Bundesregierung: Augen zu und durch

25.01.2022, Lesezeit 5 Min.
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PCR-Tests erhalten nun nur noch Pflege- und medizinisches Personal sowie Hochrisikopatient:innen. Ansonsten beschloss die Bund-Länder-Konferenz – gar nichts. Die Devise „Augen zu und durch” gefährdet Menschenleben.

Während die Fallzahlen so hoch wie nie zuvor sind und die Sieben-Tage-Inzidenz deshalb heute mit 894,3 schon wieder einen neuen Höchstwert erreicht hat, beschlossen die Ministerpräsident:innen der Länder und die Bundesregierung bei ihrem gestrigen Corona-Gipfel, die PCR-Testmöglichkeiten massiv einzuschränken – und sonst rein gar nichts zu tun.

„Die nur begrenzt verfügbaren PCR-Tests sollen auf vulnerable Gruppen und Beschäftigte, die diese betreuen und behandeln, konzentriert werden“, heißt es im Beschluss vom Montag. Stattdessen wird künftig auf Schnelltests gesetzt, obwohl die Genauigkeit vieler von ihnen bekanntermaßen zu wünschen übrig lässt: Eine Untersuchung des Paul-Ehrlichs-Instituts hatte ergeben, dass 96 der in Deutschland zertifizierten 122 Antigen-Tests zuverlässige Ergebnisse lieferten. An dieser Stelle sei allerdings angemerkt, dass Hersteller von solchen Tests sie selbst zertifizieren können und all jene Marken, deren Modelle in mindestens 75 Prozent der positiv PCR-Getesteten SARS-CoV-2 nachweisen konnten, als zuverlässig gelabelt wurden.

Allein in Wien werden in etwa 2,4 Millionen PCR-Tests pro Woche durchgeführt – jedes Jahr wären das stolze 68 pro Einwohner:in. Währenddessen werden in ganz Deutschland wöchentlich lediglich 2,1 Millionen solcher Abstriche gemacht – hochgerechnet für jede:n Einwohner:in einen im Jahr.

PCR-Tests für alle sind also keineswegs um eine logistische Unmöglichkeit und auch nicht um eine finanzielle – auch wenn gern das Argument vorgeschoben wird, PCR-Tests seien nunmal zu teuer. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land Europas, aber „weil das Geld fehlt“ in der PCR-Tabelle des Kontinents nun vom Abstieg bedroht – schlechter schneiden nur noch Rumänien, Ungarn und Polen ab. Selbst der bayerische Ministerpräsident Söder (CSU) kritisierte die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde. Selbst ihm ist das Licht aufgegangen, dass die Beschränkung der PCR-Tests dazu führt, dass ab sofort niemand mehr wissen kann, wie hoch die Infektionszahlen wirklich sind. Trotzdem hat die bayerische Regierung hat heute Lockerungen für Großveranstaltungen beschlossen.

Statt des massiven Ausbaus der PCR-Test-Infrastruktur schränken Bund und Länder den Zugang zu den bisher einzigen Gewissheit schaffenden Untersuchungen trotzdem weiter ein. Dabei sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus ausgerechnet heute, dass die akute Phase der Pandemie zwar schon dieses Jahr beendet werden könne – wenn viel mehr getestet würde.

Ein Jahr Plakate und Durchsagen überdacht

Die einzige andere „Neuerung“, die aus dem Corona-Gipfel hervorging, ist Impfwerbung. Die vor Langem ins Stocken geratene Impfkampagne soll wieder an Schwung aufnehmen – durch „Impfen hilft“-Plakate, Durchsagen im Radio und im Fernsehen sowie Werbung auf Social-Media-Plattformen. Ein Armutszeugnis, dass nach fast einem Jahr verfügbarer Impfung eine solche Minimalmaßnahme beschlossen wurde. Wirklich niedrigschwellige Impfangebote, die allen Leuten per Post, per Mail, per Social Media zugesandt werden, zusammen mit der notwendigen Aufklärung in verschiedenen Sprachen, durchgeführt von qualifiziertem Personal, gibt es weiterhin nicht.

Ganz zu schweigen davon, dass die sich immer weiter ausbreitenden Infektionszahlen in Schulen und Kitas in den Maßnahmen der Bund-Länder-Konferenz keine Beachtung finden. Anstatt für wirklich sichere Bedingungen in Schulen und Kitas durch Luftfilter, kostenlose FFP2-Masken, tägliche PCR-Tests für alle und andere Hygienemaßnahmen zu sorgen, werden einerseits Kinder, Jugendliche und Lehr- und Erziehungspersonal weiter gefährdet, und andererseits die sich erneut anbahnende Betreuungskrise aufgrund der Quarantäne ganzer Kitagruppen und Schulklassen unbeantwortet gelassen.

Personalmangel müsste es nicht geben

Olaf Scholz und die Länderchefs sehen zudem vor, die Kontaktnachverfolgung unbezahlt an die Bevölkerung outzusourcen. Dass es in den Gesundheitsämtern dafür die Kapazitäten aktuell nicht gibt, steht völlig außer Frage. Nach fast zwei Jahren Pandemie haben die dort Beschäftigten sowie jene in Testzentren und Laboren noch immer mit der massiven Unterbesetzung zu kämpfen.

Gleichzeitig gibt es in Deutschland derzeit 2,6 Millionen Arbeitslose – viele von ihnen sind durch die Pandemie zu solchen geworden, haben in der ersten oder zweiten Welle ihren Job verloren und sind nun auf der Suche nach einem neuen. Es ist absurd, dass sich einige ins Burn-Out arbeiten, während andere auf Arbeitssuche sind. Denn durch Investitionen in den Gesundheitssektor könnten fehlende Jobs geschaffen, die Überarbeiteten somit entlastet und natürlich die Ansteckungsketten wieder nachverfolgt werden. Auch Studierende und Beschäftigte der Universitäten haben teilweise ihre Hilfe bei der Durchführung von PCR-Tests und der Kontaktnachverfolgung angeboten.

Linkspartei trägt Durchseuchung mit

Besonders verheerend ist die Situation in Berlin. Nachdem die neue rot-grün-rote Regierung vor einem Monat ins Amt kam, hat die Linkspartei in der Hauptstadt bislang noch keinen einzigen inhaltlichen Antrag in die Corona-Gipfel eingebracht. Mit einer Ausnahme: Zusammen mit den Grünen und der SPD brachte sie die Verkürzung der Quarantänezeiten auf den Weg. Zusammen mit der Beschränkung der PCR-Tests ist diese Verkürzung jedoch eine tickende Zeitbombe – unkontrollierbare Ansteckungsketten sind zu erwarten. Und das nur, damit Arbeiter:innen weiter für die Profite ihrer Bosse schuften können, anstatt bei Infektion oder Kontakt oder im Falle der notwendigen Betreuung ihrer Kinder bei voller Lohnfortzahlung ausreichend lange zuhause bleiben zu können.

Die Regierung setzt auf Durchseuchung – doch unser Leben ist mehr wert als ihre Profite!


Kostenlose PCR-Tests für alle! Testzentren verstaatlichen, Impf-Patente aufheben, demokratische Rechte verteidigen. Komitees und Versammlungen in Schulen, Unis und Betrieben, um Hygienemaßnahmen durchzusetzen. Streiken wie in Frankreich! Erklärung der Revolutionären Internationalistischen Organisation, Herausgeberin von Klasse Gegen Klasse.

Die Regierung setzt auf Durchseuchung – doch unser Leben ist mehr wert als ihre Profite!


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