns sagen, vielen Dank, Wladimir, dass du uns diese ganze Scheiße beschert. Aber das ist eine große Schwierigkeit, diesen Krieg genau einzuordnen, denn wir können nicht nur aus der Geschichte ziehen, das habe ich versucht in meinem Vortrag aufzuzeigen: Das sind immer ganz spezifische Konstellationen, wie auch im Ersten und Zweitem Weltkrieg und so weiter.

Wir müssen die Spezifik dieser gegenwärtigen, globalen Konstellationen – USA im Niedergang, Aufstieg Chinas, neue Mächte – verstehen. Wie schätzen wir das ein, was sind die progressiven Kräfte, was ist die Spitze der Reaktion? Für mich ist die Spitze der Reaktion nach wie vor die USA. Sie sind nach wie vor die mächtigste kapitalistische, imperialistische Nation, die skrupellos Kriege geführt haben und auch immer wieder dazu bereit wären. Aber wenn man das im Ukraine-Krieg diskutiert, wird einem ganz schnell Anti-Amerikanismus vorgeworfen. Da müsste man darüber diskutieren, den Stiefel würde ich mir auch nicht anziehen. Wir brauchen eine ganz nüchterne Kritik. Aber da gibt es die Unsicherheit der Linken und da würde ich sagen: Wir kommen ja alle aus verschiedenen Strömungen der Linken und die Frage ist, wie die Linke sich in dieser neuen weltgeschichtlichen Konstellation neu konstituieren wird, so dass sie auch eine mächtige Kraft werden kann. Wir sind ja im Moment nicht mächtig, wir können nur rufen, was das alles für Schweinereien sind.

Aber dass sich die Linke als mächtige Kraft konstituiert, das würde auch voraussetzen, diese schwierigen Fragen nicht nur als Intellektuelle zu klären, sondern dass es kräftige Klassenbewegungen von unten gibt. Wir erleben im Moment ja einen Anflug von Klassenbewegungen in die großen Streikwellen und so weiter, aber eine höhere Stufe solcher Auseinandersetzungen – noch verbunden mit einer Frage, was dann wirklich Veränderungen, Machtveränderungen in unseren Gesellschaften und Verhältnissen sind –, davon sind wir weit entfernt. Ihr seid die jüngere Generation, ihr müsst diese Fragen dann beantworten und klären.

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Wie denkst du, sollten sich die Gewerkschafter:innen und die Gewerkschaften zum Krieg verhalten, also sowohl hier als auch international?

Also wenn ich meine ganz persönliche Meinung sagen würde, würde ich erwarten, dass die Gewerkschaften ganz klar den Krieg kritisieren und dazu aufrufen, die Waffen niederzulegen, um sich als mächtiger Teil der Friedensbewegung zu definieren. Das tun sie nicht, weil die Machtverhältnisse in den Gewerkschaften so sind, dass das keine Mehrheitsposition ist, aber das war ja auch in unserer Diskussionsrunde jetzt der Fall. Wir müssen als Minderheitsposition in den Gewerkschaften – aber auch mit dem Ziel, Gewerkschaften durchaus stark zu halten, nicht auseinanderzureißen – politisch dafür wirken oder im Betrieb als Betriebsräte und ehrenamtliche Funktionärinnen und Funktionäre dafür wirken, dass die Gewerkschaften jetzt auf keinen Fall Kriegspartei werden. Das wäre schon eine wichtige Aufgabe, denn das sind sie oft genug in der Geschichte gewesen.

Du hast ja auch an der Uni gelehrt, du warst in den 60ern auch selbst im SDS aktiv. Hast du eine Idee, was die Rolle von Universitäten und Beschäftigten dort, aber auch Studierenden sein könnte in der Friedensfrage?

Das ist aber eine schwierige Frage. Also zwei, drei Argumente fallen mir dazu ein. Ich glaube, wenn wir vom Neoliberalismus sprechen und der Hegemonie, also der Vorherrschaft des Neoliberalismus, dann fängt diese ja im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts an. Nach meinem Eindruck hat der Neoliberalismus in der Anpassung der Universitäten an die Herrschaftsbedingungen des globalisierten Finanzmarktkapitalismus fast total gesiegt. Die Unis sind Teil dieses Wettbewerbsystems geworden bis in die einzelnen Institute hinein. Sie spielen auch kaum noch eine Rolle, auch von den Studierenden her, wenn es um radikale Bewegungen geht, also der Kritik, der kritischen Theorie, aber auch der Verbindung von Studierenden mit politischen Bewegungen in der Gesellschaft und so weiter.

Es gibt immer wieder mal Ansatzpunkte, wie der Marvin [Hopp] und so, die jetzt in den Universitäten für die Hilfskräfte Tarifverträge organisieren wollen. Aber das wäre so eine klassische Gewerkschaftsfrage. Eine andere Frage ist die Auseinandersetzung um den Krieg in den Universitäten. Ich glaube, dort ist diese bellizistische Position mehrheitlich und sehr dominant – weil sie Teil auch des herrschenden Blocks sind –, die Ukraine zu unterstützen, auch mit Waffen und so weiter, mit dem Ziel, einen Sieg herbeizuführen und dabei auch das Risiko größerer Auseinandersetzungen einzugehen. Bei meiner eigenen Universität gibt es einen großen Studiengang „Friedensforschung“. Die sind zum Beispiel auf dieser Position und das ist ganz typisch für so ein Umkippen, die waren früher viel kritischer. Ja, das ist nicht erfreulich, aber ich habe da im Moment keine großen Hoffnungen.

In den Universitäten, auch bei den Generationen, die dort studieren, habe ich auch eine Vermutung oder einen Eindruck: Bei den eher als progressiv verstehenden Teilen dominieren eben doch sehr, sehr stark diese identitätspolitischen Themen. Also jetzt von Gendern natürlich angefangen, dann natürlich das Postkolonialismus-Thema, während die Friedensfrage oder die Klassenfragen aber doch sehr marginal geworden sind, auch wenn es immer ein paar gute Leute gibt. Ich denke, man muss es jedoch mit der Klassenfrage zusammenbringen. Ich lese gezwungenermaßen jeden Tag die FAZ, und immer mehr reaktionäre Artikel werden von Frauen geschrieben. Man ist nicht notwendig progressiv, nur weil man eine Frau ist.

Auf jeden Fall, oder wenn Annalena Baerbock Bomben irgendwo hinschickt, dann ist es auch nicht besser, obwohl jetzt eine Frau Außenministerin ist. Genau, das sagen ja viele.

Nein, nein, das ist eben nicht die Klassenpolitik, aber das ist eben die bürgerliche Fraktion. Nancy Fraser hat das schon vor 20 Jahren gesagt: Das große Problem von Klassenpolitik als Frauenpolitik  in den USA sind Millionen alleinerziehende Frauen, überwiegend Schwarze Frauen, die im Elend leben und die Minijobs haben. Aber wir sind weit entfernt davon, da politisch mit dabei zu sein.

Was die Rolle der Universität angeht, würde ich dir zustimmen, dass es gerade nicht so politisiert ist, aber wenn man zum Beispiel nach Frankreich guckt, sieht man ja auch, dass die Streikbewegungen auch Studierende anführen.

Ja, das ist die schöne, angenehme Überraschung in Frankreich, dass sich auch eine Studierendenbewegung aus den Universitäten und Schulen angeschlossen hat. Ja, leider ist das bei uns nicht so. In Frankreich gibt es das aber, das ist eine Besonderheit der politischen Kultur Frankreichs, dass immer wieder nach mehreren Jahren auch aus den Universitäten und Schulen heraus plötzlich solche großen Anschübe kommen, die dann aber auch manchmal wieder sehr schnell zurückgehen. Da gibt es seit 1968 im Grunde genommen verschiedene Wellen. Aber es ist trotzdem bedeutsam, dass das in Frankreich so ist.

Aber denkst du nicht, dass es auf Deutschland anwendbar ist, also dass in Deutschland sowas perspektivisch passieren könnte?

Naja, da muss man dran arbeiten. Ich meine, das ist es ja: Wie kriegst du an den Universitäten wieder einen größeren Einfluss von linken wissenschaftlichen Positionen und politischen Positionen auf die Studierenden? Dazu brauchst du auch den SDS. Also, ich war ja im SDS der 60er Jahre, da war ich da im Vorstand. Ich meine, wir haben das ja auch nicht erzeugt, sondern da kam in den 60er Jahren große Dynamik aus der Gesellschaft heraus.

Ja, die Dynamik war schon da.

Und wir haben uns praktisch oben drauf, also an die Spitze gesetzt. Vietnamkrieg und Abrüstung und auch die Kritik an den Hochschulen, an den autoritären Systemen, an dem Wissenschaftssystem und so weiter. Ja, das sind Zeiten, in denen große Veränderungen auch nach links stattfinden. Da gibt es aber in der Geschichte immer relativ wenige Perioden, in denen das so ist. Und wir leben im Moment nicht in einer Periode, wo die starke Tendenz ist, nach links zu gehen, sondern eher nach rechts. Das ist leider so.

Ja, daran müssen wir arbeiten, dass sich das ändert. Vielen Dank für das Interview!

 

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