Wissenschaft für die Wirtschaft: Bayerische Hochschulreform beschlossen

05.05.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Ayrin

Die bayerische Landesregierung hat die umstrittene Hochschulreform beschlossen. Trotz massiver Kritik bleibt die unternehmerische Hochschule das Ziel. Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz den Landtag passieren.

Am vergangenen Dienstag hat das bayerische Kabinett das Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG) beschlossen. Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) zufolge solle das Gesetz noch vor der Sommerpause im bayerischen Landtag beschlossen werden und am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Das Hochschulreformvorhaben steht seit der ersten Ankündigung im Oktober 2019 in massiver Kritik und zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Intransparenz und Ignoranz gegenüber der Studierenden und Beschäftigten aus.

Bayerische Universitäten und Hochschulen sollen agil, exzellent und innovativ werden. Hierfür bekommt Bayern das laut dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst modernste Hochschulrecht Deutschlands, mit dem auch die sogenannte “Hightech Agenda Bayern” verwirklicht werden soll. Unter diesem Schlagwort will der Freistaat seit 2019 mit Milliardeninvestitionen in die Technologieforschung im “Wettbewerb um die klügsten Köpfe” konkurrieren, wie es Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beschrieb.

Vorhaben des BayHIG

Folgende Änderungen und Ziele sollen im Rahmen der weitreichenden Reform erreicht werden:

Agilität: Die Hochschulen erhalten mehr Freiheiten beim Einsatz von Ressourcen. Zusätzlich soll ein Innovationsfonds als strategisches Instrument eingerichtet werden, der es erlaubt, freiwerdende Ressourcen zurückzulegen und für die gezielte Beteiligung an neuen staatlichen Programmen einzusetzen.

Exzellenz: Ein neues Berufungsrecht ermöglicht die Direktberufung ohne vorherige Ausschreibung der Professuren.

Forschungsstärke: Den Hochschulen wird ermöglicht, Professor:innen für eine überwiegend oder ausschließlich forschende Tätigkeit einzusetzen. Weiterhin werden Forschungsfreisemester für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährt. Gezielt unterstützt werden sollen insbesondere auch der Technologietransfer sowie Forschungskooperationen.

Gründerzeit: Die Unternehmensgründung wird ausdrücklich zur Hochschulaufgabe erklärt. Professor:innen erhalten die Möglichkeit zu Gründungsfreisemestern. Weiterhin werden der Zugriff auf die Hochschulinfrastruktur sowie die Entstehung von Gründerzentren an den Hochschulen forciert.

Technologietransfer: Die Hochschulen sollen einen umfassenden Technologietransfer leisten, der u.a. zur Dienstaufgabe von Professor:innen erklärt wird.

Bauvorhaben: Die Hochschulen können auf Antrag die Bauherreneigenschaft für Baumaßnahmen erhalten, um Bauvorhaben schneller durchzuführen.
Studienbedingungen: Studierenden sollen sich künftig in einem Landesstudierendenrat organisieren können. Zudem wird eine innovative Lehre gesetzlich verankert.

Trendscouting: Um ein innovatives und inspirierendes Studienumfeld zu schaffen, wird die Internationalisierung von Studiengängen, die Errichtung von Karrierezentren sowie die Ausweitung von Juniorprofessuren, Tenure-Track-Professuren und Nachwuchsgruppenleitungen angestrebt. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften und die Kunsthochschulen erhalten ein neues bzw. erweitertes Promotionsrecht.

Im Gegensatz zum ersten Entwurf sollen die Universitäten und Hochschulen ihre jetzige interne Organisationsstruktur behalten.

Damit umfasst das BayHIG mit Ausnahme der internen Organisationsstruktur all jene Änderungen, die seit dem Bekanntwerden der Reform von Seiten der Studierenden und Beschäftigten massiv kritisiert werden. Zwar wurde „das Leitbild der unternehmerischen Hochschule“ in dieser Formulierung im Gegensatz zum ersten Entwurf gestrichen – inhaltlich aber wird genau dieses Leitbild forciert. Keine Angaben werden hingegen zu dem sich fortwährend ausbreiteten Befristungsunwesen gemacht, das vor allem die Beschäftigten im Mittelbau, also wissenschaftlichem Personal unterhalb der Professur, in prekäre Arbeitsverhältnisse treibt. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (ASta), über den alle Bundesländer außer Bayern verfügen, ist weiterhin nicht vorgesehen. Zudem können Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende erhoben werden. In Bezug auf die Geistes- und Sozialwissenschaften sowie kleinere Fächer besteht die berechtigte Sorge, dass diese ein- und letztlich kaputt gespart werden.

Chronologie der Intransparenz und Ignoranz

Das Reformvorhaben ist von Beginn an geprägt von Intransparenz und Ignoranz gegenüber Studierenden und Beschäftigten. Nach einer ersten Ankündigung im Oktober 2019, die vollkommen unbemerkt blieb, kam es im Oktober 2020 zur ersten Sachverständigen-Anhörung im Wissenschaftsausschuss des Bayerischen Landtages. Einige Tage später erfolgte im Rahmen einer Pressekonferenz die Vorstellung des Eckpunktepapiers sowie die Ankündigung des Hochschulinnovationsgesetzes. Ursprünglich sollte der Beschluss noch im Frühjahr 2021 erfolgen.

Widerstand und Kritik formierte sich trotz der beinahe konspirativen Vorgehensweise des Bayerischen Landtages dennoch. So gründete sich etwa die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften (GuS), die unter anderem eine Petition startete, die letztlich fast 9000 Unterzeichner:innen fand. Studierende und Beschäftigte der LMU verfassten einen offenen Brief an Ministerpräsident Söder, den damaligen Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) und Robert Brannekämper (CSU) aus dem Wissenschaftsausschuss des Landtags. Darin forderten sie eine breite Diskussion. Sie fanden damit insofern Gehör, als die Entscheidung über den Beschluss auf 2022 vertragt wurde. Im Dezember 2020 bzw. Februar 2021 fanden in München und Erlangen Kundgebungen gegen das geplante Gesetz statt, die auch von der GEW unterstützt wurden. Neben der SZ und der FAZ berichtete auch Klasse gegen Klasse sehr früh über das Vorhaben und trat gemeinsam mit dem Münchner Komitee gegen die Hochschulreform auf Kundgebungen und Online-Veranstaltungen gegen die Hochschulreform ein.

Von Seiten des Präsidiums der LMU kam dagegen keinerlei Unterstützung. LMU-Präsident Bernd Huber stellte sich zwar vermeintlich den Fragen von Studierenden und Beschäftigten, blieb wesentliche und klare Antworten jedoch schuldig und stellte sich nicht gegen den Gesetzentwurf – trotz deutlicher Kritik und Ablehnung insbesondere aus dem Mittelbau. Ebenso glichen die YouTube-Livestreams des ehemaligen Kunst- und Wissenschaftsministers Herr Sibler, der mittlerweile durch Markus Blume ersetzt wurde, einer Farce.

Die zuvor genannte Petition wurde am 25. April 2022 dem Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags übergeben und zwei Tage darauf vom Wissenschaftsausschuss behandelt. Jedoch nicht ganz freiwillig. So berichtet Dr. Eduard Meusel, einer der Mitbegründer der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften:

Die Regierungsfraktionen aus CSU und Freien Wählern stimmten dort gegen deren Berücksichtigung im laufenden Gesetzgebungsverfahren. Lediglich als Material soll die Petition der Staatsregierung übergeben werden. Zu Beginn der Beratungen sprach sich die CSU-Fraktion sogar dafür aus, die Petition als erledigt anzusehen und ihr damit keine weitere Bedeutung beizumessen. Erst auf massiven Druck sämtlicher Oppositionsfraktionen, welche die Intransparenz und den mangelnden Zeitplan der Hochschulreform kritisierten, konnten sich CSU und Freie Wähler immerhin zu einer Weitergabe der Petition als Materialanhang bewegen lassen. Das bedeutet, dass die Petition neben den zahlreichen anderen Eingaben und Stellungnahmen aus der Vergangenheit abgelegt wird. Es besteht für die Staatsregierung aber keine rechtliche Bindung, den Forderungen der Petition nachzukommen.

Unter dem Deckmantel der Pandemie und des Kriegs

Von Beginn an wird die umfassende Diskussion des Reformvorhabens verhindert. Stattdessen erfolgen die Anhörungen und letztlich der Beschluss still und heimlich, während die Aufmerksamkeit auf die Corona-Pandemie und Putins Angriffskrieg gerichtet sind. Durch die weitreichenden und stark in den Uni-Betrieb eingreifenden Corona-Maßnahmen, die ein Zusammenkommen an der Uni fast zwei Jahre lang mehr oder minder verunmöglichten, wurde die Organisation eines öffentlichen und wahrnehmbaren Protests unter Studierenden und Beschäftigten enorm erschwert, wenn nicht sogar verhindert.

Dieser intransparente und undemokratische Schachzug der Politik ist aufs Schärfste zu verurteilen und zeugt von dem allgemeinen Verständnis insbesondere der bayerischen Staatsregierung für die Rechte und die Stellung von Studierenden und Beschäftigten. Ein Vorgehen, das auch von der Hochschulleitung immer wieder an den Tag gelegt wird, wenn Initiativen an der Uni Räume für Diskussionen verwehrt werden mit dem Argument, dass politische Veranstaltungen nicht gestattet seien.

Universitäten sind keine Start-Ups

Mit dem BayHIG sollen die Universitäten und Hochschulen umfassend verändert werden. Das Vorhabe nennt etwa die „Entfesselung der Innovationsfreude an allen Hochschulen [als] Markenkerne des neuen Gesetzes.“ Entfesselt wird hier tatsächlich: Mit dem BayHIG erhalten entfesselte Prozesse und Denkweisen des neoliberalen Kapitalismus endgültig Einzug in die Universitäten.

Unis sind keine Start-Ups und keine profitorientierten Unternehmen! Forschung, Lehre und damit Innovationen sind auf die Freiheit der Wissenschaft angewiesen, die immer mehr von der Wirtschaft korrumpiert wird. Unis sind Orte, an denen Bildung und Wissen vermittelt und erworben werden, und damit Räume für kritisches Denken entgegen der kapitalistischen Logik.

Stoppt das BayHIG

Wir sind nicht machtlos! Es ist unbedingt notwendig, unsere Ablehnung auf die Straße zu bringen. Wie bei den Protesten gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes 2018 bzw. 2021 können wir der Politik zeigen, dass sie uns nicht hintergehen können. Die unmittelbare Vergangenheit zeigt Erfolge bei dieser Vorgehensweise: So stellte das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche fest, dass das bayerische Verfassungsschutzgesetz in Teilen rechtswidrig ist. Geklagt hatte unter anderem Kerem Schamberger, ehemaliger Beschäftigter der LMU, dem aufgrund seiner politischen Orientierung eine Promotionsstelle an der LMU verwehrt werden sollte.

Wir rufen alle Studierenden und Beschäftigten auf, sich mit einem breiten und lautstarken Protest gegen das BayHIG zu positionieren. Wir fordern die bayerische Regierung auf, den Beschluss des Gesetzes mit sofortiger Wirkung zu stoppen und sich der Kritik und Diskussion zu stellen. Wir verlangen von den Präsidien der Unis und Hochschulen, dass sie sich auf die Seite der Studierenden und Beschäftigten stellen und mit uns die Durchsetzung des BayHIG verhindern.

Als Studierende und Beschäftigte haben wir anlässlich des Angriffskrieges in der Ukraine und der geplanten Milliardeninvestitionen in die Bundeswehr die Initiative “Uni gegen Krieg, Rassismus und Aufrüstung” gegründet. Hier diskutieren wir auch über die Bedingungen für Studierende und Beschäftigte an den Unis.

Wenn ihr mit uns diskutieren möchtet und Interesse habt, beim nächsten Treffen dabei zu sein, dann schreibt uns. Ihr könnt uns erreichen unter ugkrua.muc@gmail.com, auf Instagram und Twitter!

Das ist nicht unser Hochschulgesetz!

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