Jetzt erst recht: Solidarität mit dem Neupack-Streik

17.04.2013, Lesezeit 8 Min.
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// Die Manöver der IGBCE werden dreister //

Im sechsten Monat des Streiks beim Verpackungsmittelhersteller Neupack in Hamburg werden die wirklichen Fronten immer klarer: Die Ideologie der Sozialpartnerschaft sorgt dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie der IGBCE sich auf einen Schulterschluss mit der Geschäftsführung vorbereitet, während die streikenden Beschäftigten das Nachsehen haben.

Die IGBCE-Führung jubelte am Freitag in ihrer 52. Streik-Info über den Stand der Verhandlungen mit der Geschäftsführung: Es sei ein „Durchbruch“ gelungen, weil neben einer „Regelungsabsprache“ – deren rechtlicher Status sich weit unter der Forderung der Streikenden nach einem Tarifvertrag befindet – nun endlich eine Maßregelungsvereinbarung auf dem Tisch liege. Die Geschäftsführung will also offiziell Abmahnungen zurückziehen und auf Gerichtsverfahren gegen die Streikenden verzichten. Es gibt nur ein kleines Problem: Die wichtigsten Fälle sind davon ausgenommen, so zum Beispiel die Anschuldigungen an den Betriebsratsvorsitzenden Murat Güneş, einen Abteilungsleiter körperlich angegriffen zu haben, oder an fünf Beschäftigte von Neupack aus dem Rotenburger Werk, die StreikbrecherInnen beleidigt haben sollen. Anstatt jedoch das Fallenlassen der Anklagen gegen die StreikaktivistInnen und insbesondere gegen Güneş, unbestreitbar eine der wichtigsten Personen im Streik, zur Ausgangsbedingung für weitere Verhandlungen zu machen (ganz zu schweigen von der Forderung nach einem Tarifvertrag, die die IGBCE-Führung schon lange begraben zu haben scheint), frohlockte IGBCE-Bürokrat Ralf Becker: „Dieser Durchbruch entspricht dem, was der Hauptvorstand zuvor als Marschrichtung festgelegt hatte.“

Doch neben diesem offensichtlichen Verrat an den Interessen der Streikenden – aus dem sich die IGBCE mit dem Argument herausredet, dass es sich um strafrechtliche Verfahren handle, die vor Gericht gewonnen werden könnten – leistete sich die IGBCE vergangene Woche noch ein weiteres Manöver, welches ihr wahres Gesicht offenbarte: Das Streikzelt, in welchem sich seit Monaten Streikende und solidarische AktivistInnen getroffen hatten, um zu diskutieren und eine Anlaufstelle für UnterstützerInnen zu bieten etc., wurde abgebaut. Also der einzige Ort, der nach dem Beginn des Flexi-Streiks – oder der „Flexi-Verarsche“, wie viele Streikende diese Taktik mittlerweile bezeichnen – noch übrig geblieben war, um sich regelmäßig auszutauschen und Solidarität zu zeigen, da die Streikenden ja in den letzten drei Monaten sehr viel mehr arbeiten mussten als tatsächlich zu streiken. Das Manöver war clever arrangiert: Zunächst ordnete die IGBCE-Führung die Verlegung des Streikzelts auf einen anderen Teil des Betriebsgeländes an. Offiziell war es dann eine Beschwerde der Umweltschutzbehörde, die die IGBCE zum Anlass nahm, das Zelt komplett abzubauen. Die Streikenden, die das Zelt nie freiwillig aufgegeben hätten, wurden damit vor vollendete Tatsachen gestellt: Es gab offiziell keinen Ort, an dem sie es legal wieder errichten durften. Die IGBCE bemühte sich auch nicht darum, dies zu ändern. Als Ersatz gab es lediglich einen Bürocontainer, in den nur ein Bruchteil der Personen passt, die sonst im Zelt Platz gefunden haben. Damit torpediert die IGBCE-Führung die Ausdauer der Streikenden und vor allem auch die Arbeit des Hamburger Solikreises. Dieser ist ihr seit langem ein Dorn im Auge, da er der Gewerkschaftsführung stets skeptisch gegenüberstand und sie spätestens seit Beginn der Flexi-Taktik offen kritisiert. Es handelt sich also in mehrfacher Hinsicht um ein offensichtliches Manöver zur Schwächung des Streiks, denn die Arbeit des Solikreises war in den letzten Monaten ein wichtiger Faktor für das Durchhaltevermögen der Streikenden.

Angesichts des dreisten und schädlichen Vorgehens der IGBCE wird die streikende Belegschaft immer frustrierter (siehe zum Beispiel kürzlich den offenen Brief eines türkischen Kollegen an die Gewerkschaft, dokumentiert auf labournet.de). Bei der Mitgliederversammlung am Freitag, den 12. April, hatte die IGBCE noch das Scheitern der Verhandlungen verkündet und neue Streikaktionen ausgerufen, woraufhin die KollegInnen, die schon in der Vergangenheit immer wieder Kritik an der Streikführung der Gewerkschaftsbürokratie geübt hatten, das Gefühl hatten, dass es wieder vorwärts gehen würde. Nach einem eintägigen Streik am vergangenen Montag wurde der Streik aber wieder gedeckelt – augenscheinlich war die IGBCE der Meinung, dass ein eintägiger Pseudo-Streik nach über drei Monaten „Flexi-Streik“ reichen würde, um die angestaute Wut der KollegInnen wieder zu besänftigen.

Jetzt erst recht: Die Solidarität verstärken!

Die große Gefahr besteht nun in der Demoralisierung der Streikenden. Nach wie vor hat der Streik nur eine positive Lösung für die Beschäftigten, und das ist ein Tarifvertrag. Die SolidaritätsaktivistInnen, die vor allem in Hamburg, zum Teil in anderen Städten und seit kurzem auch in Berlin, nach Kräften versuchen, die Streikenden zu unterstützen, stehen deshalb vor der Mammut-Aufgabe, gerade jetzt ihre Solidaritätsanstrengungen nicht abebben zu lassen sondern eher noch zu verstärken, um den Streikenden einen neuen Impuls zu geben, den Verrat ihrer Führung nicht zu akzeptieren. Dass genug Wut da ist, zeigt der schon erwähnte offene Brief.

Die Linke in Deutschland muss selbstkritisch eingestehen, dass sie diesem Streik, der zu einem Symbol des Durchhaltevermögens der Beschäftigten im Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen geworden ist, bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. In den ersten Monaten des Streiks hat der Hamburger Solikreis viele kraftvolle Aktionen organisiert, doch in anderen Städten Deutschlands wurde der Streik abseits einmaliger Solidaritätserklärungen kaum beachtet.
Gerade die Teile der radikalen Linken, die über eine gewisse Verankerung in Betrieben verfügen, hätten einerseits die Möglichkeit, starke Solidarität seitens kämpferischer Belegschaften zu organisieren, andererseits hätten sie sogar eine Verbindung zu gleichzeitig stattfindenden Arbeitskämpfen herstellen können. Davon gab es in den vergangenen fünf Monaten so einige, darunter z. B. auch Streiks am Hamburger Flughafen. Das gilt sowohl für große Organisationen, wie linkere Sektoren innerhalb der Linkspartei oder auch die in vielen Betrieben vertretene MLPD, aber ebenso für kleinere trotzkistische Gruppen, die sich oft abstrakt für die Verbindung verschiedener Kämpfe aussprechen aber in den letzten Monaten keine konkreten Schritte bezüglich Neupack unternommen haben. Selbst auf politisch-ideologischer Ebene herrscht Schweigen. Obwohl der Kampf längst den Rahmen einer kleinen ökonomischen Auseinandersetzung gesprengt hat, beschäftigen sich die wenigsten linken Gruppen überhaupt mit Neupack. Noch weniger setzen der sozialpartnerschaftlichen Logik der IGBCE etwas entgegen, obwohl dies auch von außen leicht anhand der verfügbaren Berichte machbar wäre.

Auch in Berlin hat sich erst kürzlich – und gemessen an den bedeutenden Entwicklungen bei Neupack eigentlich viel zu spät – ein Solikreis gegründet, der nach einer ersten Solidaritätskundgebung Anfang April nun vor der Aufgabe steht, kämpferische Sektoren der Berliner Linken und der Gewerkschaftsbewegung für mehr Solidarität zu mobilisieren. Doch überall in Deutschland müssen gerade jetzt die Solidaritätsanstrengungen verstärkt werden, damit die Beschäftigten nicht demoralisiert das magere „Angebot“ der IGBCE annehmen, sondern ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag neuen Druck verleihen.

Aber so groß die Solidarität aus anderen Städten noch werden mag: Der Hamburger Solikreis besitzt eine besondere Verantwortung. Insbesondere sollte nicht kampflos akzeptiert werden, dass der Streik durch den Abbau des Streikzelts so entscheidend geschwächt wurde. Im Gegenteil, die Devise muss sein: Jetzt erst recht! Im Rahmen des Berliner Solikreises haben wir bisher nur bescheidene Kräfte, doch wenn der Hamburger Solikreis Protestaktionen organisiert, um gegen diese Provokation seitens der IGBCE-Führung zu mobilisieren, werden wir unser Möglichstes tun, um auch aus Berlin Unterstützung zu leisten.

Damit dieser Streik zu einem Erfolg wird, ist es notwendig, die antibürokratischen Elemente in ihm zu stärken, indem die Streikenden die Führung ihres Kampfes selbst übernehmen. Solidarische AktivistInnen haben eine große Aufgabe, diese Tendenzen nach Kräften zu unterstützen und voranzutreiben. So kann dieser Streik ein Signal für die gesamte ArbeiterInnenklasse in Deutschland werden, als Startpunkt einer antibürokratischen, klassenkämpferischen Strömung in den Gewerkschaften.

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