Der Kampf gegen die Kreißsaal-Schließung ist ein feministischer Kampf

28.12.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Streik von Krankenhausbeschäftigten in London; Ms Jane Campbell / shutterstock.com

Im Münchner Stadtteil Neuperlach wehren sich die Hebammen und Pfleger:innen gegen die 2024 anstehende Schließung ihres Kreißsaals. Warum dieser Kampf feministisch ist.

Die Schließung des Kreißsaals in Neuperlach, der mit dem Kreißsaal Harlaching zusammengelegt werden soll, steht im Kontext der Neoliberalisierung des Gesundheitssystems. Diese führt dazu, dass die Gesundheitsversorgung profitorientiert funktioniert und damit einhergehend, dass Krankenhäuser und Kreißsäle, die keinen Gewinn bringen, geschlossen werden. Somit geht es im Gesundheitssystem an erster Stelle nicht um die gesundheitlichen Bedürfnisse von Menschen, sondern darum, welche Bereiche am meisten Profit bringen. Obwohl es Kämpfe dagegen gab und auch gerade in Neuperlach gibt, wurden im Zuge der Ökonomisierung seit 1990 über 50 Prozent der Kreißsäle in Deutschland geschlossen. Eine bedeutsame Verschlechterung für die Gesundheitsversorgung aller gebärenden Menschen in der BRD.

Die Hebammen in Neuperlach schätzen an diesem Kreißsaal, dass die Lage nicht ganz so prekär ist, wie an anderen Orten. Es gibt keinen Personalmangel und deswegen können sie sehr individuell und bedürfnisorientiert Geburten begleiten. Auch die Kaiserschnittrate liegt im Kreißsaal Neuperlach viel niedriger als in anderen Kreißsälen, wo oftmals jedes dritte Kind durch einen Kaiserschnitt geboren wird. Um diesen verhältnismäßig guten Stand der Einrichtung zu erhalten und auch weiterhin gebärenden Personen eine gute Betreuung sowie deren Kindern einen sicheren Start ins Leben zu ermöglichen, kämpfen die Hebammen. Natürlich findet dieser Kampf aber auch repräsentativ für andere Kreißsäle statt, denen eine Schließung droht.

Zudem kommt hinzu, dass Neuperlach ein stark migrantisches Arbeiter:innenviertel am Münchner Stadtrand ist. Der Stadtteil wächst zunehmend in der Bevölkerung und ist Wohnort für mehr arme Menschen und Familien als in anderen, teureren Münchner Gegenden. Das bedeutet auch, dass hier viele Menschen mit weniger Zugang zu medizinischen Informationen leben, für die es, gerade beim Thema Geburten, sehr wichtig ist, den Kreißsaal mit so guter personeller Ausstattung in der Nähe zu haben. Denn wo es sich finanziell besser gestellte Gebärende vielleicht zeitlich leisten können, ihre freie Zeit vor der Geburt bereits in die Suche nach einer Hebamme zu investieren, bleibt diese Option ärmeren Personen nicht offen. Auch wegen mangelnder Aufklärung durch die Gynäkolog:innen.

Ein Kreißsaal wie in Neuperlach, wo Hebammen und Pfleger:innen davon berichten, wie sie in dieser aufregenden und vielleicht auch beängstigenden Situation der Geburt individuell und bedürfnisorientiert auf die Gebärenden eingehen können, ist in Deutschland eher eine Seltenheit. Dabei sollte eine umfassende und an die Bedürfnisse der gebärenden Personen ausgerichtete Versorgung völlig selbstverständlich sein. So sollte es nach umfassender medizinischer Beratung beispielsweise bei den Gebärenden liegen, ob sie sich für eine natürliche Geburt oder einen Kaiserschnitt entscheiden. Kaiserschnitte werden aber im Zuge des 2004 durch SPD und Grüne eingeführten Fallpauschalensystems (DRG) finanziell höher vergütet als natürliche Geburten. „Ist ein Eingriff objektiv nicht nötig, aber durchaus medizinisch begründbar, empfehlen Ärzte eine Operation“, so ein Berliner Chirurg gegenüber der BZ. Die Zunahme der durchgeführten Kaiserschnitte führt gleichzeitig dazu, dass das Wissen und die Erfahrungen, Geburten anders durchzuführen, sinken. Viele Ärzt:innen sind beispielsweise von Babys in Beckenendlage zunehmend verunsicherter und trauen es sich nicht zu, natürliche Geburten in dieser Situation zu betreuen. In einem Gesundheitssystem ohne Profite sollte es genug Personal mit ausreichend Fachwissen geben, um jeder gebärenden Person gerecht zu werden.

Ein feministischer Kampf

Der Kampf gegen Kreißsaalschließung ist aus mehreren Gründen ein feministischer Kampf. Zum einen deshalb, weil es sich hierbei um einen stark feminisierten Sektor handelt. Es handelt sich bei der Arbeit in der Geburtshilfe um eine reproduktive Arbeit, die dafür da ist, die Arbeitskraft wiederherzustellen, beziehungsweise in diesem Fall, neue zukünftige Arbeiter:innen auf diese Welt zu bringen. Im Kontext einer kapitalistischen Wertlogik wird Arbeit aufgeteilt: Zum einen in die produktive Arbeit, also die direkte Herstellung von Waren, wie beispielsweise in einer Fabrik. Um sicherzustellen, dass es immer genug Arbeiter:innen gibt, muss ihre Arbeitskraft “wiederhergestellt” beziehungsweise regeneriert werden – Menschen müssen also Zugang zu Essen und Trinken haben, brauchen gesundheitliche Versorgung bei Erkrankungen, müssen in Kindergarten, Schulen und zuhause erzogen werden. All dies fällt unter Reproduktionsarbeit. Da sie nur indirekt zur Profitgewinnung beiträgt, weil diese Arbeiten keinen direkten finanziellen Wert haben, wie es dagegen beispielsweise ein fertig produziertes Auto besitzt, wertet die kapitalistische Logik die Reproduktionsarbeit ab. Deswegen findet sie entweder unbezahlt im privaten Haushalt statt, oder in Sektoren der Lohnarbeit, die stark unterfinanziert sind.

Reproduktionsarbeit wird strukturell Frauen und Queers zugeschrieben, was nicht bedeutet, dass es nicht auch beispielsweise cis-männliche Pfleger gibt. Es geht aber um die kapitalistische Spaltung der Arbeit, die durch sexistische Unterdrückung hervorgerufen wird. Ihre Ziele sind es, Frauen und Queers zu passivieren, unsere Klasse vom gemeinsamen Kampf abzuhalten und die Ausbeutung feminisierter Arbeit, ebenso die unbezahlte wie die bezahlte, weiter zu ermöglichen. Die Spaltung hält auch Rollenbilder aufrecht, die zur Ausbeutung genutzt werden: Moralisch werden Hebammen, Kinderkrankenpfleger:innen und Mütter hoch geschätzt, aber ökonomisch werden sie abgewertet. Es läge eben in der “weiblichen” Natur, als Mutter unbezahlte Sorgearbeit leisten zu wollen und sich einen Beruf in der bezahlten Sorgearbeit zu suchen. Dementsprechend brauche man keinen oder nur einen geringen Lohn, denn Sorgearbeit würde durch die “weibliche” Natur ja in gewisser Weise zur Selbsterfüllung beitragen. Und dadurch, dass Frauen und Queers sich ja so gerne um andere kümmern würden, wäre Reproduktionsarbeit auch keine wirkliche Arbeit mehr.

Die Kreißsaalschließung ist ein Ausdruck der doppelten Unterdrückung von Frauen und Queers: Zum einen die auf Profitlogik basierende Unterfinanzierung von reproduktiven Sektoren und zum anderen der patriarchalen Abwertung der Gesundheit und der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen und Queers. Der Akt der Geburt sollte ein Akt der Selbstbestimmung sein. Damit hängt auch zusammen, selbst entscheiden zu können, wo und unter welchen Bedingungen man das eigene Kind gebärt. Jede Schließung eines Kreißsaals führt dazu, dass gebärende Personen einen weiteren Weg auf sich nehmen müssen, was die Umstände erschwert. Bei einer Geburt, die aufgrund von Personalmangel ohne Aufklärung und Betreuung abläuft, kann nicht auf die Bedürfnisse und Wünsche der Gebärenden eingegangen werden. Im schlimmsten, aber nicht seltenen Fall, ist die Geburt von Gewalt geprägt. Die Folgen sind traumatisierend und tragen sich vor allem in den ersten Wochen nach der Geburt zuhause ab – hier wird das Problem somit wieder in den privaten Raum verdrängt. All diese Einschränkungen der Gesundheit von Gebärenden sind Teil einer Sparpolitik im Gesundheitswesen.

Die “Fortschrittskoalition” bringt Versorgungsrückschritte

Wie schon anfangs angeführt, stellen die Einsparungen im Gesundheitssystem und die Unterordnung unter Profite einen Angriff auf unsere Gesundheit dar. Seit der Corona-Pandemie ist die miserable Lage im Gesundheitssystem mehr an die Öffentlichkeit gelangt. Was ist die Antwort der neuen “Fortschrittsregierung” darauf?

Schließlich war es genau die SPD, die jetzt den Gesundheitsminister Lauterbach stellt, die 2004 als Teil der rot-grünen Regierung das Fallpauschalensystem eingeführt hatte. Nun liegt eine Reform vor, die weitere Zentralisierungen vorsieht, um Ausgaben einzusparen. Dadurch soll es statt vielen kleinen Kreißsälen nur einige große geben, die dann subventioniert werden. Trotz der Subventionierung einiger weniger Kreißsäle reduzieren Schließungen rein faktisch die Anzahl von Kreißsälen und auch Hebammen. Der Versorgungsschlüssel wird also nicht besser, sondern schlechter.

Der Kampf in Neuperlach reiht sich in die vielen Kämpfe ein, die es in den letzten Jahren gegen die furchtbaren Bedingungen im kapitalistischen Gesundheitssystem gab, wie letztes Jahr in Berlin oder dieses Jahr in NRW. Damit zeigen die kämpfenden Hebammen und Pfleger:innen, dass der Reformismus der Regierung die notwendigen Verbesserungen bisher nicht herbeigeführt hat und ein Kampf gegen Profitschaffung aus unserer Gesundheit nicht mit der Regierung und Parteien, die wie im Falle der SPD oder Grünen für diese Verschlechterungen verantwortlich sind, geführt wird.

Es ist wichtig, den Kampf in einem feminisierten Sektor als feministisch zu benennen, da dadurch die Unterfinanzierung von reproduktiven Sektoren im Kontext der kapitalistischen Profitlogik aufgezeigt wird. Der Kampf in Neuperlach macht die Perspektive auf, wie Reproduktionsarbeit und damit auch gesundheitliche Versorgung aussehen könnte, wenn sie nicht sexistisch abgewertet und in der Folge unterfinanziert werden würde. Es sollte gesellschaftlich nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach einer Profitlogik organisiert werden, wie Kinder auf die Welt kommen, aufwachsen, erzogen und gebildet werden. Auch andere Bereiche der Erziehung und Bildung werden totgespart. Gegen den Sparkurs der Regierung kämpfen hier die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, wie beispielsweise Krankenhausbeschäftigte und Erzieher:innen in ihren kommenden Tarifverhandlungen zum TVöD nächstes Jahr.

Es ist zentral, dass sich nicht nur die Arbeiter:innen vor Ort organisieren, sondern sie von der ganzen Bevölkerung Unterstützung bekommen. Allein kann dieser Kampf nicht gewonnen werden. Alle feministischen, linken und gewerkschaftlichen Gruppen sollen den Kampf unterstützen und dafür in der Bevölkerung Solidarität organisieren. Einen Anfang stellt hierbei die Bildung des Soli Komitees Kreißsaal Bleibt! Für Unterstützung gegen die Kreißsaalschließung organisiert sich das Soli-Komitee an Schulen, Hochschulen, Unis und anderen Betrieben.

Für eine patient:innenorientierte Versorgung statt Profitorientierung läuft eine Petition, um die Schließung des Kreißsaal Neuperlach zu verhindern.

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