Argentinien: Studierende und Beschäftigte kämpfen gegen extrem rechten Präsidenten

22.04.2024, Lesezeit 4 Min.
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1.300 Studierende und Dozierende bei einer Vollversammlung an der Psychologischen Fakultät der UBA. Quelle: La Izquierda Diario

Am morgigen 23. April werden unzählige Student:innen gegen die Angriffe auf die Bildung demonstrieren. Ende der Woche wird ein riesiges, offenes Treffen von Beschäftigten, Arbeitslosen, Versammlungen und Studis stattfinden. Dann kommt der Generalstreik.

Studierende, Dozent:innen und andere Hochschulbeschäftigte werden beim morgigen „landesweiten Bildungsmarsch“ in mehreren argentinischen Städten die öffentliche Bildung gegen die Sparpläne der extrem rechten Regierung von Javier Milei verteidigen. Zuvor waren sie an dutzenden Unis im ganzen Land zu Tausenden in Versammlungen zusammengekommen. Einige Studi-Vertretungen1 konnten durch den Druck von unten gezwungen werden, zu den Treffen und der Mobilisierung aufzurufen. Dieser Druck war so groß, nachdem es selbst an der renommierten Universidad de Buenos Aires (UBA) zu Strom-„Ausfällen“ gekommen war. Die radikalistische2 Leitung der Universität hatte selbst zu der Maßnahme gegriffen, den Strom abzustellen, statt die Regierung Milei für das Einfrieren der Gelder für die Universitäten scharf zu kritisieren und ihr die Stirn zu bieten. Der Hintergrund dieses Verhaltens ist, dass sowohl der Radikalismus als auch der Peronismus3 gerade ein neues „Omnibusgesetz“ mit der Regierung Milei verhandeln, das auch eine Arbeitsreform beinhaltet. Währenddessen funktionieren die Aufzüge und Toiletten in den Bildungseinrichtungen nicht. Lehrende werden nur noch zur Hälfte krankenversichert. Sie können es sich nicht leisten, die andere Hälfte der anfallenden Beiträge aus eigener Tasche zu bezahlen.

Auch Student:innen beklagen, nicht genügend Geld für Fahrkarten, zum Essen, für Miete und Kopien zu haben. Trotzdem sprechen sie sich gegen die Vorschläge aus, für den Bildungsetat die Renten zu verringern und von ausländischen Kommiliton:innen Studiengebühren zu verlangen. Sie fordern, stattdessen durch eine Erhöhung des Universitätshaushaltes um 140 Prozent sicherzustellen, dass nicht ausgerechnet Arbeiter:innenkinder de facto gezwungen werden, ihr Studium abzubrechen. Zudem geben Dozierende Kurse jetzt vermehrt im öffentlichen Raum.

Zu Samstag, den 27. April, rufen Nachbarschafts-, studentische und Rentner:innenversammlungen sowie grüne, feministische, Menschenrechts-, Behinderten- und Kulturorganisationen, die Arbeitslosenbewegung, die politische Linke, und viele weitere dazu auf, sich auf der zentralen Plaza de Mayo in der Hauptstadt Buenos Aires zu versammeln. Sinn und Zweck des Zusammenkommens ist die Koordination, um die Attacken Mileis erfolgreich abwehren zu können.

Was es in Vorbereitung für den landesweiten Streik am 9. Mai und danach brauchen wird, sind Versammlungen und ein Kampfplan, gegen das neue Omnibusgesetz, das Präsidialdekret, die Repressionsrichtlinie, die unvorstellbar vielen Stellenstreichungen, den horrenden Reallohnverlust, die Sparmaßnahmen und Privatisierungen. Die Gewerkschaftszentrale CGT hatte nach dem Generalstreik am 24. Januar keine Kontinuität hergestellt. So blieb dieser bisher ein isoliertes Phänomen. Dies gilt es zu ändern. Denn: Die großen Demonstrationen am 8. und 24. März4, die großen Lehrer:innenstreiks und die zahllosen Aktionen der Arbeitslosenbewegung zeigten, dass viele Argentinier:innen durchaus gewillt sind, Milei zu konfrontieren.

Es gibt die Forderung von allen Seiten, zusammen statt getrennt zu kämpfen. So fordern beispielsweise Lehrkräfte ihre Gewerkschaft auf, sie am 23. April zum Streik aufzurufen. Gründe gibt es genug: Schulen schließen, weil es durch die Decke regnet. Das Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das auf Elternzeit sollen wegfallen und das Recht auf Bildung abgeschafft werden. Eltern könnten ihre Kinder auf der Arbeit brauchen, meinte vor zwei Wochen der liberale Abgeordnete Benegas Lynch. Auch existiert eine Petition von Beschäftigten, unter anderem aus dem Gesundheitssektor, in der diese Forderung an alle Gewerkschaften gerichtet wird.

Argentinien stellt momentan eine Art Laboratorium für die internationale Rechte dar – sowohl die extreme als auch die traditionelle Rechte. Sie richten ihre Augen aufmerksam auf das südamerikanische Land. Ökonom:innen und Journalist:innen tun es ihnen gleich. Die Hoffnung ist, dass Mileis ultra-liberale Wirtschaftspolitik aufgeht, sodass sie anderswo repliziert und der Krise der eigenen Wirtschaft und Politik auch ein Ende gesetzt werden kann.

Doch können die Beschäftigten und die Jugend – die großen Mehrheiten – dem neuen Präsidenten einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb müssen auch wir als Linke die Situation vor Ort verfolgen.

Insbesondere in Deutschland, das der drittgrößte Geldgeber des Internationalen Währungsfonds (IWF)5 ist, dessen Unternehmen Argentinien Lithium rauben und in dem die AfD immer stärker wird, ist dies zentraler denn je. Während die argentinische Regierung immer weitere Angriffe plant, um die Diktate des imperialistischen Kapitals umzusetzen, müssen wir uns hier in internationaler Solidarität für die Streichung aller Auslandsschulden einsetzen.

Fußnoten

  1. 1. In Deutschland wären das Allgemeine Studierendenausschüsse (ASten).
  2. 2. Der Radikalismus ist ist eine politisch zwischen liberal und sozialdemokratisch angesiedelte Strömung in Argentinien, die das Land 27 Jahre lang regierte.
  3. 3. Der Peronismus ist die wichtigste politische Strömung in Argentinien und reicht von Mitte-links bis Mitte-rechts.
  4. 4. Der 24. März ist der Tag, an dem 1976 die Militärdiktatur begann und an dem seit deren Ende im Jahr 1983 jedes Jahr den 30.000 Verschwundenen kämpfend gedacht wird.
  5. 5. Der IWF ist ein 1944 gegründeter Organismus, der es sich zum Ziel setzte, Länder, deren Wirtschaft nicht von Prosperität gekennzeichnet war, präventiv Gelder zu verleihen, um eine weitere, unüberblickbar große Weltwirtschaftskrise wie die von 1929-33 zu verhindern – also zu verhindern, dass Finanzkrisen einzelner Länder multinationale Konzerne bedrohen. Durch ebendiese Entwicklungskredite besitzt der von den USA, Frankreich und Deutschland angeführte IWF heute de facto den Charakter einer Bank, die die Vergabe von Krediten stets an Auflagen knüpft. Im Fall des IWF nehmen diese allerdings eine andere Form als – wie gewöhnlich – Zinsen an. Stattdessen wird von hochverschuldeten Ländern das Ergreifen arbeiter:innenfeindlicher Maßnahmen erwartet, wie z. B. das Senken des Mindestlohns und/oder der Renten sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer und/oder Benzinpreise. Aus diesen Gründen stellt der IWF heute eines der zentralen Kontrollorgane der kapitalistischen Weltwirtschaft dar.

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