20.000 gegen Mieten-Urteil: Wohin mit der Wut?

16.04.2021, Lesezeit 7 Min.
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Alle Fotos: Simon Zamora Martin

Am Donnerstagvormittag kam die Meldung, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel für nichtig erklärt hatte. Nur acht Stunden später demonstrierten bis zu 20.000 wütende Berliner:innen gegen dieses Urteil durch die Stadt. Wie kann daraus eine Bewegung werden, die das Ziel bezahlbarer Mieten tatsächlich erreicht?

Dass mitten in der dritten Corona-Welle so viele Menschen spontan auf die Straße gingen, zeigt, wie groß die Wut ist und wie groß das Problem der steigenden Mieten in Berlin. Diese Wut richtete sich vor allem gegen die großen Wohnungskonzerne und die Spekulant:innen, die mit einem Grundbedürfnis Reibach machen. Einerseits war die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel präsent. Andererseits war das gekippte Berliner Gesetz für viele ein Anlass, erst recht die Enteignung von Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. zu fordern. Ein von Klasse Gegen Klasse organisierter Block war zudem mit der Forderung nach einer entschädigungslosen Enteignung gut sichtbar. Am Ende zeigte dann die Polizei des Senats mit einigen martialischen Aktionen, was sie von den Forderungen hält.

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Das Bundesverfassungsgericht ist nicht neutral

Bemerkenswert ist, dass sich der Protest in diesem Fall auch gegen das Verfassungsgericht wendet, das in der Öffentlichkeit oft als „neutral“ oder gar als Bollwerk gegen problematische Entscheidungen der Politik angesehen wird. Doch das Bundesverfassungsgericht ist – ebenso wie die Parlamente und die Regierung – Teil des bürgerlichen Staatsapparats, dessen zentrale Aufgabe darin besteht, die Stabilität der bürgerlichen Herrschaft zu garantieren. Nicht umsonst ist der Schutz des Privateigentums im Grundgesetz festgelegt.

Mit dem gestrigen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht seinen bürgerlichen Charakter (erneut) offengelegt. Offizielle Begründung für die Ablehnung des Berliner Mietendeckels ist die Tatsache, dass es mit der „Mietpreisbremse“ bereits eine bundesweite Regelung in diesem Bereich gibt und damit die Länder keine abweichenden Gesetze erlassen dürften. Doch inwiefern die Bundesgesetze die zulässige Höhe der Mieten „abschließend regeln“, ist letztendlich Interpretationssache. Und das Verfassungsgericht interpretiert es entsprechend den bestehenden Kräfteverhältnissen und seiner eigenen undemokratischen Zusammensetzung. Richter:innen, insbesondere in so hohen Positionen, sind gut bezahlte Staatsbedienstete. Und sie werden von Parlamenten gewählt, deren soziale Zusammensetzung ebenfalls alles andere als repräsentativ ist. 86 Prozent der Berliner:innen wohnen zur Miete. Wie hoch ist wohl der Prozentsatz unter Verfassungsrichter:innen?

Gleichzeitig impliziert das Urteil, dass ein bundesweiter Mietendeckel Bestand haben könnte. Doch die Verfassungsrichter:innen haben sich auch die Möglichkeit offen gehalten, eine bundesweiten Regelung in Zukunft für verfassungswidrig zu erklären. Denn sie haben explizit nur die Frage der Zuständigkeit des Landes Berlin geprüft. Die in der Klage von CDU und FDP ebenfalls ins Spiel gebrachte Frage, ob es sich um einen unzulässigen Eingriff ins Eigentumsrecht handle, wurde überhaupt nicht untersucht.

Ein ähnliches Problem könnte auftreten, wenn der Berliner Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne tatsächlich in ein beschlossenes Gesetz mündet. Solange der Druck der Mieter:innen und vor allem der Arbeiter:innenklasse nicht groß genug ist, würde auch dieses Gesetz vom Verfassungsgericht gekippt werden. Eine Strategie, die sich allein auf die Sammlung von Unterschriften und die parlamentarischen Verfahren und Rechtsgutachten verlässt, kann also ebenso vor die Wand fahren, wie wir es jetzt mit dem Mietendeckel gesehen haben. Deshalb braucht es kontinuierliche Mobilisierungen bis hin zu Streiks, um die Forderung nach Enteignung und bezahlbaren Mieten durchzusetzen.

Die Hoffnungen in Grün-Rot-Rot im Bund werden sich nicht erfüllen

Der bundesweite Mietendeckel ist zwar eine der Forderungen, die durch das neue Urteil aufgekommen sind – aber es glaubt wohl niemand daran, dass die aktuelle Bundesregierung dieser Forderung Gehör schenken wird. Schließlich war die CDU maßgeblich an der Verfassungsklage beteiligt, die die Berliner Regelung torpedierte.

Impliziter Teil der Forderung ist also, dass eine neu gewählte Bundesregierung diese umsetzen soll. Da die Krise der CDU sich in den letzten Wochen verschärft, werden wohl immer mehr Menschen Hoffnung auf eine Koalitionsregierung von SPD und Linken unter Führung der Grünen haben. Wenn die Berliner Regierungsparteien um Bund an der Macht wären, könnten sie ja leicht einen umfassenden Mietendeckel beschließen.

Doch der Berliner Mietendeckel war ja weniger ein lang geplantes Projekt von Rot-Rot-Grün, als eine spontane Reaktion auf die lauter werdende Mieter:innen-Bewegung, die zu radikaleren Maßnahmen greifen wollte. Nur weil die Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen” so große Aufmerksamkeit auf sich zog und 2019 Demonstrationen mit bis zu 40.000 Teilnehmer:innen organisieren konnte, wurde das Gesetz auf den Weg gebracht. Um also dieser Bewegung für die massenhafte Vergesellschaftung von Wohnraum den Boden zu entziehen, entwickelte die RRG-Regierung den Mietendeckel – und ließ sich währenddessen besonders lange mit der Bearbeitung des Volksbegehrens Zeit.

Außerdem war es eine Rot-Rote Regierung, die Anfang der 2000er-Jahre selbst tausende Wohnungen privatisierte und damit die heutigen Probleme deutlich verschärft hat. Harald Wolf von der Linkspartei war ab 2002 stellvertretender Bürgermeister und unter anderem Senator für Wirtschaft. Damit war er maßgeblich für die Privatisierung von fast 200.000 Wohnungen verantwortlich. Er ist dafür nicht etwa aus der Partei geflogen, sondern hat weiter Karriere gemacht – erst kürzlich wurde er wieder als Teil des Parteivorstands bestätigt.

Auch damals wurden SPD und Linkspartei für ihr Versprechen einer sozialeren Politik gewählt – welche Garantie gibt es, dass sie sich diesmal auf Bundesebene daran halten werden?

Auch jetzt machen beide Parteien nicht den Eindruck, als wenn sie mit allen Mitteln für die Durchsetzung ihres eigenen Gesetzes eintreten würden. Ihre Reaktion auf das Urteil bestand im Wesentlichen daraus, es zu akzeptieren und daraus eine Wahlempfehlung für GRR bei der Bundestagswahl zu stricken. Sicher werden viele Linkspartei-Mitglieder auf der spontanen Demo gewesen sein, doch eine starke Mobilisierung durch den Parteiapparat war nicht zu erkennen (von der SPD ganz zu schweigen). Auch für die kommenden Tage wurden keine Demos oder Kundgebungen angekündigt.

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Mobilisierungen sind unsere einzige Chance – und die Gewerkschaften müssen mitziehen!

Wohin also mit der berechtigten Wut, die am Donnerstag Tausende auf die Straße trieb? Die Mieter:innen-Initiativen, die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen, sowie alle Arbieter:innenorganisationen und Gewerkschaften sollten die neue Dynamik nutzen und möglichst bald zu neuen Aktionen für die Beibehaltung des Mietendeckels und die Enteignung der Wohnungskonzerne organisieren. Zu den zentralen Forderungen sollte auch gehören, dass das Verfassungsurteil zurückgenommen wird – und der Berliner Senat das Urteil solange nicht anerkennen sollte und er jegliche Nachzahlungen durch Mieter:innen verhindert oder die Kosten selbst trägt. Das Geld muss im Zweifelsfall durch eine höhere Besteuerung der Vermieter:innen eingeholt werden.

Insbesondere die Mobilisierungskraft der Gewerkschaften und Druck durch Streiks werden notwendig sein, um all diese Maßnahmen wirklich durchzusetzen. Dafür müssen so viele Betriebsgruppen und aktive Gewerkschafter:innen wie möglich in die Bewegung gezogen werden – und sie sollten auch ihre Gewerkschaftsführungen dazu aufrufen, nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern mit all ihren Ressourcen und Möglichkeiten für den Mietendeckel und die Enteignung zu kämpfen.

In diesem Sinne wird von einem Bündnis linker und gewerkschaftlicher Organisationen, darunter auch KGK, bereits ein Enteignungsblock für die Demonstrationen am 30. April und am 1. Mai organisiert. Doch bis dahin sollte nicht gewartet werden: Auch in den kommenden Tagen sollte es möglichst breite Aktionen geben, um den Druck aufrecht zu erhalten. Anstatt auf Mobilisierungen zu verzichten und sich auf Petitionen, Parlament und Justiz zu verlassen, muss es heißen: “Jetzt erst recht! Holen wir uns die Stadt zurück!”

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Foto: Simon Zamora Martin

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