„Antikapitalismus“ ist ein Eiertanz

14.07.2015, Lesezeit 9 Min.
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// DEBATTE: Wie sollen sich RevolutionärInnen organisieren? Sieben Fragen und Antworten für eine Zwischenbilanz der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO). //

Was ist die NAO?

Im März 2011 wurde ein Aufruf in die Welt gesetzt: Deutschland brauche eine „Neue Antikapitalistische Organisation“. Bis zum Ende jenes Jahres wurde eine Gruppe mit 1.000 Mitgliedern angepeilt. Auf dieser Grundlage begann ein Diskussionsprozess, an dem sich bis zu zehn kleine und vorwiegend trotzkistische Gruppen beteiligten. Das Resultat zweieinhalb Jahre später: ein programmatisches Manifest – und eine Spaltung. Denn nur vier Gruppen trugen den Text mit. Im Februar 2014 kam es trotzdem zur Gründung einer NAO in Berlin.

Jetzt, nach mehr als vier Jahren, existiert die NAO in Berlin als eine Formation mit einigen Dutzend Mitgliedern. Doch sie befindet sich in einer tiefen Krise: Auf der einen Seite sind die Gruppe Arbeitermacht (GAM) und ihre Jugendorganisation REVOLUTION (Revo), auf der anderen Seite alle anderen Gruppen sowie Einzelpersonen. Erklärungen dazu liegen noch nicht vor, aber beide Seiten sprechen schon vom Scheitern des Prozesses.

Was konnte die NAO erreichen?

In den letzten Jahren gab es durchaus Aufsehen erregende Aktionen der NAO, etwa der Revolutionäre 1. Mai in Kreuzberg oder die „Waffen für Kurdistan“-Kampagne. Doch die politische Grundlage dieser Auftritte war die Mystifizierung reformistischer Projekte im Ausland: etwa die Veranstaltung am 14. Juni 2013 über die „Aufstände in Südeuropa“, die eine völlig unkritische Haltung zu Syriza einnahm, oder die Veranstaltung am 25. April 2014 über Podemos im Spanischen Staat, die sich auf Jubel für eine bürgerliche Regierungspartei auf Abruf beschränkte. Die „Internationalismustage“ am 25. und 26. Oktober 2014 brachten viele reformistische Projekte zusammen, ohne irgendwo eine revolutionäre Kritik zu formulieren. So konnte die NAO kein revolutionäres Profil gewinnen, sondern betrieb immer einen zentristischen Eiertanz.

Dazu war der Bezug der NAO zum Klassenkampf bestenfalls sporadisch – bei den wichtigsten Kämpfen der ArbeiterInnenklasse glänzte „der Prozess“ in der Regel durch Abwesenheit. Der zentrale Grund dafür ist, dass die NAO aufgrund der unterschiedlichen Strategien ihrer Mitglieder keinerlei gemeinsame Perspektive für die ArbeiterInnenklasse anbietet – und deshalb notwendigerweise passiv bleiben muss, wenn sich die Klassenauseinandersetzungen verschärfen.

War die NAO ein Projekt für RevolutionärInnen?

Gruppen wie der RSB, die isl oder die SYKP gehörten nur formell dem NAO-Prozess an, in Wirklichkeit waren sie nur von einzelnen Personen vertreten. Die GAM und Revo verstehen sich als „revolutionärer Pol“ innerhalb der NAO. Stimmt das? Nur bedingt. Anstatt dafür zu kämpfen, dass sich revolutionäre Positionen als Linie der Organisation durchsetzen, entwirft die GAM Positionen, die für die verschiedenen Flügel der NAO annehmbar sind. Wenn die GAM im Namen der NAO spricht, vermeidet sie systematisch die Frage nach dem Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei.

Das unterscheidet sich von der Methode revolutionärer MarxistInnen zur Umgruppierung. Als zum Beispiel Leo Trotzki und die Linke Opposition in den 30er Jahren versuchten, die MarxistInnen neu zu sammeln, gründeten sie einen „Block der Vier“ mit anderen Organisationen. In der programmatischen Erklärung dieses Blocks ging es um die wichtigsten Fragen der damaligen Epoche – den Sieg des Faschismus in Deutschland, den Aufstieg des Stalinismus in der Sowjetunion und die Gründung der Vierten Internationale.

Die Diskussion innerhalb der NAO klammerte jedoch gerade die zentralen Fragen für RevolutionärInnen heute – wie etwa den Umgang mit Neoreformismus à la Syriza – systematisch aus. Stattdessen ging es darum, jeweils einen politischen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Die GAM vermied es über all die Jahre, die Kampagnen der NAO zu kritisieren – was ein „revolutionärer Pol“ unbedingt hätte machen müssen. Diese Art von systematischer politischer Vagheit nannte Leo Trotzki eine „Verwischung der Gegensätze zwischen den verschiedenen Tendenzen“, was für ihn „die wesentliche Funktion des Zentrismus“ darstellte.

Ist eine Umgruppierung der Linken nicht sinnvoll?

Doch, unbedingt! Aber die Frage ist, auf welcher politischen Grundlage diese Umgruppierung stattfindet. Die NAO konnte nicht dazu beitragen, die Reihen der RevolutionärInnen zu vergrößern. Im Gegenteil: Zurück bleibt die alte Zersplitterung – ergänzt um neue Verbitterung.

Viele GenossInnen der NAO meinen dennoch, dass es richtig war, dieses Projekt auszuprobieren.

Die deutsche NAO ist dabei ein sehr kleines und relativ spätes Beispiel für eine internationale Reihe von gescheiterten Versuchen, breite antikapitalistische Parteien zu gründen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich, die 2009 mit bis zu 10.000 eingeschriebenen Mitgliedern gegründet wurde. Doch die NPA verfügte über keine gemeinsame Strategie und jedes Ereignis im Klassenkampf stellte die Partei vor eine Zerreißprobe. Mittlerweile hat sie etwas mehr als 1.000 aktive Mitglieder – ist also bedeutend kleiner als die alte trotzkistische Gruppe, die die NPA ins Leben rief.

Diese „neuen antikapitalistischen“ Projekte gehen von der Idee aus, dass die „alte“ marxistische Strategie des revolutionären Aufstandes der ArbeiterInnenklasse veraltet und deshalb eine „neue” Strategie der Zusammenführung von BefürworterInnen und GegnerInnen bürgerlicher Linksregierungen nötig sei. Doch die damit erwünschte „Schlagkraft” verpufft, wenn keine Einigkeit darüber besteht, wer, wie, wann geschlagen werden soll.

Unsere GenossInnen der Revolutionär-Kommunistischen Strömung (CCR) in Frankreich nehmen zwar an der NPA teil – doch tun sie das im ständigen politischen Kampf gegen die Parteimehrheit für die Durchsetzung eines revolutionären Programms und einer entsprechenden Praxis. Ihr explizites Ziel ist der Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei – angesichts der kapitalistischen Krise ein nötigeres Ziel denn je.

Umgruppierungsprojekte machen dann Sinn, wenn sie auf der Grundlage der zentralen Fragen des Klassenkampfes vorgehen. Die GenossInnen von Revo betonen richtigerweise in einem anderen Kontext, dass sie „Klarheit vor Einheit“ brauchen – innerhalb der NAO kommt diese Auffassung aber nicht im Geringsten zum Tragen.

Die NAO mag zentristisch sein, aber steht ihr das als Einheitsfront nicht zu?

Die NAO ist weit davon entfernt, eine Einheitsfront zu sein – es handelt sich um einen Block, der gemeinsame Propaganda macht, aber nicht für revolutionäre Projekte, sondern für die YPG, für Syriza, für Podemos. Der linke Flügel der NAO – also die GAM und Revo, die als Mehrheit keine „Opposition“ bilden – mag eine kritische Haltung zu diesen Projekten in ihrer Zeitung verkünden. Doch in der Öffentlichkeit setzt auch er die angepasste, zentristische Linie der NAO um. Wie Trotzki sagen würde, haben sich die GAM und Revo leider die Hände binden lassen.

Wir dagegen haben die Möglichkeit, mit den Kräften der NAO gemeinsame Aktionen zu machen, ohne unsere Kritik um einen Deut zurückstellen zu müssen. Eine Einheitsfront beruht nämlich auf einer gemeinsamen Aktion für einen begrenzten politischen Zweck, ohne eine politische Unterordnung unter eine gemeinsame programmatische Linie. Solche Aktionen bedeuten für uns aber nicht, im Vorfeld eine gemeinsame Organisation vorauszusetzen.

Auch wenn die Aussichten schlecht sind, muss man es nicht trotzdem versuchen?

Die Suche nach Einheit durch vage Formulierungen über „neuen Antikapitalismus“ zeugt letztendlich von dem Wunsch nach einer Abkürzung auf dem Weg zu einer revolutionären Partei. Sicherlich ist dieser Aufbauprozess nicht linear und macht immer wieder Sprünge. Doch Umgruppierungen, die nicht auf gemeinsamen Tests im Klassenkampf beruhen, werden nicht nur schnell wieder zerfallen: Die „Anticapitalist Initiative“ aus Großbritannien (ein ähnlich kleines Projekt wie die NAO) ist nicht nur zusammengebrochen, sondern führte ihre Mitglieder in die kleine reformistische Partei „Left Unity“. Ein vergleichbares Ende hatte die „Neue Antikapitalistische Linke“ (NAL) aus Tschechien. Und die Liga für die Fünfte Internationale (die internationale Strömung der GAM) hat in diesen Erfahrungen viele Mitglieder verloren – sodass sie eine fast ausschließlich deutsch-österreichische Strömung geworden ist. Wir können an all diesen Projekten kein Vorbild für RevolutionärInnen erkennen.

Wie sollte eine Umgruppierung also aussehen?

Eine gemeinsame Organisation ist immer Ausdruck eines gemeinsamen Programms – und zwar nicht nur eines Schriftstücks, sondern einer gemeinsamen Praxis, in der sich das Programm ausdrückt. Die Organisationsgründung ist immer das Ende eines politisch-programmatischen Klärungsprozesses – nicht, wie im Fall der NAO, der Anfang.

Verschiedene Gruppen mit revolutionärem Anspruch sollten sich bemühen, so eng wie möglich bei ihren Interventionen im Klassenkampf zusammenzuarbeiten. Es sind die gemeinsamen Schlussfolgerungen aus den großen Ereignissen des Klassenkampfes, die Einheit ermöglichen. Mit dem „Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution“ haben wir einige der unserer Meinung nach wichtigsten Schlussfolgerungen zur Diskussion gestellt. Mit programmatischer Unnachgiebigkeit und taktischer Flexibilität konnte unsere internationale Strömung, die Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI), eine Reihe von neuen, schlagkräftigen Gruppen aufbauen, etwa die MTS in Mexiko, die MRT in Brasilien oder die PTR in Chile.

„Neuer Antikapitalismus“ ist demgegenüber kein gutes Banner, sondern eine strategische Sackgasse. Wir möchten der GAM und Revo erneut Diskussionen anbieten, um revolutionäre Schlussfolgerungen aus der negativen Erfahrung zu ziehen.

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