Wir haben den Wahl-O-Mat gemacht, damit ihr es nicht müsst

14.09.2023, Lesezeit 6 Min.
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Der Wahl-O-Mat verspricht eine seriöse Hilfe bei der Wahlentscheidung zu sein. Doch er hat einen grundlegenden Fehler, der ihn komplett unbrauchbar macht.

Wer behauptet, es gäbe keine dummen Fragen, der hat den diesjährigen Wahl-O-Mat noch nicht gemacht. Auch für die diesjährigen Landtagswahlen in Hessen und Bayern hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) diese sogenannte Wahlhilfe entwickelt. Eine Redaktion wählt anhand der Wahlprogramme der Parteien Fragen beziehungsweise Aussagen aus, zu denen man abstimmen kann. So soll potenziellen Wähler:innen die Wahlentscheidung leichter gemacht werden. Aber in der Realität werden die Versprechen schneller gebrochen, als Grüne „feministische Außenpolitik” sagen können. Die Grünen haben mittlerweile sämtliche Versprechen, die auf ihre Wahlplakate zur Bundestagswahl 2021 geschrieben haben, gebrochen. Anstatt den Wahl-O-Mat also an tatsächlicher Politik auszurichten, werden die Lügen der Parteien plump wiedergekäut. Dies führt dazu, dass die Ergebnisse des Wahl-O-Mats und die Realität weit auseinanderliegen.

Wahl-O-Mat in Hessen

Eine Aussage im hessischen und bayerischen Wahl-O-Mat, der CDU, AfD, LINKE, Grüne und die SPD zustimmen, lautet: „Es soll weitere Medizinstudienplätze für Menschen geben, die sich verpflichten, später als Ärztin oder Arzt auf dem Land zu arbeiten.” Hier wird der Notstand an Ärzt:innen auf dem Land dem Mangel an Studienplätzen entgegengestellt, wir als Sozialist:innen lehnen diese absurde Gegenüberstellung natürlich ab. Wir fordern Studienplätze für alle und einen Ausbau der gesamten Infrastruktur auf dem Land. Im Wahl-O-Mat ist von den großen Parteien einzig die FDP gegen diese These. Nimmt man nur diese Frage, sind wir inhaltlich am nächsten an der FDP, auch wenn sie ein ganz anderes Bildungssystem als wir wollen. Der Wahl-O-Mat trügt also gewaltig.

Einen weiteren Höhepunkt bietet die Antwort der Auto-Partei Bündnis 90/ Die Grünen, die behauptet, sie wären für „Schiene vor Straße”. In der Bundesregierung trägt diese Partei einen Minister der FDP mit, der die Interessen der Automobilindustrie über den Klimaschutz stellt. Sogar eine Zerschlagung der Bahn steht in der aktuellen Regierung zur Debatte. Die Antwort der Grünen gleicht mehr einer dreisten Lüge als allem anderen.

Dieses Spiel kann man beliebig fortsetzen. Mit „Sozialwohnungen sollen vorrangig an Deutsche vergeben werden” wird das Programm der extrem rechten AfD wiederholt. Wir sind natürlich für Wohnungen für alle, aber gegen die rassistische Verteilung, die Rechte aufmachen. Es ist krass, wie der plumpe Rassismus der Rechten ohne jede Einordnung wiederholt wird. Journalistische Sorgfaltspflicht ist bei den Ersteller:innen des Wahl-O-Mats offensichtlich nicht vorhanden.

Wahl-O-Mat in Bayern

Auch der bayerische Wahl-O-Mat zeugt schon bezüglich der Thesen, die klar auf rassistische, queerfeindliche und mindestens stark konservative Positionen mancher Parteien schließen lassen. So lautet die zweite These: „In Bayern soll es weiterhin eine eigene Grenzpolizei geben.” Dass CSU, Freie Wähler (FW) und AfD zustimmen, ist keine Überraschung. Mit welcher Begründung Grüne, SPD und FDP die These ablehnen, lässt hingegen tief blicken und bleibt auf Ampelregierungs-Kurs, die mit der Zustimmung zum menschenverachtenden GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) erst kürzlich das Recht auf Asyl de facto abschafften. In Bayern ist den Parteien die eigene Grenzpolizei schlichtweg zu teuer, es handle sich um ein „Söder-Projekt”, das eine „Luftnummer” darstelle. Zudem sei der Grenzschutz Bundessache, da wolle man aber „die EU-Außengrenzen effektiv schützen”. Die Grünen, SPD und FDP lehnen die These also nicht ab, weil sie besonders antirassistisch und für offene Grenzen sind, sondern weil sie für den Grenzschutz andere Zuständigkeiten und Orte sehen. Hier trügt der Wahl-O-Mat stark und wirft entgegenstehende Positionen nach offenen Grenzen und nach anderen Grenzen in einen Topf.

Explosiv ist die These zwölf: „Der Freistaat soll sich für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzen.” Wie nicht anders zu erwarten, stimmen CSU, FW, SPD, Grüne und FDP zu.  In dem Wahl-O-Mat lehnt DIE LINKE die Waffenlieferungen ab und begründet dies damit, dass Waffenlieferungen „Konflikte verschärfen“ können und „nicht gefördert werden” sollten. In der Realität weicht DIE LINKE ihre Position in letzter Zeit komplett auf. Ihre Spitzenpolitiker Bartsch und Gysi lehnen zwar aktuell ebenfalls Waffenlieferungen an die Ukraine ab, sprechen sich aber dafür aus, nach Kriegsende Waffen zu liefern. Die Antwort im Wahl-O-Mat ist also alles andere als ehrlich.

Mit der 14. These, der Freistaat solle die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in bayerischen Städten unterstützen, wird auch auf die Debatte um die Cannabis-Legalisierung verwiesen. Söder sprach sich entschieden gegen das Vorhaben von Karl Lauterbach (SPD) aus. Und auch hinsichtlich der Drogenkonsumräume lehnt die CSU, wie auch die AfD und FW, eine Errichtung ab. Laut Aussage der CSU seien diese weder zur Sicherung des Überlebens noch aus sonstigen gesundheitlichen Gründen zwingend notwendig; zudem könnten sie Todesfälle durch Drogen nicht dauerhaft verhindern. Betrachtet man die Statistiken der Drogentoten, so fällt auf, dass die restriktive bayerische Drogenpolitik vor allem eins zu befördern scheint: Plätze in den vordersten Reihen bei der Anzahl an Menschen, die an den Folgen von Drogen verstorben sind; im Jahr 2017 belegte Bayern beispielsweise Platz eins, im Jahr 2022 Platz zwei. In Drogenkonsumräumen geht es zudem auch um die Verhinderung von Infektionserkrankungen durch den Mehrfachgebrauch von Spritzen. Die Antwort der CSU enthält also faktische Lügen und Falschdarstellungen in ihrem Interesse, die im Wahl-O-Mat überhaupt nicht gerahmt werden.

Fazit

Der Wahl-O-Mat ist nicht nur journalistisch absolut fragwürdig, er wiederholt den Rassismus der Rechten und die Lügen der Parteien, als seien es ganz normale Positionen. Konzeptionell hat er auch eine weitere gravierende Schwäche: Er ist nach dem, was Parteien sagen, ausgerichtet, nicht nach den Sorgen und Wünschen der Bevölkerung. Beispielsweise bleibt eine Frage nach Preiskontrollen der Lebensmittelpreise oder Lohnanpassungen auf mindestens dem Niveau der Inflation komplett außen vor. Eine echte Wahlhilfe ist der Wahl-O-Mat also ganz und gar nicht. Wäre er das, würde schnell klar werden, dass keine Partei die sozialen Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung ernsthaft vertritt und deshalb eine unabhängige Organisierung notwendig ist.

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