Berlin: LINKE in die Opposition!

19.02.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Simon Zinnstein

Nach der Wahlwiederholung am 12. Februar kann die Linkspartei höchstwahrscheinlich wieder mitregieren – oder sich dagegen entscheiden. Aufruf für den Aufbau einer starken Opposition auf der Straße.

417 Tage regierte eine Koalition von SPD, Grünen und Linken die Hauptstadt. Mit dem Zeugnis, das die Berliner:innen ihr am Sonntag dafür ausgestellt haben, wäre sie durchgefallen. Sie alle verloren Wähler:innen, während die CDU mehr als 10 Prozent dazu gewann.

Damit sind die Konservativen erstmals seit 1999 die mit Abstand stärkste Kraft im Senat. Zu Sondierungsgesprächen dürfen sie einladen, wen sie wollen, und tun es auch. Doch auch wenn SPD und Grüne sich zur Aufnahme dieser bereit erklären, scheinen beide nicht prioritär mit der CDU regieren zu wollen. So sagte Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD): „Ich würde sagen, dass es schon eine klare Tendenz gibt für die Fortsetzung.“ Gemeint ist Rot-Rot-Grün (RRG/R2G). Bettina Jarasch (Grüne) formulierte dieses Ziel sogar schon am Wahlabend.

Trotzdem werden beide in den Nachverhandlungen konstant damit drohen können, sich doch mit der CDU zusammenzuschließen – immer dann, wenn die jeweils andere Partei vom eigenen Programm nicht abrücken will.

Wo bleibt die Linkspartei in diesem Machtkampf?

SPD und Grüne hatten, wie es sich gehört, Kai Wegner (CDU) zum Wahlsieg gratuliert. Doch Giffeys „Respekt vor dem Wahlergebnis“ kann nichts Gutes bedeuten. Denn: Es kommt vielleicht nicht zur Erfüllung des klaren Regierungsauftrags, den Wegner aus dem Wahlergebnis liest (obwohl neben 919.000 Nicht- und 12.409 Ungültig-Wähler:innen sowie 605.098 Minderjährigen allein wegen nicht-deutscher Staatsbürger:innenschaft fast ein Viertel der Stadt nicht wählen durfte). Einen Rechtsschwenk in der Politik von Sozialdemokrat:innen und Grünen konnten wir schon vor dem Kuschelkurs mit der CDU konstatieren und werden wir aber wahrscheinlich weiter beobachten.

Das steht nicht im Interesse der Beschäftigten, die die Partei DIE LINKE aber angeblich vertreten will. Schon unter RRG geschah in den letzten 417 Tagen, was zumindest auf dem Papier dem Parteiprogramm entgegensteht:

Die Linkspartei schreibt, sie wolle die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne. Giffey möchte aber nicht in einer Stadt leben, in der so etwas passiert und Jarasch verschleppt den Volksentscheid der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ gekonnt.

DIE LINKE will Berlin zu einer klimaneutralen Stadt machen. Den ÖPNV stärken und Fahrpreise senken sind noble Vorhaben, aber in einer Regierung, die statt der Weiterführung des 9-Euro-Tickets oder gar kostenlosen ÖPNV ein 29-Euro-Ticket einführt und die Teilprivatisierung der S-Bahn weiter vorantreibt, offensichtlich unmöglich.

Die LINKEN möchten Schulen sanieren und neue bauen, doch im Sommer letzten Jahres hat der rot-rot-grüne Senat genau dort 700 Millionen Euro gekürzt. Abschiebungen sollten verhindert werden, aber nirgendwo wird so viel abgeschoben wie in Berlin.

Die Linkspartei macht sich die Tarifbindung für alle Töchter landeseigener Unternehmen auch zur Aufgabe – die effektivste Tarifbindung, die Wiedereingliederung, aber nicht. Denn trotz eines wochenlangen Streiks der outgesourct und Vivantes- und Charité-Kliniken Beschäftigten, verschleppen sie das In-Housing, gemeinsam mit Grünen und SPD.

Die Liste des Geschehenen könnte ewig weitergehen. Doch das Szenario einer Regierung mit Unionsbeteiligung ist noch düsterer. Die Konservativen sind Enteignungsgegner:innen, im Wahlkampf richteten sie sich an Verfechter:innen des Verbrenners und sprachen sich nach der Silvesternacht vor allem für zusätzliche Polizeistellen, gepanzerte Fahrzeuge, die Abschaffung des Landesantidiskriminierungsgesetzes, Bodycams und sogar ein Polizeiehrenmal aus.

Das Rad nicht neu erfinden

Die Aussicht auf eine Regierung unter der Führung der Union ist eine miserable. Doch können wir als Linke stattdessen nicht auf das kleinere Übel eines weiterhin rot-rot-grünen Senats setzen. Denn erstens ist diese Perspektive immer noch übel. Die letzten Legislaturperioden zeigen, dass sie uns aktiv davon abhält, eine politische Alternative aufzubauen, die die Verwaltung all der aufgezählten und etlichen weiteren Missstände nicht mehr mitmachen muss. Und zweitens hat R2G ja erst zur Erstarkung der Rechten geführt. Warum sollte eine erneute R2G-Regierung etwas daran ändern?

2021 hatte sich innerhalb des Berliner Landesverbandes der Linkspartei und unter ihren Unterstützer:innen bereits Widerstand gegen eine Regierungsbeteiligung geregt. „Zusammen für eine Linke Opposition“ hatte dazu aufgerufen, „Lieber richtig in die Opposition, als falsch in die Regierung“ zu gehen – beim Mitgliederentscheid über die Annahme des Koalitionsvertrages also mit „Nein“ zu stimmen.

Berliner Linke in die Opposition!

Wir von Klasse gegen Klasse bieten allen Interessierten die Zusammenarbeit in einer Kampagne an, die sich dagegen richtet, dass die Linkspartei auf Landesebene miregiert. Dieser Aufruf richtet sich an alle Kräfte außerhalb und innerhalb der LINKEN und alle ihre Wähler:innen, die sich ebenfalls gegen eine solche Beteiligung stellen wollen – denn sie wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

In einer solchen Kampagne werden wir allerdings dafür kämpfen, über sie hinauszugehen. Denn nicht nur die Idee einer „oppositionellen“ Regierung ist völlig illusionär, sondern auch die Vorstellung, dass man eine „linke“ Regierung mit etwas Druck von der Straße begleiten könnte. Nur der Aufbau einer oppositionellen Kraft auf der Straße, in den Schulen, Universitäten und vor allem Betrieben, die der Regierung konsequent den Kampf ansagt, kann dafür sorgen, dass wir unsere Interessen tatsächlich durchsetzen können. Wir werden die Kampagne gegen die Regierungsbeteiligung tatkräftig unterstützen und dennoch unermüdlich dafür kämpfen, mit der Linkspartei komplett abzurechnen.

Im Rahmen der „Revolutionärer Bruch“-Konferenz haben Mitte Januar ehemalige Mitglieder der Linksjugend [’solid], der Jugend der Partei, dies schon getan. Sie zogen dabei die Bilanz, dass die „Hauptsache mitregieren“-Strategie ihrer Mutterpartei zum Scheitern verurteilt ist. Einer der wichtigsten imperialistischen Staaten der Welt könne nicht „rebellisch“ mitverwaltet werden. Vielmehr sei die vom Staat, Unternehmen, Gewerkschaftsführungen und NGOs unabhängige Selbstorganisation der Schlüssel zu einer sozialistischen Gesellschaft, die die Wirtschaft im Interesse der großen Mehrheiten demokratisch verwaltet.

Ein Beispiel, dem es zu folgen gilt. Schließlich kommen politische Veränderungen und Erfolge nicht durch etwas linkere Regierungen zustande. Sie sind Produkte konfrontativer Streiks und Aktionen gegen Regierungen – egal, ob diese von der CDU angeführt werden oder die Linkspartei ein Teil von ihnen ist.

Die LINKE und ihre Anhänger:innen muss sich entscheiden, ob sie in Kauf nehmen möchten, durch eine erneute Regierungsbeteiligung weiter Arbeitgeber:innen zu bleiben – nicht zuletzt gegenüber den für Entlastung streikenden Lehrer:innen – oder sich konsequent auf die Seite der Beschäftigten stellen wollen.

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