1.200 deutsche Soldat*innen in Syrien

02.12.2015, Lesezeit 6 Min.
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Die herrschende Klasse benutzt die brutalen Anschläge von Paris als Ausrede, um „mehr Verantwortung in der Welt“ zu übernehmen. Gestern wurde im Kabinett der Bundeswehreinsatz beschlossen.

Alles soll ganz schnell gehen. Am vergangenen Mittwoch traf Angela Merkel (CDU) in Paris Francois Hollande und kündigte die Unterstützung Deutschlands beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) an. Am Tag darauf kündigte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine Reihe von Maßnahmen zur „Unterstützung Frankreichs“ an.

Dazu gehört die Entsendung mehrerer Tornado-Aufklärungsjets und der Fregatte „Hamburg“ vor die syrische Mittelmeerküste, sowie das Aufstocken der in Mali stationierten Truppen auf 650 Soldat*innen.

Am Sonntag stellte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, seine genauen Vorstellungen zum Kriegseinsatz vor: bis zu 1.200 Soldat*innen werden für einen Einsatz solcher Ausmaße benötigt.

Größter Bundeswehr-Einsatz

Am Dienstag kam das Bundeskabinett zusammen und stimmte dem Auslandseinsatz zu. Damit muss nur noch der Bundestag abstimmen, und Deutschland würde direkt militärisch in den Syrien-Krieg intervenieren. Mit dieser Truppenstärke wird es sogleich der aktuell größte Bundeswehr-Einsatz sein.

Das Mandat soll wie üblich auf ein Jahr angelegt sein und wird 134 Millionen Euro pro Jahr kosten. Doch schon jetzt wird aus Kreisen der Bundeswehr das Offensichtliche ausgesprochen: der Kampf gegen den IS wird evtl. über zehn Jahre gehen.

Die Beispiele aus Afghanistan, Irak und Libyen bestätigen eindrucksvoll diese Aussage. In keinem der Fälle sorgten die imperialistischen Interventionen für „Stabilität und Sicherheit“ – die ausgegebenen Ziele der Einsätze. Im Gegenteil.

Afghanistan wird noch heute von der NATO besetzt gehalten. Erst kürzlich zerstörte ein US-Militärflieger absichtlich ein Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ und löschte zwei Dutzend Menschenleben aus. Heute fliehen die hunderttausenden Afghan*innen nicht nur vor den Taliban, sondern vor den schrecklichen Bedingungen der imperialistischen Besatzung: Zerstörung, Mord, Armut, Elend.

Die Besatzung des Irak und die imperialistische Politik, welche die sunnitische Bevölkerung vollkommen aus dem politischen Leben ausschloss, führten gemeinsam mit dem Niedergang des Arabischen Frühlings und dem Scheitern der Varianten des „moderaten Islamismus“ zum Aufkommen des IS. Die Tatsache, dass sich dieser erzreaktionäre Zusammenschluss aus dem berechtigten Hass gegen den Imperialismus nährt, ist der zynische Beweis dafür, dass die imperialistische Zerstörung dessen Aufstieg ermöglichte.

Die imperialistischen Interventionen vergrößerten nicht nur die Zerstörung und das Leid der Massen im Nahen und Mittleren Osten, sondern verursachten auch die Gefahr der eigenen Bevölkerung, Opfer von Terroranschlägen zu werden. Diese wurden dann, wie im Fall von 9/11 oder den kürzlichen Anschlägen von Paris aus einer militaristischen Logik heraus als Grund für einen verstärkten Militäreinsatz benutzt.

Spirale des Militarismus

Aber was macht die Bundeswehr dort? Tatsächlich kommt es der herrschenden Klasse sehr gelegen, sich wieder an einem Krieg zu beteiligen. Das zeigt die Geschwindigkeit, mit der die Entscheidungen gefällt wurden und die Einigkeit, die darüber in der Regierungskoalition herrscht – selbst in der „Flüchtlingskrise“ gibt es keinen so klaren Konsens.

Schon seit einigen Jahren sprechen die bürgerlichen Politiker*innen von der Notwendigkeit, stärker ins „Weltgeschehen einzugreifen“. Bundespräsident Joachim Gauck machte diese militaristische Position mit seinen Rufen nach „mehr Verantwortung“ auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2013 salonfähig. Der Skandal um die unzureichende und mangelnde Ausrüstung und Wartung der Bundeswehr im vergangenen Jahre diente auch von der Leyen dazu, die Notwendigkeit zu betonen, größere Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Mit einer Millionenkampagne zulasten der Steuerzahler*innen versucht die Bundeswehr derzeit, neue Rekrut*innen zu gewinnen

In den letzten Jahren hat der deutsche Imperialismus immer aggressiver um die Unterwerfung neuer Gebiete in seiner Peripherie (Süd- und Osteuropa) und darüber hinaus gekämpft. Dabei trat er auch immer offener mit dem sich im Niedergang befindenden US-Imperialismus in Konflikt, wie die Schuldenkrise in Griechenland offenlegte. Andererseits beteiligte sich Deutschland auch rege an den diplomatischen Verhandlungen zwischen den USA und Kuba um das Fallenlassen des Wirtschaftsembargos sowie im Falle des Irans um das Atomabkommen. Jetzt will die herrschende Klasse auch in Syrien ein ernsthaftes Wort über die kommenden Entwicklungen mitreden können. Ein größeres militärisches Engagement ist deshalb nur die Folge der gesteigerten Ansprüche des deutschen Imperialismus der letzten Jahre.

Und die Linke?

Nach einer Umfrage von YouGov fürchten 71 Prozent der Bevölkerung, dass die Anschlagsgefahr mit einem Bundeswehreinsatz zunehmen wird. In Frankreich häufen sich die Demonstrationen, die sich gegen die Einschränkung demokratischer Freiheiten durch den Ausnahmezustand richten. Am vergangenen Wochenende wurde dort eine Demonstration mit harter Repression und der Festnahme von fast 300 Aktivist*innen beantwortet. Die Bevölkerung teilt nicht den Wunsch der herrschenden Klasse, die brutalen Anschläge mit einer Militäreskalation zu beantworten, die das Elend der syrischen Bevölkerung nur vergrößern wird. Auch im Spanischen Staat fanden am vergangenen Wochenende Demonstrationen unter dem Mott „Nicht in meinem Namen“ statt, die sich gegen den Krieg, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und die Einschränkung demokratischer Freiheiten aussprachen.

Auch in Deutschland hält ein bedeutender Teil der Arbeiter*innen und Jugendlichen die Militärintervention der Bundeswehr für falsch. Doch sie bleiben passiv. Währenddessen protestieren wöchentlich die fortschrittlichsten Teile der Jugend gegen Rassist*innen von AfD, Pegida oder der NPD. Sie waren es auch, die am 19. November zu Tausenden für die Solidarität mit den Geflüchteten die Schule und Universität bestreikten. Doch es wird keine Verbindung gesucht. Die revolutionäre Linke hat es zur Aufgabe, mit einer anti-imperialistischen und anti-militaristischen Kampagne an den Schulen, Universitäten, Arbeitsplätzen und in den Gewerkschaften eine massive Bewegung gegen den Krieg, den Rassismus von Staat und Nazis und für die Geflüchteten aufzubauen. Das Geld für den Bundeswehr-Einsatz sollte dafür benutzt werden, dass kein*e Geflüchtete*r mehr in einem Zelt schlafen muss. Eine solche Bewegung, bewaffnet mit einem konkreten anti-militaristischen Programm kann die Pläne des deutschen Imperialismus durchkreuzen.

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