Zur Situation in Deutschland III: Eine rechte Massenbewegung und das Potential einer linken Jugendbewegung

23.04.2016, Lesezeit 7 Min.
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Besonders in Ostdeutschland nimmt rechte Gewalt stets zu. Doch die Jugend bewegt sich und Bündnisse wie "Jugend gegen Rassismus" weisen den Weg. Wie können wir aus der Bewegung in Frankreich lernen? Im dritten Teil eines dreiteiligen Artikels geht es um die Jugendbewegung in Deutschland und ihr Potential.

Warum Dresden? Wir brauchen einen historisch-materialistischen Blick auf das Epizentrum der rechten Bewegungen der letzten zwei Jahre. Die massenhafte Rechtsradikalisierung im Osten ist eine Spätfolge der kapitalistischen Restauration. Die Linke ist im Osten als staatstragend, nationalorientiert und chauvinistisch bekannt. Die Industriegewerkschaften sind für deutsche Verhältnisse schwach. Die liberale Bourgeoisie hatte kaum Zeit, ihre Strukturen zu entwickeln, und ihr fehlte dafür auch die kleinbürgerliche, gut ausgebildete Basis, die ihr Heil im Westen suchte. Die mehrfach verratene Arbeiter*innenklasse vertauscht in der Erinnerung die Errungenschaften des deformierten Arbeiter*innenstaates im Eigentum an den Produktionsmitteln mit der Souveränität gegenüber dem Weltmarkt, die selbst eine Illusion des „Sozialismus in einem Land“ war.

In der DDR selbst wurden rechte Organisierungen toleriert, wenn auch nicht hofiert wie in der BRD. Die bürgerlichen Restaurator*innen ließen ihnen dann freien Lauf und verwendeten sie als Schergen zur Verschärfung des Grundgesetzes in der Asylfrage sowie zur Spaltung der Klasse während der sozialen Krise des „Ausverkaufs“ in den 1990er Jahren. Der Rechtsterrorismus verschmolz in der BRD mit Staatsorganen, besonders mit dem Inlandsgeheimdienst. Massenarbeitslosigkeit, Benachteiligung gegenüber dem Westen im Sozialsystem, die Rentenfrage und die ständige Präsenz der Deklassierung schafften eine gemähte Wiese für faschistische Propaganda. Die Hartz-Generalangriffe auf unsere Klasse verschärften alle Tendenzen.

Im Westen haben wir statt den partiellen rechten Massenbewegungen des Ostens eher eine Radikalisierung und Ausweitung der neurechten und Nazikameradschaft- und Rechtsterror-Szene mit PEGIDA gesehen, ergänzt durch neuere Phänomene wie „Identitäre“, die keine eigene Analyse brauchen, sondern sich mit neuem Design in die alten Muster fügen. Der soziale Resonanzkörper für rechte Massenagitation ist im Westen insgesamt nicht so ausgeprägt. Der Rechtsradikalismus hat sich aber auch in den alten Bundesländern um das Thema Geflüchtete und Souveränität herum konsolidiert, wie die ständigen Angriffe sowie die Anschlussfähigkeit des rechten Diskurses in der „(klein-)bürgerlichen Mitte“ der CSU beweisen.

Welle faschistischer Gewalt

In ganz Deutschland gibt es zu den Massenmobilisierungen eine starke Erhöhung der faschistischen Gewalt, die auch in organisierter Form stattfindet. Es gibt eine Zunahme von Waffenkäufen und die – meist leere – Drohung von faschistischen Bürgerwehren. PEGIDA ist der Ort, an dem der rechte Terror mit neurechter Publizistik um den Souveränität-Diskurs verschmilzt, mit Homo- und Transphobe, Sexist*innen, neo- und altklerikalem Pack, verunsicherten Rentner*innen sowie Kleinbürger*innen in Furcht um Privilegien-Verlust, außerdem auf Wahlebene mit der AfD. PEGIDA ist dadurch eine reaktionäre kleinbürgerliche Massenbewegung mit sich ausdefinierenden faschistischen Tendenzen.

Die materielle und ideologische Basis für das (Wieder-)Aufflammen der rechten Massenbewegung ist zweifellos die Geflüchtetenfrage. Eine linke Antwort auf die rechte Massenbewegung muss eine Antwort auf der Straße, in den Schulen, Unis und letztlich Betrieben und Gewerkschaften sein. Ihr Kern muss jetzt hervorgehen aus einer antirassistischen, antiimperialistischen Jugendbewegung, die mit der kämpferischen Geflüchtetenbewegung verschmilzt und in ihrer Avantgarde erste Erfahrungen mit der Arbeiter*innenklasse macht, in Vorbereitung auf weitergehende Kämpfe. Ein bisheriges Projekt ist „Jugend gegen Rassismus“, das eine Zwischenauswertung braucht.

Jugend von heute

Wer heute jugendlich ist, kennt nur die Krise: Krieg gegen den Terror seit 2001, Afghanistan- und Kosovo-Besatzung als Dauerzustand, Weltwirtschaftskrise seit 2007/08 – alles keine begrenzten Unterfangen oder einmalige Einschnitte, sondern andauernde Schwelbrände. In Deutschland ist die prekäre Arbeit seit 2003/04 immer mehr zu einem Normalfall geworden. Die Schule wurde in einigen Bundesländern auf G8 verkürzt. Mitschüler*innen werden abgeschoben – immer mehr von ihnen.

Was der linksliberale Überbau anbietet: Ein paar Pöstchen für wenige. Für die Masse: verteidigungslos Schläge einstecken und dabei schöne Worte vom „Miteinander“ auf einer „Meine Stadt ist bunt“-Kundgebung hören. Verfassungspatriotismus. Gegen Nazis, aber nicht gegen Merkel.

Ein 2016 jugendlicher Mensch hat außerdem noch keine jugendliche Massenbewegung erlebt. Das letzte, was am nächsten herankam, waren die internationalen Studienproteste 2009-10, die an ihrer programmatischen und sozialen Isolation eigentlich scheiterten. Etwas weiter zurück waren das die Proteste gegen den Irak-Krieg im Jahr 2003, die aber die deutsche Regierung kaum herausforderten, da das Regime damals selbst gegen die US-Intervention war. Es gab partielle Avantgarde-Mobilisierungen wie gegen Heiligendamm oder in Blockupy, die aber keinerlei kämpfende Basis-Strukturen hinterließen.

Jugendliche kennen als anführende radikale Kraft nur den Autonomismus in seinem Fäulnisstadium – routinistische ultralinke Aktionen, die nicht einmal selbst noch an ihren Erfolg glauben und mit ihrer „Nur-Anti-Nazi“-Stellung eine merkwürdige ideologische Fortsetzung der Volksfront sind, natürlich ohne materielle Verbindung mit der Bourgeoise. Sie kennen aber auch die Polizeigewalt, die sich seit „Gefahrengebieten“, Räumung der Refugee-Bewegung, Blockupy und G7, rassistische Polizeikontrollen an allen Bahnhöfen Deutschlands ausgeweitet und verschärft hat. Sie hat in ihrer Avantgarde gemeinsame Erfahrungen mit Geflüchteten gemacht. Erfahrungen mit der organisierten Arbeiter*innenklasse fehlen ihr fast völlig.

Erfahrungen aus Frankreich

Die Erfahrungen aus Frankreich müssen wir deshalb dringend „importieren“. Sie beweisen, dass auch in einem imperialistischen Land aktuell in Europa eine Massenbewegung der Jugend und der Arbeiter*innenklasse möglich und nur in diesem Bündnis schlagkräftig ist. Die hauptsächlichen Erfahrungen der aktuellen Phase werden also in Paris oder Le Havre gemacht. Wir müssen uns anstrengen, Verbindungen mit diesen Aktivist*innen zu machen.

Die International Conference of Refugees and Migrants Ende Februar in Hamburg war das größte Event von kämpfenden Geflüchteten in Deutschland. Sie hat zwei Dinge gezeigt: Erstens, es gibt relativ zur dort fast abwesenden deutschen Linken einen unglaublichen Vorrat an Organisierungskraft, Kampfwillen und -erfahrungen in der Geflüchtetenbewegung, von der alle jungen Menschen und Arbeiter*innen lernen müssen. Zweitens, es gibt eine riesige Krise in der Geflüchtetenbewegung selbst, weil sie ab 2014 auf der Straße und von der Regierung nur noch Niederlagen zugefügt bekommen hat und völlig unklar ist, auf welcher Grundlage sie ihre Einheit herstellen soll.

„Jugend gegen Rassismus“ muss vor diesem Hintergrund mehrere Ziele erreichen:

1. Eine realistische Kampfperspektive aufbauen, die sich nicht nur gegen Nazis richtet, sondern die Regierung in ihren imperialistischen Festen konfrontiert, wie es für die derzeitige Generation der Jugend völlig neu sein wird. Unser hauptsächlicher Slogan dafür ist: „Die Regierung setzt die Forderungen der Rechten um. Gegen den Rassismus der AfD und von Pegida werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir auch die Regierung bekämpfen.“

2. Eine Verschmelzung mit allen geflüchteten und migrantischen Teilen der Gesellschaft anstreben, die den Chauvinismus der unterschiedlichen reformistischen Vermittlungsorganen direkt konfrontiert. Diese Vermittlungsorgane sind inzwischen aktiv geworden in perspektivlosen Anti-AfD-Bündnissen wie „Aufstehen gegen Rassismus“, die quantitativ viel größer sind als unsere Bündnisse und oft eher Feigenblättern darstellen werden, die wir – insofern sie Massen organisieren – aber keineswegs ignorieren dürfen.

3. Einen Raum für eine revolutionäre Strömung schaffen. Hier müssen die Erfahrungen aus Frankreich eine besondere Rolle spielen, denn sie sind in Deutschland in ihrer Massivität derzeit nicht zu machen. Denn nur eine antikapitalistische, internationalistische und klassenkämpferische Perspektive wird es ermöglichen, die verschiedenen Kämpfe zu verbinden und auf eine höhere Stufe zu stellen.

Hier geht es zum ersten und zweiten Teil.

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