Amazon: Größter Streik beginnt wild

23.04.2020, Lesezeit 6 Min.
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Am Dienstag sind in den USA mehr als 350 Amazon-Beschäftigte in den Streik getreten. Sie hatten sich krank gemeldet und wollen das den gesamten Rest der Woche weiterhin tun.

In den mindestens 130 Amazon-Lagern der USA, in denen der Betrieb fast ungeachtet der höchsten Ansteckungs- und Todesraten weltweit aufrecht erhalten wird, kann schon länger nicht mehr von Alltag die Rede sein. Kürzlich war ans Licht geraten, dass 75 Mitarbeiter*innen im größten Lager des multinationalen Unternehmens positiv auf Corona getestet worden waren, was dem Rest der Belegschaft verschwiegen worden war. Daraufhin hatten diese dahingehend Druck ausgeübt, dass sich auch Saison- und Teilzeitbeschäftigte, die einen Großteil der Belegschaft ausmachen, unter vollem Lohnausgleich krank melden können – mit Erfolg. Doch Amazon schränkte die Regelung ein: Sie gelte nur für den Fall, erwiesenermaßen mit dem Covid-19 infiziert zu sein.

Es ist allgemein bekannt, dass viele der Infektionen ohne jegliche Symptome verlaufen. Zudem fehlt es überall an Tests. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass eine solche Handhabung eine Ausbreitung in den Reihen der Arbeitenden und ihrer Familien mehr als wahrscheinlich macht.

23,6 Milliarden Dollar Profit, keinen Cent für die Sicherheit der Angestellten

Wegen Covid-19 haben Geschäfte in vielen Ländern geschlossen. Zudem sind weltweit Menschen – freiwillig oder nicht – in Quarantäne. Beides kam dem Online-Riesen zugute. Denn wann wird mehr online bestellt als in Zeiten, in denen man viele Waren nirgendwo anders kriegt? Zu welchem Zeitpunkt wählen Menschen die Option, sich Güter nach Hause liefern zu lassen, statt sie selbst dorthin zu befördern, wenn nicht jetzt?

Die Lieferung von allen nicht wirklich notwendigen Gütern wie Haushaltswaren und medizinischen Produkten wurde in Frankreich per Gesetz verboten. Das wäre für Jeff Bezos, Geschäftsführer des multinationalen Unternehmens und reichster Kapitalist der modernen Geschichte, nicht nötig gewesen: Er priorisiert aktuell sowieso deren Lieferung. Seine Motivation ist jedoch nicht Menschlichkeit, sondern Profit. Denn Bezos profitiert von der Pandemie: Während in den USA im letzten Monat 22 Millionen Menschen arbeitslos geworden sind und damit ihre Existenzgrundlage verloren haben, ist er um 23,6 Milliarden Dollar reicher geworden.

Der Sicherheit seiner Angestellten kommt davon kein Cent zugute. Sie müssen rund um die Uhr arbeiten. Unter dem zusätzlichen Druck des Akkordzwangs können grundlegende Hygienestandards wie 20-sekündiges Händewaschen nicht eingehalten werden. Vor zwei Wochen hatte Amazon den Beschäftigten Masken und regelmäßige Temperaturchecks versprochen – bei den meisten Betroffenen kamen sie aber nie an. Dort wo sie es taten, kam es vermehrt dazu, dass Kolleg*innen fiebersenkende Medikamente wie Tylenol zu sich nahmen, um nicht unbezahlt nach Hause geschickt zu werden.

Und um das Horrorszenario zu vervollständigen: Wer diese miserablen Arbeitsbedingungen beklagt, wird gefeuert. So erging es zum Beispiel Chris Smalls, der in Staten Island (New York) einen Protest gegen die Firma, für die er zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre gearbeitet hatte, organisierte.

Diese Zustände lassen die Beschäftigten sich nicht gefallen. In den USA haben sich mehr als 350 von ihnen am Dienstag krank gemeldet und somit eine traditionelle Protestform der Arbeiter*innenklasse, das Walkout (ein gemeinsames Verlassen der Fabrik), an die aktuelle Situation angepasst. Der wilde Streik soll die ganze Woche anhalten. Am Freitag wollen Ingenieur*innen und Programmierer*innen des Online-Händlers ihre Arbeit ebenfalls niederlegen. Ihre Forderungen: gewerkschaftsfeindliche Praktiken beenden, gekündigte Kolleg*innen wieder einstellen.

Die Belegschaften fordern in erster Linie, dass alle Werke für die nächsten zwei Wochen geschlossen werden und sie währenddessen vollen Lohn ausgezahlt bekommen und von dem Unternehmen krankenversichert werden. Andernfalls stünde man vor der Wahl zwischen Pest und Cholera, so Smalls: „Wir sollten nicht gezwungen werden, zur Arbeit zu gehen oder für ein Quarantänegehalt einen positiven Test vorweisen zu müssen oder sonst unbezahlt zuhause zu bleiben. Das ist keine Option. Es hilft uns nicht finanziell und stellt daher keine Lösung des Problems dar“.

Athena, ein relativer loser Zusammenschluss von Amazon-Beschäftigten, hat bereits verkündet, den Streik fortzusetzen, wenn Amazon nicht für ausreichend Mundschutz, Handschuhe, Desinfektionsmittel und die häufigere Reinigung der Arbeitsplätze sorgt.

Der Kampf für Sicherheit und Hygiene ist ein Kampf um Arbeiter*innenkontrolle

In einer Situation, in der in den USA über 22 Millionen neue Arbeitslose registriert wurden und Schwarze und Latinx-Communitys besonders von den Folgen der Krise betroffen sind, sind Leuchtturmbeispiele wie das der kämpferischen Arbeiter*innen von Amazon dringend notwendig – besonders, wenn Trump eine von Milliardär*innen, die ihre Profite angegriffen sehen, finanzierte Kampagne für die Wiederaufnahme der Produktion startet. Die Arbeiter*innen von Amazon, die – wie viele andere – an der Front gegen die Pandemie kämpfen, wissen selbst am Besten, welche Notfallmaßnahmen ergriffen werden müssen, um die notwendige Sicherheit und Hygiene dafür sicherzustellen, dass sie weiterhin liefern und Kund*innen weiterhin empfangen können.

Die Aktion der hunderten Beschäftigten, die im ganzen Land koordiniert wurde, ist wahrscheinlich einer der größten koordinierten Aktionen in der Streikgeschichte gegen den multinationalen Riesen Amazon. Und diese mutige Aktion steht in einer Reihe vieler weiterer Proteste in den vergangenen Wochen, die vor allem zwei Forderungen aufstellen: Lohnfortzahlung bei Krankmeldung und Schutzausrüstung. Beides sind zentrale Forderungen, damit die Krise nicht auf die Arbeiter*innen abgewälzt wird.

Um sie umzusetzen, ist es notwendig, nicht nur für diese Forderungen zu streiken, sondern den Kampf für Sicherheits- und Hygienekommissionen der Arbeiter*innen aufzunehmen, die die Umsetzung dieser Forderungen überwachen und die Kontrolle darüber ausüben, wer arbeitet und wie gearbeitet wird – und perspektivisch auch, was überhaupt produziert wird.

Smalls machte seinen ehemaligen Kolleg*innen im Gespräch mit Left Voice Mut: „Wehrt euch. Habt keine Angst. Wir haben Macht. Dieses Gebäude würde ohne uns nicht funktionieren.“ Tatsächlich kann ohne uns, die Arbeiter*innenklasse, gar nichts funktionieren.

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