Ausstempeln oder streiken? Für einen politischen Klima-Generalstreik der Gewerkschaften!

07.08.2019, Lesezeit 6 Min.
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Die Nachricht verbreitete sich gestern wie ein Lauffeuer: ver.di-Chef Frank Bsirske unterstützt Fridays for Future. Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß: Zum Streik aufrufen wird er die ver.di-Mitglieder nicht. Dabei ist genau das die einzig richtige Antwort auf die Klima-Krise.

Seit Monaten streiken Schüler*innen und Studierende mit Fridays for Future für eine andere Umweltpolitik. Nach einem halben Jahr der Proteste ist die Frage des Klimawandels zwar in aller Munde, doch die Forderungen der Bewegung – geschweige denn eine völlig andere Art zu wirtschaften – wurden noch nicht durchgesetzt. Umso progressiver ist, dass die Bewegung inzwischen auch die Beschäftigten weltweit aufruft, sich dem Streik anzuschließen: für einen “Klima-Generalstreik” am 20. September.

Damit es tatsächlich dazu kommt, müssen auch die Gewerkschaften für die Idee des Klimastreiks gewonnen werden. Doch bisher hatten diese sich mit Zusagen zurückgehalten. Aber gestern bekundete Frank Bsirske – der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die mit fast zwei Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Gewerkschaft in Deutschland ist – seine Unterstützung für FFF. Der Presse sagte er:

Wir werden zur Teilnahme an den Veranstaltungen aufrufen. Es geht darum, Flagge zu zeigen – wir brauchen ein deutlich konsequenteres Handeln der Politik beim Klimaschutz.

Ich muss zugeben, beim ersten Lesen habe ich mir verwundert die Augen gerieben. Hat da gerade die zweitwichtigste Gewerkschaft Deutschlands angekündigt, im September in den Streik zu treten? Hatten sie sich beim Frauen*streik vor wenigen Monaten nicht noch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, zum Streik aufzurufen, weil man ja keine “politischen Streiks” machen dürfe? Haben sie etwa ihre Position geändert? Das wäre eine Sensation.

Doch meine positive Verwunderung hielt nur wenige Sekunden an. Denn Bsirske weiter:

Wir rufen natürlich nicht zu einem ordentlichen Streik auf, das geht nicht. Es wird auch nicht jeder seine Arbeit unterbrechen können. Aber wer kann, sollte ausstempeln und mitmachen. Ich werde jedenfalls hingehen.

Dann folgte bei mir erst eine Mischung aus purer Ernüchterung und Wut: Während die allermeisten Beschäftigten, die ver.di organisiert, sicher nicht “ausstempeln” (oder gar Urlaub nehmen) können, um zu protestieren, geht Bsirske in seiner eigenen Arbeitszeit als ver.di-Chef – bezahlt von unseren Mitgliedsbeiträgen – auf die Demo? Will der uns verarschen?

Immerhin: ver.di ruft zur Teilnahme an den Demonstrationen auf. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist gut, wenn eine Organisation mit zwei Millionen Mitgliedern die Proteste unterstützt, das gibt Legitimität. Darauf kann und muss man aufbauen.

Doch von der Legitimität allein kann sich FFF nicht viel kaufen. Das haben wir jetzt schon gesehen: Alle möglichen Leute unterstützen die Forderungen oder finden die Bewegung sympathisch, doch gleichzeitig bewegt sich umweltpolitisch überhaupt nichts, Katastrophen-Schlagzeilen türmen sich, und nebenbei macht Mercedes Rekordumsätze.

Aus symbolischer Unterstützung einen wirklichen Streik machen!

Um wirklich Bewegung in die Auseinandersetzung um den Klimawandel zu bringen, brauchen wir größere Waffen. FFF bezieht sich schon längst darauf: Wir brauchen den Generalstreik. Anders gesagt: Die Arbeiter*innen – also diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren und an den Schalthebeln der Weltwirtschaft sitzen – müssen ihre Arbeit niederlegen, um das Kapital und den Staat (bzw. die Staaten) dazu zu zwingen, die Kosten für die Klima-Krise zu bezahlen und wirklich radikale Maßnahmen wie die Verstaatlichung des gesamten Energie-, Transport- und Logistiksektors, der Metall- und Elektroindustrie, ihre demokratische Verwaltung durch die Arbeiter*innen und ihre Kontrolle durch die Nutzer*innen durchzusetzen.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, geschuldet vor allem der verbrecherischen Politik der Gewerkschaftsführungen, sich von einer realen Mobilisierung und dem Aufruf zum politischen Streik fernzuhalten. Die Bürokratien der Gewerkschaften haben kein Interesse daran, aus dem Bereich der Symbolpolitik herauszutreten und die Kräfte von Millionen von Arbeiter*innen in den zentralen Industrie- und Dienstleistungssektoren zu entfesseln. Wie schnell könnte eine andere Klimapolitik durchgesetzt werden, wenn der gesamte Nahverkehr, der gesamte Fern- und Güterverkehr, alle Fließbänder in der Automobilbranche, alle Hochöfen, alle Kraftwerke usw. Still stünden?

Dass es möglich ist, große Massen von Arbeiter*innen für eine andere Klimapolitik zu mobilisieren, hat die IG Metall unlängst gezeigt, als sie Ende Juni mehr als 50.000 Beschäftigte zu einer #Fairwandel-Kundgebung für einen ökologischen Wandel mit Beschäftigungssicherung zusammengebracht hat – allerdings an einem Samstag, ohne Streik.

Auch das ist ein Anfang, aber über Symbolpolitik geht auch das nicht hinaus. Die IG Metall sträubt sich, genau wie ver.di und alle anderen Gewerkschaften – selbst die Lehrer*innengewerkschaft GEW – gegen den Aufruf zu Streiks für eine andere Klimapolitik. Um das zu ändern, und um aus der symbolischen Unterstützung einen wirklichen Streik aufzubauen – als Schritt zu einem politischen Generalstreik, der das ganze Land lahmlegt –, ist es notwendig, eine systematische Politik an der Basis der Gewerkschaften zu entwickeln, um Arbeiter*innen für einen Streik zu organisieren.

Für Versammlungen an allen Arbeitsplätzen, um über Streiks zu entscheiden!

An anderer Stelle haben wir geschrieben: “Der erste Schritt dafür wäre, dass die FFF-Bewegung auf die Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen an den Schulen zugeht und sie für einen gemeinsamen Streik organisiert. Wenn nicht nur hunderttausende Schüler*innen, sondern auch zehntausende Lehrer*innen in ganz Deutschland streiken würden, wäre das ein wichtiges Signal, um auch weitere Sektoren der Arbeiter*innenbewegung zu inspirieren.”

Der Fakt, dass Gewerkschaften wie ver.di und die GEW in der Öffentlichkeit ihre Unterstützung für FFF bekunden, muss als Stützpfeiler dafür dienen, an der Basis der Gewerkschaften – in allen Schulen, Unis und Betrieben – ein Bündnis mit engagierten Gewerkschafter*innen aufzubauen, um an allen Arbeitsplätzen und in allen Gewerkschaftsgremien eine Diskussion darüber zu eröffnen, wie diese Unterstützung tatsächlich praktisch werden kann. Die Aussage von Bsirske kann dazu genutzt werden, zu Versammlungen aufzurufen, um unter allen Kolleg*innen zu diskutieren, wie man sich kollektiv und effektiv am 20. September beteiligen kann. In diesen Versammlungen kann auch die Debatte eröffnet werden, wie den Gewerkschaftsführungen ein politischer Streik aufgezwungen werden kann.

Das ist der erste Schritt, damit die Devise nicht mehr “ausstempeln” heißt, sondern: Streik!

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