Chile und der neue Zyklus des Klassenkampfes in Lateinamerika

30.10.2019, Lesezeit 20 Min.
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Matías Maiello, Politikwissenschaftler und führendes Mitglied der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen in Argentinien, analysiert die revolutionären Tage in Chile im Kontext der Rückkehr des Klassenkampfes auf internationaler Ebene.

Die revolutionären Tage in Chile sind bis dato der höchste Punkt eines neuen politischen Zyklus, der anfängt Lateinamerika zu durchziehen. Sie sind kein Einzelfall, sondern finden im Rahmen der Rückkehr des Klassenkampfes auf internationaler Ebene statt, der von Frankreich und dem Spanischen Staat bis Hongkong, Libanon oder Irak reicht. Seine Ursachen sind tiefgreifend. Die Krise von 2008 markierte einen Wendepunkt: die durch den Kapitalismus erzeugte Ungleichheit erreicht immer unerträglichere Ausmaße. Die traditionellen Parteien gehen nieder. Die so genannte „Globalisierung“ ist in der Krise und der Nationalismus der Großmächte ist zurück.

Die neoliberale Hegemonie befindet sich auf internationaler Ebene in der Krise. Es ist symbolisch, dass sie heute in Chile explodiert – seinem großen Testlabor unter der Pinochet-Diktatur, mit Hilfe der in den USA ausgebildeten „Chicago Boys“. Im besonderen Fall Lateinamerikas war die Krise des Neoliberalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts dem Rest der Welt voraus. Es kam zu Massenaufständen, welche die Präsidenten in Ecuador, Bolivien und Argentinien zu Fall brachten und 2002 einen imperialistischen Staatsstreich in Venezuela besiegten. Diese Prozesse wurden umgeleitet und führten zu einem zweiten Zyklus, dem der „post-neoliberalen“ Regierungen. Dieser konnte dank des wirtschaftlichen Aufschwungs, der durch den historischen „Boom“ der Rohstoffpreise ausgelöst wurde, aufrechterhalten werden.

Als dieser Boom nachließ und die Krise die Region ab 2013/14 systematisch traf, wurde das Scheitern des Postneoliberalismus aufgedeckt, der auf die Entwicklung der nationalen Bourgeoisien mithilfe des Staates setzte. Dies führte zu einem dritten Zyklus, der durch den Aufstieg der Rechten geprägt war: Macri in Argentinien, Piñera in Chile, Kuczynski in Peru, der institutionelle Putsch in Brasilien sowie der Rechtsruck des „post-neoliberalen“ politischen Personals selbst mit exemplarischen Fällen wie Daniel Ortega in Nicaragua oder Lenín Moreno in Ecuador. Sein Höhepunkt war der Aufstieg des Rechtspopulismus von Bolsonaro in Brasilien. Gleichzeitig markierte der gescheiterte imperialistische Putsch in Venezuela in diesem Jahr den Beginn seines Niedergangs.

Die Prozesse, die Puerto Rico, Honduras, Haiti und Ecuador durchlaufen haben und denen Chile jetzt beitritt, sind der Anfang eines neuen Zyklus in Lateinamerika, der vom Aufkommen des Klassenkampfes geprägt ist. Die verschiedenen Ebenen jedes der vorangegangenen politischen Zyklen verbinden sich zu einem heterogenen Szenario. Außergewöhnliche wirtschaftliche Bedingungen ermöglichten es, den Zyklus der Aufstände zu Beginn des Jahrhunderts zu durchbrechen. Diese Bedingungen stützten sich damals weitgehend auf die Expansion Chinas, das sich jetzt in einen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten befindet und sind heute nicht mehr gegeben. Die exponentielle Zunahme der Ungleichheit, die Prognosen eines geringen Wachstums und die gesunkenen Rohstoffpreise stellen zunehmend ein Nullsummenspiel (und Verschuldung) für Kapitalist*innen dar, die verschiedene Mechanismen anwenden, um die Massenbewegung (direkt oder indirekt) anzugreifen.

Angesichts der Strategie des „geringeren Übels“ der post-neoliberalen Varianten zeigten die Massenkämpfe in Ecuador und Chile, wie man die Angriffe zurückschlagen kann. Die Bourgeoisie ist gezwungen, Zugeständnisse zu machen, um nicht alles zu verlieren. Wir können die gegenwärtige Situation jedoch nicht in der gleichen Weise angehen wie die früheren Situationen, die durch die Möglichkeit gekennzeichnet waren, bestimmte Zugeständnisse unter dem Dach des bürgerlichen Staates zu erhalten, statt gegen ihn zu kämpfen. Wir stehen vor plötzlichen Veränderungen in den Kräfteverhältnissen; Krisensituationen, die sich zu revolutionären Situationen entwickeln können oder nicht; die umgeleitet werden oder zu reaktionären Lösungen führen können. Das globale Ergebnis dieses Zyklus wird sich nicht aus der Summe der zahlreichen Teilergebnisse ergeben. Strategisch gesehen ist das, was auf der Tagesordnung steht, die Möglichkeit, Jahrzehnte der Plünderung zu beenden und einen revolutionären Weg in der Region zu eröffnen.

Revolutionäre Tage

In letzter Zeit erlebten sowohl Ecuador als auch Chile revolutionäre Tage – etwas viel Wichtigeres als eine Summe von Demonstrationen – mit Aktionen, die den Rahmen der bürgerlichen Legalität bis zu einem gewissen Grad durchbrachen. Wir haben in beiden Ländern Elemente in diesem Sinne gesehen. Die beliebten Schreie von „Weg mit Lenín Moreno“ und „Weg mit Piñera“ hallten durch die Straßen. Sowohl Moreno vor ein paar Wochen als auch Piñera selbst versuchen, sich durch eine Kombination aus Repression – einschließlich des Ausnahmezustands –, partiellen Zugeständnissen und durch das Wirken verschiedener Bürokratien zu behaupten. Diese spielen eine entscheidende Rolle in den Schlüsselmomenten für die Aufrechterhaltung des bürgerlichen Regimes, wie die jüngsten Ereignisse zeigen.

Erst vor wenigen Wochen sahen wir in Ecuador die Reaktion auf das Kürzungspaket von Lenín Moreno – ursprünglich durch seinen Vorgänger Rafael Correa in die Regierung gekommen – zur Durchsetzung der Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das Paket gab Anlass zu mehr als zehn Tagen riesiger Blockaden und Demonstrationen, die mit polizeilicher und militärischer Repression auf den Straßen konfrontiert wurden. Nicht nur in Quito kam es zu Schlachten, sondern auch in vielen Orten des Landesinneren, mit Kampfszenarien wie in der Gemeinde La Esperanza, wo von der mehrheitlich indigenen Bevölkerung von etwa 8.000 Menschen mehr als 1.500 – insbesondere Jugendliche – sich organisierten, um den Repressionskräften zu begegnen. Der 12. Oktober war der Höhepunkt des Aufstands in Quito, wo die Bevölkerung der Hauptstadt massenhaft auf die Straße ging. Nicht zufällig gab es an diesem Tag die härteste Repression mit Schusswaffen und Scharfschützen.

Die Rebellion wurde von den breiten Massen getragen, aber die politische und mediale Hauptrolle fiel vor allem auf die CONAIE (Föderation indigener Natinalitäten Ecuadors). Ihre Führung versuchte im Laufe der Tage, die indigene Bewegung auf den Straßen von anderen mobilisierten Sektoren zu trennen, und benutzte als Rechtfertigung, dass sie sich nicht mit den Anhänger*innen Correas vermischen wollten. Während noch Rauch aus den Barrikaden kam und die Repression anhielt, setzten sie sich mit Moreno an einen Dialogtisch. Als Moreno durch die Kraft, die die Mobilisierungen erlangten, gezwungen wurde, das Dekret 883 zurückzuziehen, bereitete sich die CONAIE-Führung darauf vor, die Straßen zu leeren und tatsächlich Morenos Kopf zu retten, ohne dass er die politischen Gefangenen freigelassen, den Ausnahmezustand beseitigt oder auf die Forderungen der Bewegung als Ganzes reagiert hätte.

Letzte Woche erlebten wir revolutionäre Tage in Chile. Die Umgehung der Drehschranken in den U-Bahn-Stationen durch Schüler*innen erweckte die Sympathien von Millionen, und bis Freitag, den 18. Oktober, wuchsen sie zu einer immer massiveren Rebellion an. Die Besetzungen der U-Bahn-Stationen wurden brutal unterdrückt. Die Reaktion von Piñera, der das „Gesetzes über die innere Sicherheit des Staates“ aus Diktaturzeiten in Kraft setzte, löste am Samstag, den 19. September, in Santiago und den peripheren Gemeinden Wut mit Mobilisierungen, Straßenblockaden, Proteste mit Töpfen und Pfannen (Cacerolazos) sowie Konfrontationen mit der Polizei aus. Es folgte die Ausrufung des „Verfassungsnotstands“, der den Aufstand nur noch vertiefte. Der santiagazo verwandelte sich landesweit in einem Massenaufstand gegen Piñera, dem Erben des Pinochetismus, und einer Gesellschaft, in der alles privatisiert wird, in der 50 % der ärmsten Haushalte 2,1 % des Nettovermögens des Landes besitzen, während die reichsten 1 % 26,5 % konzentrieren.

Später kündigte die Regierung die „Aussetzung“ der Erhöhung der Ticketpreise an, während das Militär eine Ausgangssperre verordnete, was seit der Diktatur nicht mehr angewandt wurde. Diese wurde mit Barrikaden und Cacerolazos herausgefordert, und eine Welle der Wut wurde ausgelöst, die verbrannte Bussen, Hunderte von Plünderungen großer Einrichtungen, das Verbrennen von Polizeikabinen und öffentlichen Gebäuden zur Folge hatte. Die Auseinandersetzungen setzten sich am Sonntag, den 20. Oktober, fort, am Montag, den 21. Oktober, gab es massive Demonstrationen im ganzen Land. Dann erklärte Piñera: „Wir sind im Krieg“ – die Antwort waren massive Demonstrationen am Dienstag, den 22. Oktober. Zusammen mit Studierenden und Jugendlichen traten strategische Sektoren der Arbeiter*innenklasse auf die Bühne, 90 % der Häfen wurden bestreikt und die Minenarbeiter*innen in Escondida lähmten die größte private Mine der Welt. Unter dem Druck dieser Ereignisse rief die Bürokratie des Gewerkschaftsdachverbandes Central Unitaria de Trabajadores (CUT) zu einem „Generalstreik“ mit Mobilisierung auf und ließ ihren Vorschlag eines „Streiks mit leeren Straßen“ beiseite, der sich nicht mehr durchführen ließ.

Am Dienstagabend startete die Regierung das Manöver der so genannten „Sozialagenda“, die einige Krümel zum Schutz des vom Pinochetismus übernommenen sozialen und politischen Regimes gewährt. Am Mittwoch, als Teil des Streiks, mobilisierten sich Hunderttausende in ganz Chile, darunter Arbeiter*innen, Jugendliche, pobladores (Bewohner*innen der Armenviertel), Frauen und Indigene. Arbeiter*innen des öffentlichen Sektors, Gesundheitspersonal, Lehrer*innen, Bergleute, Hafenarbeiter*innen, Dienstleistungs- und Handelsgewerkschaften marschierten mit ihren Fahnen. Tausende von Schüler*innen, Studierenden und jungen Arbeiter*innen waren an Straßenschlachten auf der Plaza Italia und La Alameda im Stadtzentrum von Santiago beteiligt, obwohl es sich insgesamt um kleinere Konfrontationen handelte. Der Streik und die Mobilisierungen wurden auch am Donnerstag fortgesetzt. Aber gleichzeitig verdoppelte der linke Flügel des Regimes, die Kommunistische Partei und die Frente Amplio (Breite Front) mit ihren jeweiligen Gewerkschafts-, Studierenden- und „sozialen“ Bürokratien, offen ihren Rückzug, um Piñera zu retten.

Zwischen der Explosion des sozialen Hasses und den Versuchen des institutionellen Auswegs

Der chilenische Prozess begann als spontaner Aufstand, der alle überraschte. Keine der wichtigsten politischen, gewerkschaftlichen oder studentischen Organisationen stand im Vordergrund. Der Konflikt eskalierte als Reaktion auf das Handeln der Regierung.

In einem zweiten Moment, unter dem Druck der Ereignisse, stellten die bürokratischen Führungen der Arbeiter*innen, Studierenden und „sozialen“ Bewegung, die größtenteils von der KP und der Frente Amplio angeführt werden, die Forderung nach einem „Generalstreik“ auf, der eigentlich als Ventil für die Wut der Massen gedacht wurde. Piñera wandte sich auch selbst vom „Wir sind im Krieg“ zur „Sozialagenda“, die versucht, die Bewegung zu spalten, die Mittelschichten zu trennen, um die Armen an der Peripherie weiterhin brutal zu unterdrücken und zu verhindern, dass die Demonstrationen auf die Zentren der Staatsmacht abzielen. Parallel dazu wurde eine massive Medienkampagne entwickelt, die die friedliche und festliche Bewegung der Mittelschichten den kämpferischeren Aktionen der Jugendavantgarde entgegenstellt und die ärmsten Sektoren kriminalisiert.

In diesem Rollenspiel gingen die KP, die Frente Amplio und ihre jeweiligen Bürokratien von der Ablehnung des Dialogs bis zum Rückzug des Militärs von der Straße zur Untermauerung der Falle des „Dialogs“ über, indem sie die Einbeziehung von „Sozial- und Bürger*innenorganisationen“ an den Verhandlungstisch forderten [1]. Gleichzeitig nahmen die Abgeordneten beider Kräfte am parlamentarischen Zirkus teil, in dem verschiedene Maßnahmen außerhalb der Realität eines Landes in Flammen mit den militärischen Repressionen und Morden auf den Straßen angegangen wurden. Eine der wichtigsten Referentinnen der KP, Camila Vallejo, feierte die Zustimmung zur 40-Stunden-Arbeitswoche im Abgeordnetenhaus und wies darauf hin, dass es nicht darum ginge, gegen den Präsidenten zu kämpfen. Die Linke des Regimes zeigte, dass sie sich an der Kampfkraft der Bewegung nährt, sie jedoch nicht zu entwickeln versucht. Sie ist der Schlüssel dazu, dass weder die Arbeiter*innenbewegung noch vor allem die Studierendenbewegung, der Hauptprotagonist, kraftvoll mit ihren Organisationen erscheinen.

In diesem Zusammenhang findet ein dritter Moment statt, gekennzeichnet durch die Massendemonstrationen am Freitag, den 25. Oktober, der größten seit dem Ende der Diktatur, die in Santiago eine Million Teilnehmer*innen bei Weitem überstieg, mit weiteren massiven Demonstrationen im ganzen Land. In ihnen wurden in Sprechchören wie „Weg mit Piñera“ die massive Ablehnung der Repression zum Ausdruck gebracht. Ursprünglich wurde über soziale Netzwerke mobilisiert, die Stimmung der Demonstration war friedlich und festlich, fast konfliktlos, anders als die Aktionen des ersten Moments des Prozesses, gekennzeichnet durch die Explosion des sozialen Hasses von Millionen von armen und marginalisierten Sektoren – symptomatisch von Piñeras Ehefrau Cecilia Morel als „ausländische Alieninvasion“ klassifiziert – und der Jugend als Reaktion auf die Repression der Regierung. Diese Explosion konnte nur mit vorgehaltener Waffe und Schlagstöcken kontrolliert werden. Am Freitag war Valparaíso eine Ausnahme mit einer anderen Dynamik, da 20.000 Menschen zum Sitz des Kongresses vorrückten und brutal unterdrückt wurden.

Die Massivität motivierte Piñera zu einem zynischen „Grußwort“ an die Mobilisierungen. Am Samstag, den 26. Juni, versuchte er weiterhin, die Gratwanderung mit seiner „Sozialagenda“, die die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ablehnt, auszugleichen, indem er versprach, das Kabinett zu wechseln, und die Möglichkeit hinzufügte, den Ausnahmezustand aufzuheben, nachdem er eine Spur von Toten, Tausenden Verletzten und Inhaftierten hinterlassen hatte. Die Politik der partiellen „Zugeständnisse“ mit Kleingedrucktem, der Rücktritt von Minister*innen oder noch größere Zugeständnisse, wie sie von niemand Geringerem als der Financial Times oder Andrónico Luksic selbst, dem Eigentümer einer der größten Konzerne Chiles, gefordert wird, ist nichts anderes als der Versuch, ein größeres Ziel zu verteidigen: zu verhindern, dass die Regierung von Piñera durch das direkte Vorgehen der Massen fällt und das gesamte Erbe der Pinochet-Diktatur in Frage stellt.

Die Arten von Konflikten und wie man ihre Ergebnisse bewertet

Carl Clausewitz unterschied in seinem Klassiker Vom Kriege zwischen Konflikten „mit begrenzten Zielen“ und solchen, bei denen es um „die Entscheidung“, die Niederlage des Gegenüber, geht. In beiden Fällen werden die Ergebnisse auf sehr unterschiedliche Weise gemessen. Im ersten Fall geht es um „isolierte unabhängige Ergebnisse, bei denen wie bei den verschiedenen Händen eines Spiels das vorhergehende Ergebnis keinen Einfluss auf die Nachfolgenden hat; hier hängt also alles nur von der Summe der Ergebnisse ab“. Im zweiten Fall ist „alles die Wirkung notwendiger Ursachen, das eine wirkt schnell auf das andere [….] es gibt nur ein Ergebnis, nämlich das Endergebnis“. Daher stellt sich der Konflikt als „ein unteilbares Ganzes“ dar [2]. Wenn wir von revolutionären Tagen wie den chilenischen sprechen, ist der zweite Ansatz derjenige, der zählt.

In Chile hat die Spontaneität der Massenbewegung das Kräfteverhältnis verändert. Die Rettungsaktion für Piñera ist jedoch in vollem Gange. Die Politik der KP, die Rufe nach dem Rauswurf von Piñera auf eine „verfassungsmäßige Anschuldigung“ zu reduzieren, so dass seine Entlassung vom Senat entschieden werden kann, der Dialog mit Piñera „ohne Ausnahmen“, den sie zusammen mit der Frente Amplio fördern, oder die Verfassungsgebende Versammlung im Rahmen des derzeitigen Regimes, das beide Parteien vorschlagen, sind nichts anderes als „linke“ Versionen der institutionellen Rettungsaktion. Gerade weil die Menschen auf den Straßen schreien: „Es sind nicht 30 Pesos, es sind 30 Jahre“, ist es nicht möglich, eine Lösung zugunsten der Werktätigen durchzusetzen, mit den Mechanismen des gleichen Regimes, das den Pinochetismus erbte.

Wie Rafaella Ruilova in ihrem Artikel in der Wochenzeitung Ideas Socialistas betont, ist es angesichts der Fallen und Manöver notwendig, unabhängige Organisationen zu gründen, die in der Lage sind, alle Sektoren im Kampf zusammenzubringen, die das Regime teilen oder gar zerstören will. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Aufbaus von Organismen der Selbstverwaltung, Versammlungen, Komitees oder coordinadoras (Vernetzungsstrukturen von Räten) von Arbeiter*innen, Studierenden und Anwohner*innen, zusammen mit Forderungen an die jeweiligen Bürokratien. In diesem Sinne sind einige Beispiele wichtige, sich entwickelnde Symbole für den Weg der Selbstorganisierung: Das Notfall- und Rettungskomitee in Antofagasta, die Koordinierung im Umfeld des Krankenhauses Barros Luco oder die Gewerkschaft des Kulturzentrums GAM in Santiago.

Wenn es etwas gibt, das die revolutionären Tage gezeigt haben, dann ist es, dass nur durch Kampf und Mobilisierung die Macht der Unterdrücker*innen gebrochen werden kann. Nur mit den Methoden des Klassenkampfes, eines politischen Generalstreiks – in dem kämpferischen Sinne, den Rosa Luxemburg ihm gegeben hat, und nicht nur als Druckmittel, wie ihn die CUT-Führung vorsieht – kann Piñera ausgeschaltet und eine Lösung im Sinne der Werktätigen durchgesetzt werden. Wie Juan Valenzuela es ausdrückt, schlagen wir revolutionären Sozialist*innen in diesem Sinne eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung auf den Ruinen des von der Diktatur geerbten Regimes vor, die alle grundlegenden Maßnahmen löst, während wir gleichzeitig für eine Regierung der arbeitenden Bevölkerung kämpfen, die den Kapitalist*innen endgültig die Macht entzieht.

Aus dieser Perspektive heraus intervenieren Hunderte von Genoss*innen der Revolutionären Arbeiter*innenpartei (PTR) in Santiago, Antofagasta, Valparaíso, Arica, Temuco, Puerto Montt, Rancagua und anderen Großstädten des Landes auf den Straßen, an Arbeits- und Studienorten und von La Izquierda Diario Chile aus, das mit der Rebellion im Oktober eine Million Leser*innen und damit signifikante Teile der Bewegung erreichte.

Die neuen Zeiten

Es ist klar, dass sich die Situation des Klassenkampfes verändert, sowohl hier als auch über Lateinamerika hinaus. Nicht nur der berühmte Slogan „es gibt keine Alternative“ aus der Blütezeit des Neoliberalismus, sondern auch der Diskurs über die Anpassung an das „geringere Übel“ des Neoreformismus oder des lateinamerikanischen „Post-Neoliberalismus“ wird von dieser neuen Welle in Frage gestellt. Sowohl Ecuador als auch Chile zeigen den Weg auf, um Kürzungen und Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung zu überwinden. Jedoch ist dieser Weg nicht sehr gerade, wie die Ereignisse zeigen. Das Ergebnis jeder dieser Konfrontationen ist sicherlich nicht egal.

Eduardo Febbro behauptet: „Das rebellische Kapitel wurde 2017 in Argentinien eröffnet, als die Macri-Regierung den sozialen Protest gegen die Rentenreform unterdrückte“. Diese These kann in Frage gestellt werden, vor allem wegen des unterschiedlichen Umfangs der Prozesse, aber sicher ist, dass das Handeln der Gewerkschaftsbürokratien und des Kirchnerismus der Schlüssel zur Erdrosselung der Perspektive des Klassenkampfes war, die in diesen Tagen des 14. und 18. Dezember vorgeschlagen wurde, und damit die Regierungsfähigkeit von Macri gewährleistete. Die Kosten dieser Abweichung waren nicht geringer als die Verschuldung des Landes in den Händen des IWF, eine enorme Abwertung der Währung, Inflationsspirale, Rezession, der Verlust von mehr als einem Viertel der Kaufkraft des Gehalts, Zunahme der Kinderarmut auf mehr als 50 % und eine ununterbrochene Abfolge von Tariferhöhungen, die es den Banken, den großen Kapitalist*innen und der Agropower (dem Agrarkapital) ermöglichten, sich weiterhin die Taschen zu füllen. Der Wahlsieger in Argentinien, der neue Präsident Alberto Fernández der Frente de Todos (Front Aller) behauptet hierbei, diesem Vermächtnis müsse man sich stellen, beginnend mit der Weiterzahlung der Staatsschulden, wobei er verspricht, die Kosten auf alle „aufzuteilen“.

Es lohnt sich, sich zu erinnern, denn es ist nicht nur eine Bilanz der Vergangenheit, sondern ein Standpunkt, aus dem man die Gegenwart in diesem neuen Zyklus des Klassenkampfes sehen muss, bei dem alles darauf hindeutet, dass er anhalten wird.

Dieser Artikel erschien zuerst im Theoriemagazin Ideas de Izquierda.

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