200 Menschen diskutieren am OSI über Israelkritik und Antisemitismus

17.02.2017, Lesezeit 7 Min.
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Am Mittwoch hatte die Leitung des OSI der Freien Universität Berlin zu einer Podiumsdiskussion geladen, um anlässlich der Vorwürfe gegenüber der Lehrbeauftragten Eleonora Roldán Mendívil über die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus zu sprechen. Während der stellvertretende Geschäftsführer Prof. Dr. Bernd Ladwig keinen Hehl aus seiner politischen Motivation machte und damit ihre Suspendierung rechtfertigte, gab es auch Lichtblicke in der Diskussion, auf die aufgebaut werden kann.

Der Doppelraum im Erdgeschoss der Ihnestraße 21 war prall gefüllt, bis ins Foyer standen interessierte und diskussionsfreudige Zuhörer*innen: Die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Israelkritik und die Grenzen der akademischen Diskussionsfreiheit“ war der vorläufige Höhepunkt einer aufgeladenen Debatte um Antisemitismusvorwürfe gegenüber der Lehrbeauftragten Eleonora Roldán Mendívil, die das Institut und die akademische Landschaft in Deutschland seit Januar beschäftigen.

Auf dem Podium saßen inklusive der Diskussionsleitung acht Personen, doch Worte der Solidarität mit Eleonora waren dort rar gesät. Nur Prof. Dr. Cilja Harders und ihre ehemalige Mitarbeiterin Dr. Shelley Harten verurteilten die übereilte Entscheidung der Geschäftsführung des OSI, Eleonora ohne ein klärendes Gespräch vorerst keinen weiteren Lehrauftrag zu erteilen. Die beiden waren auch die einzigen, die immer wieder betonten, dass die Debatte um legitime Israelkritik in Deutschland viel zu einseitig geführt wird.

„Eine solche Person kommt mir nicht ins Haus“

Ein Prachtexemplar ebendieser einseitigen Diskussion stand im Zentrum der Podiumsdiskussion: Prof. Dr. Bernd Ladwig, Professor für Moderne Politische Theorie und aktuell stellvertretender Geschäftsführer des Otto-Suhr-Instituts, hatte im Januar die Stellungnahme verfasst, die der betroffenen Lehrbeauftragten bis auf Weiteres die Erteilung von Lehraufträgen verwehrt. Am Mittwoch Abend rechtfertigte er sich auf vielfältige Weise für diese Entscheidung. Rechtfertigungen, die vor allem eins zeigten: Die angebliche „wissenschaftliche Klärung“, auf die bis zu einer erneuten Entscheidung gewartet wird – aktuell schreibt Prof. Dr. Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, ein Gutachten über Eleonora –, spielt für ihn tatsächlich kaum eine Rolle. Im Gegenteil: Ob die Äußerungen der Lehrbeauftragten antisemitisch gewesen seien oder nicht, sei ihm „ehrlich gesagt egal“. Der bloße Umstand, dass die Kritik am israelischen Staat Bestandteil einer „antisemitischen Umwegskommunikation“ sei und dadurch „Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt gekränkt“ würden, die Israel als „Heimstadt der Hoffnung“ wahrnähmen, reiche ihm aus. Zwischenrufe und eine Wortmeldung einer jüdischen Person aus dem Publikum, die sich davor verwahrte, von dieser Position vereinnahmt zu werden, irritierten Ladwig kaum. Angesichts seiner Kooperation mit der „Hebrew University“ und anderen israelischen Universitäten „kommt mir eine solche Person nicht ins Haus“.
Diesen Interessenkonflikt gab auch der Dekan des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Alexander Görke, zu, der die Diskussion leitete: Es gäbe „Druck aus dem Fachbereich insgesamt, von mehreren Instituten, die mit Israel kooperieren“.

Doch nicht nur die politische Interessiertheit Ladwigs, sondern auch die emotionale Schärfe, mit der er immer wieder seine Position klarmachte, ließ indes gerade die „nötige Distanz und Objektivität“ vermissen, die er im Falle von Eleonora anzweifelt. Shelley Harten kommentierte dazu: „Positionen, die israelkritisch sind und ebenso emotionale Reaktionen haben, sitzen hier nicht auf dem Podium.“

Überhaupt schade, dass über Eleonora nur in Hypothesen gesprochen wurde. Tatsächliche Diskussion anhand ihrer Aussagen fand nicht statt, nur einige Begriffe (wie Apartheidsstaat, Besatzungsstaat oder Kolonialprojekt) wurden aufgerufen. Dieser Umstand wurde auch aus dem Publikum kritisiert. Doch Ladwig redete sich wieder einmal mit der ausstehenden wissenschaftlichen Prüfung heraus.

Auf die Frage, welche Definition von Antisemitismus für die Prüfung denn zugrunde gelegt werden würde, antwortete das Podium kontrovers. Während Prof. Ladwig und der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Carten Koschmieder mehrfach auf die sogenannte „3D-Definition“, die auf den rechtskonservativen Likud-Abgeordneten Natan Sharansky zurückgeht, Bezug nahmen, betonten Harders und Harten, dass diese Definition umstritten und solch pauschale Definitionen für Antisemitismus nicht sinnvoll seien. Doch auch diesen Schuh wollte Ladwig sich nicht anziehen. Denn dass Sharanskys Definition „von rechts“ komme, sei ihm egal, „Hauptsache, das Argument ist gut“. Eine solche Herangehensweise, die den materiellen und politischen Hintergründen politischer Theorien die Bedeutung abspricht, ist jedoch für einen Politik-Professor ziemlich erbärmlich.

Lichtblicke der Debatte

Doch es gab auch Lichtblicke in der Debatte. Shelley Harten, die sich viel mit der Vorstellung des Zionismus in Israel und Palästina beschäftigt, betonte, dass die Debatte eine völlig falsche Zuspitzung erfahren habe:

„Die Frage ist weniger, ob es am OSI viel Antisemitismus gibt, sondern viel mehr, wie man auf eine produktive Art und Weise am OSI über palästinensische Politik und Gesellschaft forschen kann. Manche würden sagen, wahrscheinlich gar nicht, das finde ich falsch.“

Zugleich stellte die Forscherin heraus, dass verschiedene Begriffe, die in der deutschen Debatte tabuisiert sind (wie beispielsweise Apartheid) oder sehr monolithisch verstanden werden (wie Zionismus), in Israel sehr viel diverser diskutiert werden. Sie kritisierte, dass es in der Deutschen Forschungsgesellschaft fast unmöglich sei, differenzierte Forschung zu diesen Themen finanziert zu bekommen.

Auch Harders kritisierte Ladwigs Position: „Die Gleichsetzung Israels mit der „Heimstatt der Hoffnung“ ist der knifflige Punkt, weil ja genau der im Herzen der Debatte ist.“ Demgegenüber forderte sie erstens, „Aktivismus aus der Universität nicht auszuschließen“, und mahnte an, dass am Institut mehr Debatten und mehr Veranstaltungen zum Thema – mit besonderer Berücksichtigung postkolonialer und dekolonialer Perspektiven – stattfinden müssten. Ihr Credo: „Kritik muss möglich sein.“

Neben den kritischen Einlassungen von Harders und Harten meldeten sich aus dem Publikum viele kritische Stimmen, die sich – mal mehr, mal weniger implizit – mit Eleonora solidarisch zeigten. Unter anderem kritisierte eine junge Frau, dass an deutschen Universitäten einerseits AfD-Politiker wie der HU-Professor Markus Egg unterrichten dürfen und sich die Universitätsleitung hinter ihn stellt, während im Fall von Eleonora eine Vorverurteilung stattgefunden hätte. Eine andere Teilnehmerin merkte aus dem Publikum ebenfalls an, dass gerade post-/dekoloniale Perspektiven es durch diese Positionierung weiterhin an deutschen Universitäten schwer haben – noch dazu wenn es sich um junge Frauen wie die Betroffene handelt, die nun größere Schwierigkeiten in der akademischen Welt haben wird, weil sie „in einer sehr schwierigen Art und Weise gelabelt ist“, wie auch Harders feststellte. Deshalb wäre es nötig gewesen, „dass das OSI sich hinter seine Lehrbeauftragten stellt.“

Wie weiter?

In der Debatte fehlte gänzlich – mit Ausnahme einiger Zwischenrufe aus dem Publikum – eine Position, die artikuliert hätte, wie die palästinensische Bevölkerung sich von der Besatzung befreien kann. Dass Eleonora Roldán Mendívil im kommenden Semester nicht am OSI sein wird, wird diese Situation nicht verbessern – mit ihr teilen wir unsere Solidarität mit dem palästensischen Befreiungskampf, auch wenn wir nicht der gleichen Meinung sind, was die Strategien dieser Befreiung angeht.

Doch die Debatte am Mittwoch zeigte auch: Es ist nicht alles verloren am OSI. Die Debatte um Palästina-Solidarität ist weiterhin offen, und wir werden uns auch im nächsten Semester an den Auseinandersetzungen darum beteiligen.

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