Ausverkauf der SPD: Posten statt Glaubwürdigkeit

13.01.2018, Lesezeit 6 Min.
1

Union und SPD haben sich ein weiteres Mal zur GroKo zusammengerauft. CDU/CSU setzen repressive Gesetze gegen Geflüchtete durch. Die SPD opfert ihre Wahlversprechen und versucht mit sozialen Kompromissen das Gesicht zu wahren. Die neue GroKo wird kein großer Wurf, der das Bröckeln von Merkels Macht verhindern würde.

„Wir stehen für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung“, sagte Martin Schulz (SPD) nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen. Doch statt der versprochenen Opposition soll es nun vier weitere Jahre GroKo geben. Zu verlockend waren die Minister*innensessel. Zu staatstragend die Granden der SPD, um Angela Merkel im Stich zu lassen. Merkel wird zufrieden mit sich sein. Schien die Regierungsbildung in den letzten Monaten auch eine hochkomplizierte Angelegenheit zu sein, hat sie nun die Weichen für die nächsten vier Jahre gestellt – in vielen Fragen mit einem „Weiter so“.

Union dominiert die Verhandlungen

In den Sondierungsgesprächen hat die Union der SPD ein paar kleine soziale Zugeständnisse gemacht, ohne sich aber auf wichtige Forderungen der Sozialdemokratie wie nach einer Bürgerversicherung und der Erhöhung des Spitzensteuersatzes einzulassen. Gleichzeitig kann sie mit der SPD als zuverlässiger Partnerin eine EU-Politik fahren, die den hegemonialen deutschen Ansprüchen gerecht werden soll. Mit einem Europäischen Währungsfond und einem Investitionshaushalt für die Euro-Zone will sie in enger Abstimmung mit Frankreich die EU in der globalen Konkurrenz stärken. Die außenpolitische Agenda sieht eine Stärkung der deutschen Machtansprüche vor, vermittelt durch die EU: „Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen.“

Während in außenpolitischen Fragen große Einigkeit besteht, konnte die Union der SPD in der Migrationspolitik beliebig ihre Agende diktieren. Die Passagen des 28-seitigen Abschlusstextes der Sondierungen im Bereich der Migration klingen wie von rechten Zyniker*innen geschrieben. Die SPD hatte auf die Wiedereinführung des Familiennachzuges von Geflüchteten bestanden und bekommen – ganze 1.000 Angehörige pro Monat sollen nach Deutschland kommen dürfen. Hunderttausende werden vergeblich auf ein Wiedersehen mit ihren Familien warten. Eine Obergrenze war von der SPD abgelehnt worden. Aber die CSU setzte sich durch mit einer Begrenzung der Zuwanderung auf eine Spanne 180.000 bis 220.000 Geflüchtete.

Bei ihrer Ankunft sollen Asylsuchende in „zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“ untergebracht werden, die sie erst verlassen dürfen, wenn sie eine Bleibeperspektive erhalten. Geflüchtete in diesen Lagern bekommen kein Geld mehr, sondern nur noch Sachleistungen. Zudem sollen Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern ernannt werden, in die schneller abgeschoben werden kann.

Die SPD versucht das Gesicht zu wahren

In einigen sozialen Themen tragen die Sondierungsergebnisse auf den ersten Blick eine sozialdemokratische Handschrift: Es sollen zum Beispiel 8.000 neue Stellen in Pflegeheimen und Krankenhäusern entstehen. Ein kleiner Erfolg, der nicht zuletzt durch die kämpferischen Belegschaften und Fernsehauftritte von Pflegern wie Alexander Jorde erreicht wurde. In Anbetracht der Zahl von über hunderttausend Stellen, die schon heute fehlen, greifen die geplanten Verbesserungen aber viel zu kurz.

Ähnlich die Frage der Bürgerversicherung, die für die SPD eine zentrale Forderung darstellte. Von der Abschaffung der Zwei-Klassenmedizin von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen ist nach den Sondierungsgesprächen keine Rede mehr. Alles was bleibt, ist dass die Krankenkassenbeiträge wieder gleichermaßen von Unternehmen und Angestellten getragen werden. Bei einem monatlichen Bruttogehalt von 3.000 Euro bedeutet das gerade mal eine Ersparnis von 15 Euro für Arbeiter*innen. Bei niedrigeren Löhnen fällt dieser Betrag sogar noch geringer aus.

Wie diese beiden Beispiele der Pflege und Krankenversicherung fallen auch die anderen sozialen Themen wie Rente, Wohnungsbau oder die geplante Einführung von befristeter Teilzeit für die SPD aus – eine Forderung, die aktuell von der IG Metall erhoben wird und mit der anstehenden Koalition ein Stück näher rücken dürfte. Soziale Zugeständnisse, die jedoch an den tieferen Ursachen von Prekarisierung, Niedriglöhnen, drohender Arbeitsplatzvernichtungen oder Altersarmut nichts verändern werden.

Diese Kompromisse versucht die SPD als große Erfolge verkaufen, um das Aufweichen einer ganzen Reihe von Forderungen zu rechtfertigen. Ein SPD-Parteitag in Bonn wird nach den jetzigen Sondierungen am 21. Januar über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen diskutieren. Teile der Partei wie die Jusos wollen dagegen stimmen. Sobald der endgültige Koalitionsvertrag steht, muss er in einer SPD-Mitgliederbefragaung angenommen werden. Wie aber schon bei der letzten GroKo dürfte die Parteispitze genug Vorarbeit leisten, um die Mehrheiten auf ihre Seite zu ziehen.

Das Bröckeln der Volksparteien

Trotz einiger Reformen wird sich die bevorstehende GroKo insbesondere durch Kontinuität in Fragen wie Prekarisierung und Profitmaximierung der Konzerne, autoritären Tendenzen nach Innen sowie einer aggressiveren Außenpolitik auszeichnen. Mit ihrem Rechtsruck versucht die Union ein weiteres Abbröckeln ihrer Basis in Richtung AfD zu verhindern. Auf der anderen Seite dürfte die SPD mit kleinteiligen sozialen Zugeständnissen ihr Gesicht so weit gewahrt haben, um ein Auseinanderdriften ihrer Partei vorerst abzuwenden.

Die Kompromisse, die Union und SPD ausgehandelt haben, haben das Potential, die GroKo die nächsten vier Jahre noch stabil genug zu tragen. Trotzdem wird sich die Überdrüssigkeit mit der Alternativlosigkeit Merkels vertiefen, da eine neue GroKo nicht willens sein wird, die sozialen Fragen der Arbeiter*innen im Kern anzugehen. Die SPD, wird sich nicht, wie vollmundig von Schulz versprochen, als „Bollwerk der Demokratie“ in der Opposition wieder regenerieren können. Die Rolle der größten Oppositionspartei im Bundestag geht dafür an die AfD über, die mit ihrer Demagogie die reaktionären Bevölkerungsschichten momentan besser auffangen kann als die Union. Die neue Regierung wird die kleinste „Große Koalition“ aller Zeiten werden. Es ist durchaus möglich, dass sie bei der Bundestagswahl in vier Jahren keine Mehrheit mehr hinter sich bringen kann. Die nächste Amtsperiode Merkels könnte damit auch ihre letzte werden.

Mehr zum Thema