Ein neuer Kalter Krieg?

16.03.2015, Lesezeit 8 Min.
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// UKRAINE: Die schärfsten geopolitischen Spannungen seit dem Ende des Kalten Krieges vertiefen sich. Die Aufgabe der Linken ist es derweil nicht, Merkels Verhandlungskurs zu unterstützen oder sich auf die Seite der pro-russischen Volksrepubliken zu stellen, sondern eine unabhängige Perspektive der ArbeiterInnenklasse zu schaffen. //

Um die Jahreswende 2013/14 brannten in den Straßen Kiews die Barrikaden, ehe Präsident Janukowitsch am 21. Februar aus Kiew floh und den Weg nach Russland über die Krim suchte. Einen Tag später erklärte ihn das Parlament für abgesetzt – wohlgemerkt verfassungswidrig, da die ukrainische Verfassung ein langwieriges Amtsenthebungsverfahren vorsieht.

Genau ein Jahr später reiste Bundespräsident Joachim Gauck nach Kiew, um „ein Zeichen der Solidarität mit der ukrainischen Demokratiebewegung“ zu setzen. Es ist freilich vielmehr ein Zeichen der Solidarität mit einem neuen Regime von OligarchInnen, das sich mithilfe faschistischer Milizen an die Macht putschte. Zentral für die deutsche Regierung ist jedoch der pro-westliche Charakter der neuen ukrainischen MachthaberInnen.

Ein pro-westliches Regime vor den eigenen Toren, das möglicherweise NATO-Mitglied werden könnte? Damit wollte sich der russische Präsident Wladimir Putin nicht abfinden. Die Folgen waren die Besetzung der Krim durch das russische Militär, ein offener Krieg im Donbass zwischen der ukrainischen Armee und pro-russischen Kräften und damit einhergehend die tiefsten geopolitischen Spannungen seit dem Ende des Kalten Krieges.

Deutsche Beziehungen zu den USA…

Die geopolitischen Dimensionen sind dabei vielschichtig und beschränken sich nicht auf das Schema „Der Westen“ gegen Russland. Das wurde einmal mehr auf der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar deutlich, als von Seiten der USA scharfe Töne Richtung Deutschland gespuckt wurden. Insbesondere aus konservativen Kreisen des Washingtoner Politbetriebes war bis zum jüngsten Waffenstillstand die Forderung laut geworden, die ukrainische Armee mit „Defensivwaffen“, unter anderem Panzerabwehrraketen, zu bestücken. Somit sollte der Preis für Putin hochgetrieben werden und die Verhandlungsposition gegenüber Russland gestärkt werden.

Während sich US-Präsident Barack Obama noch zurückhielt und die Waffenstillstandsverhandlungen abwarten wollte, sprachen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr wichtigster europäischer Verbündeter, der französische Präsident François Hollande, strikt gegen Waffenlieferungen aus. Dafür wurde Merkel vom einflussreichen US-Senator John McCain, ehemaliger republikanischer Präsidentschaftskandidat, „Dummheit“ attestiert.

Zwar wollen die USA wohl kaum in einen militärischen Konflikt in Osteuropa direkt intervenieren. Dafür sind sie selbst zu sehr damit beschäftigt, ihre Hegemonie in ihren halbkolonialen Einflussbereichen aufrecht zu erhalten, insbesondere im Nahen Osten. Zudem brächte ein Eingreifen in den unmittelbaren Einflusssphären Deutschlands und Russlands unkalkulierbare Risiken mit sich. Dennoch können sie durch eine aggressive Linie gegenüber Russland dazu beitragen, einen schwelenden Konflikt am Laufen zu halten und damit sowohl Deutschland als auch Russland unter Druck setzen.

Im Gegensatz zu Deutschland ist für die USA der Handel mit Russland unbedeutend. Daher will die USA mit einer konfrontativen Haltung die Interessen ihres Kapitals durchzusetzen, während Deutschland versucht, die Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen mit Russland und geopolitischen Interessen gegen Russland zu finden. Die Anspannung, die über den richtigen Umgang mit Russland im westlichen Lager entsteht, zeigt sich auch bei der transatlantischen Militärallianz NATO. Insbesondere die USA waren es, die darauf gedrängt haben, zusammen mit den Europäern eine schnelle Eingreiftruppe in Osteuropa zu stationieren, die nun 30.000 SoldatInnen umfassen wird. Währenddessen wird in bürgerlichen Leitmedien und Think-Tanks angesichts der Uneinigkeit der NATO und ihrer Unfähigkeit, Putins Militärinterventionen zu stoppen, die Frage nach der Zukunft des Militärbündnisses gestellt.

…und zu Russland

Bundespräsident Joachim Gauck hatte schon bei der letztjährigen Münchener Sicherheitskonferenz angekündigt, Deutschland müsse „mehr Verantwortung in der Welt übernehmen“. Dieser Aufgabe hat sich nun Merkel persönlich angenommen, als es darum ging, den Waffenstillstand auszuhandeln. In der Tat hat Deutschland kein Interesse an einer Ausweitung des Konflikts. Deutschlands Ziel ist es nicht, den momentan fest im Sattel sitzenden Putin von seinem hohen Ross zu stoßen, sondern gegenüber Russland und den USA seinen eigenen Einfluss in der Ukraine und Europa auszubauen. Ein heißer Konflikt, der für das militärisch schwache Deutschland auch gefährlich nah vor der eigenen Haustüre steht, erschwert die Pläne für die ökonomische und politische Dominanz über die Ukraine.

Dennoch hat die EU nach dem jüngsten Waffenstillstand an einer neuen Stufe der Sanktionen gegen Russland festgehalten, die weitere Einreisesperren und Kontoeinfrierungen beinhalten. Merkel betonte immer wieder, die Sanktionen bräuchten Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Tatsächlich ist fraglich, wie lange Russland sich den Krieg leisten kann. Die Modernisierung der russischen Wirtschaft wurde jahrelang vernachlässigt, wodurch Russland in hohem Maße auf die Deviseneinnahmen des Erdölexportes angewiesen ist. Im Zuge der niedrigen Ölpreise, geringer ausländischer Investitionen und des Handelsrückgangs durch die Sanktionen stagniert die russische Wirtschaft, bei einem fortschreitenden Kursverfall des Rubels. Dies will der Kreml durch den Rückgriff auf Notreserven und Einsparungen bei Sozialleistungen und öffentlichen Gehältern kompensieren. Gewiss hat Deutschland an einem destabilisierten Russland kein Interesse, bestünde doch die Gefahr von ernsten ökonomischen Verlusten und politischen Turbulenzen. Doch kann es Merkel nur Recht sein, wenn Putin in Zukunft ein wenig kleinlauter auftritt und nicht in der Lage ist, sofort die militärische Karte zu zücken.

Innenpolitische Debatte

Innenpolitisch erhält Merkel breite Unterstützung für ihre Verhandlungsführung. Die deutsche Bourgeoisie spricht zwar in der Frage zum Verhältnis zu Russland nicht unbedingt mit einer Stimme. Für bedeutende Sektoren des Kapitals stellt Russland einen wichtigen Handelspartner dar, insbesondere beim Export von Industriegütern und dem Import von Gas. Einigkeit besteht aber über die Unterstützung des Kiewer Regimes, und dass der Konflikt nicht militärisch, sondern diplomatisch zu lösen sei.

Auch die Linkspartei stellt sich hinter Merkels Verhandlungskurs. So sagte Parteichef Bernd Riexinger: „Wir begrüßen […] außerordentlich die diplomatische Offensive von Frau Merkel und Präsident Hollande.“ Die Verhandlungen sollen aber dazu dienen, dem deutschen Kapital die Ausbeutung der Ukraine zu erleichtern. So beteiligt sich Deutschland mittels des Internationalen Währungsfonds an der Vergabe von Krediten für das pleitebedrohte Kiewer Regime. Dafür werden harte Sparauflagen vorausgesetzt: Das jüngste Wirtschaftsprogramm, das Ende Dezember im ukrainischen Parlament für die nächsten fünf Jahre beschlossen wurde, sieht unter anderem die Entlassung von zehn Prozent der öffentlich Bediensteten, die teilweise Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystems und die Schließung und Privatisierung von dutzenden Kohlebergwerken vor.

Die Positionierung der Linken

Es ist nicht die Aufgabe von Linken in Deutschland, sich den Verhandlungen und Spardiktaten der Merkel-Regierung unterzuordnen. Aber wie sollten wir uns zu den Volksrepubliken von Donezk und Lugansk verhalten? Die Volksrepubliken entstanden als ein pro-russisches Projekt, unter Führung von Teilen der ostukrainischen Bourgeoisie, Staats- und GewerkschaftsbürokratInnen und pro-russischen NationalistInnen, unterstützt durch russische Militärs und Geheimdienste. Ihre Perspektive ist eine moskauhörige Ordnung, in der die ArbeiterInnenklasse ähnlich repressive Maßnahmen wie im Westen des Landes erwarten kann. Alle Kommandeure eint das erzreaktionäre, von der russisch-orthodoxen Kirche beeinflusste Weltbild, welches stark homophob und frauenfeindlich geprägt ist.

Die Bekämpfung explizit faschistischer Bataillone auf Kiewer Seite, wie das Asow- oder Donbass-Bataillon, darf nicht bedeuten, einen Kampf für die nationalistischen „Volksrepubliken“ zu führen oder gar eine offene und „offizielle“ Intervention Putins einzufordern. Keine der beiden Seiten vertritt die Interessen des Proletariats – auch nicht die pro-russischen Kräfte, von denen einzelne einen „antifaschistischen“ Diskurs pflegen. Dieser „Antifaschismus“ – welcher keineswegs den Kapitalismus bekämpfen will – ist mit Nationalismus getränkt. Er verkennt ebenso, dass das Regime um den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko keine „faschistische Junta“ darstellt, wie die Moskauer Propaganda behauptet.

Demgegenüber betonen revolutionäre MarxistInnen die Unabhängigkeit und die Einheit des ukrainischen Proletariats. Die ArbeiterInnen in der Ost- und Westukraine müssen vereint für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einstehen. Dafür brauchen sie ein Programm, das gegen die Entlassungen, Privatisierungen und Sozialkürzungen vorgeht und perspektivisch für die Enteignung der OligarchInnen sowie die Vergesellschaftung der Banken und Konzerne unter Kontrolle der ArbeiterInnen eintritt. Gegen die Unterdrückung durch die imperialistischen NATO-Staaten und die Großmacht Russland setzen wir die Losung der vereinten Sowjetrepublik Ukraine. Für die deutsche Linke gilt es derweil – gemäß Karl Liebknechts Aussage „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ – die verbrecherische Rolle des deutschen Imperialismus aufzuzeigen. Forderungen, die sich daraus ergeben sind: Für die Streichung der Schulden! Für ein Ende der Sparauflagen! Gegen die Unterstützung des Kiewer Regimes!

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