Asylreform: Abschottung von Geflüchteten

13.06.2023, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Sandor Csudai / Creative Commons

Mit den Stimmen der Ampel-Regierung haben die EU-Innenminister:innen eine neue Asylrechts(konter)-Reform beschlossen: Sie setzt auf noch mehr und schnellere Abschiebungen und die Errichtung von Abschiebeknästen. Bei den Grünen heizt sich Debatte um das Thema auf und die Parteiführung steht in der Kritik der eigenen Basis. Die SPD steht hinter Scholz, der die Menschen in nützliche und unnützliche Migrant:innen spaltet.

Eine Asylrechtsreform wurde abgestimmt, die das Asylrecht europaweit de facto außer Kraft setzt. Schnellere und radikalere Abschiebungen, Inhaftierung in neu geplanten Abschiebelagern, strengere Richtlinien bei der Gewährung von Asyl, die ohnehin restriktiv und nur für die Minderheit der Geflüchteten erfüllbar sind. Die Geflüchteten gehörten auch schon vor dieser (Konter-)Reform zu der untersten und entrechtetsten Schicht der Arbeiter:innenklasse. Ihr soziales Dasein wird bestimmt von Unterwerfung, rechtsterroristischen Brandanschlägen und von der Entrechtung vor dem Gesetz. Sie haben kein Arbeits- und Wohnrecht, gleichzeitig sperrt der deutsche Staat sie in Geflüchtetencamps ein und wenn sie gegen ihre Duldungsauflagen verstoßen, kommen sie wochen- oder monatelang in Abschiebehaft, bevor sie letztendlich abgeschoben werden. Die Anzahl der tatsächlich ankommenden Geflüchteten sinkt, weil sie erstmal die Festung Europa überwinden müssen. Sie sind während ihrer gesamten Flucht regelrecht dem Tode überlassen. Mit der neuen Asylreform wird nun sogar auf den Schutz von Familien mit Jugendlichen und Kindern verzichtet. Ein „Kompromiss“, den die Innenministerin Nancy Faeser im Namen der Bundesregierung eingegangen ist.

Warum die Asylreform ein Angriff auf die Geflüchteten ist

„Insofern tut es dann natürlich ein bisschen weh“, sagte Nancy Faeser zu den Entscheidungen der EU-Innenminister:innenkonferenz am 08. Juni. Genauer genommen meinte sie bei diesem Satz die Entscheidung, dass nun auch Familien mit Kindern an den EU-Grenzen in Deportationscentern festgehalten und bei einer Ablehnung auf Asyl direkt zurückgewiesen werden sollen. Besagte Center soll es nun vermehrt an den EU-Grenzstaaten geben. Hier sollen Geflüchtete bis zu zwölf Wochen festgehalten und bei einer Ablehnung des Asyls sofort zurückgewiesen werden. Faeser – die übrigens innerhalb Deutschlands kein Blatt vor den rassistischen Mund nimmt, wenn es um die Kriminalisierung migrantischer Jugendlichen in Berlin geht – hat wohl aber trotz der Entscheidung dafür plädiert, dass das Thema der Jugendlichen und Kinder weiter auf dem Programm stehen und mit den EU-Minister:innen diskutiert werden solle. Es macht auf jeden Fall Hoffnung, wenn das von einer Abschiebe-Hardlinerin kommt. Die Entscheidungen der Konferenz könnten noch dieses Jahr im EU-Parlament beschlossen werden.

Als Repräsentantin Deutschlands bei der Konferenz ist Faeser zwar alleine gewesen, aber auch Bundeskanzler Scholz hat sich verteidigend zu den Entscheidungen geäußert. Außerdem ist er mit  rassistischen und respektlosen Aussagen in der Debatte aufgefallen.  Einen schlechten Witz konnte er sich nicht verkneifen: Deutschland müsse ja einen Strand am Mittelmeer haben, weil mehr Geflüchtete in Deutschland landen als in den Mittelmeeranrainerstaaten. Den Schenkelklopfer für diesen geschmacklosen Witz kann er sich bestimmt bei den Ampelkollegen Habeck und Lindner abholen. Auch Nouripour und Baerbock haben den „Kompromiss“ verteidigt, da die Debatte um die Aufnahme von Geflüchteten auf EU-Ebene keine Einfache sei.

Im Vorhinein wurde den Grünen Parteiführungen wie Baerbock und Habeck bereits eine schlechte Diskussionsführung vorgeworfen – von knapp 730 Mitgliedern aus eigenen Reihen. Auch die Grüne Jugend kritisiert die Entscheidungen. Bereits seit Längerem sind sich die Grünen in manchen Punkten uneinig, was die Asylpolitik, vor allem an den EU-Außengrenzen angeht. Teile der Grünen sind für eine konsequente Aufnahme von Geflüchteten, wie sie in der Genfer Geflüchtetenkonvention steht – ob sie die ursprüngliche oder die erneuerte Version meinen, bleibt in der Debatte aus. In dem Brief an die Führungsriege wird die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems kritisiert. Über die Gewalt an den Grenzen durch Polizei und Militär oder im Mittelmeer durch Frontex und Küstenwachen wird jedoch nicht gesprochen. Auch mit keinem Wort werden die Migrationsabkommen mit der Türkei kritisiert, für welche Milliarden gezahlt werden, um Geflüchtete nicht aus der Türkei nach Europa zu lassen. Stattdessen scheint es ein grünenweiter Konsens zu sein, dass die Türkei und Frontex von der EU und den Schengen-Staaten finanziert werden. Und nicht zu vergessen, dass nahezu alle Abgeordneten der Grünen im Bundestag – inklusive denen der Grünen Jugend – für das Sondervermögen der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro gestimmt haben. Dass sie damit auch den Kriegsinterventionen zustimmen, die den Hauptteil der Fluchtursachen ausmachen, klammern sie bewusst aus.

In der Genfer Konvention selbst existiert seit 1993 kein uneingeschränktes Asylrecht mehr. Damals gab es aufgrund der Aussetzung des Gastarbeiter:innenprogramms deutlich mehr Asylanträge als in den Jahren zuvor, weshalb eine drastische Änderung und die Einteilung in „sichere Herkunftsländer“ vorgenommen wurde. Seitdem gibt es auch die Drittstaatenregelung, also dass Geflüchtete, die bspw. in Deutschland ankommen, in andere EU-Länder „verteilt“ werden können und sollen. Weil das bisher nicht geklappt hat, wie man sich das vorgestellt hat, wurde auch für eine neue Regelung in der Asylrechtsreform abgestimmt. Diese besagt, dass nun Drittstaaten, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, eine Ausgleichszahlung leisten müssen. Vor allem Italien würde davon profitieren. Dort kamen allein in diesem Jahr bisher 50.000 Geflüchtete an.
Gleichzeitig will die EU auch ein weiteres Migrationsabkommen von über 900 Millionen Euro mit Tunesien abschließen, verlangt dafür aber die Eingliederung Tunesiens als Drittstaat. Doch auch Tunesien folgt dem europäischen Beispiel und will keine Geflüchteten aufnehmen. Außerdem verlangt Tunesien Kredite für ihre Infrastrukturprojekte. Vor allem für Italien ist die Eingliederung als Drittstaat aber eine strikte Voraussetzung, wenn Tunesien finanziell unterstützt werden soll.

Die rassistischen Entscheidungen der EU-Innenminister:innenkonferenz sind nicht überraschend. Die etlichen Gewaltaktionen und Morde durch Frontex, Militär und Grenzpolizeieinheiten der Länder wie beispielsweise der Guardia Civil, die spanische Polizeieinheit mit über 80.000 Polizist:innen, können mit der Reform nun einfacher legitimiert und ihr Handlungsspielraum sogar erweitert werden. Gerade die Guardia Civil und Frontex machen die heuchlerische Politik schon lange deutlich: Angeblich tut die EU viel für Geflüchtete, während diese Einheiten aber gleichzeitig radikal und rücksichtslos auf Geflüchtete schießen und sie gezielt töten. Das regelrechte Massaker in Melilla ist nur ein Beispiel. Hier wurden 2.000 Geflüchtete von der Guardia Civil und marokkanischen Polizist:innen mit Gewalt zurückgeschlagen, als sie die Grenzzäune überqueren wollten. 18 Geflüchtete sind dabei gestorben. Dass die EU und auch Deutschland diese massive Gewalt zu verantworten haben, ist nicht zu leugnen. Der EU-Libyen-Deal sorgt dafür, dass die Geflüchteten in Libyen menschenverachtenden Verhältnissen ausgesetzt werden. In Libyen gelten sie als Straftäter:innen, weshalb sie in Gefängnissen landen, die Internierungslager heißen. Die Grünen in der Opposition zu Merkel haben den Deal kritisiert, doch in der Regierungsbeteiligung bauen sie dieses System aus.

Den Fachkräften Willkommen, den Geflüchteten auf Nimmerwiedersehen

Die neue Asylreform ist kein Kompromiss der Ampel-Regierung, sondern die Fortsetzung ihrer Politik. Deutschland bestimmt die Außenpolitik der EU maßgeblich mit, indem sie bei allen entscheidenden Deals, Reformen und Investitionen die führende Rolle einnimmt. Die Ampel-Regierung ist sehr konsequent darin, den Geflüchteten auf Nimmerwiedersehen zu sagen. Sie geht ihrer Verantwortung in der Entstehung von Kriegen und Krisen aus dem Weg, welche die Lebensbedingungen der Massen ruinieren und sie zur Flucht zwingen.

Sie orientiert sich eher daran, für die ausländischen Fachkräfte ein Pull-Faktor zu sein, um den Fachkräftemangel dadurch unter Kontrolle zu bekommen. Dementsprechend betont der Bundeskanzler Scholz, dass “die ausländischen Fachkräfte Willkommen sein müssen und die Bundesregierung das modernste Einwanderungsrecht der Welt schaffen will”. Die Wahrheit ist, dass der Fachkräftemangel seit Jahren ein großes Thema am Arbeitsmarkt in Deutschland ist und die Anzahl an erworbenen Fachkräften aus dem Ausland bisher sehr gering bleibt. Es bräuchte eine Massenmigration von Arbeitskräften, um den Herausforderungen der deutschen Wirtschaft nachzukommen. Die stufenweise verschärften Einreisebedingungen und die Abschottungspolitik in den letzten Jahren haben die Migration von nicht-ukrainischen Geflüchtete enorm reduziert. Nachdem die Bundesregierung die Spaltung zwischen Geflüchteten und ausländischen Fachkräften vollzogen hat, will sie Lockerungen im Arbeitsregime vornehmen, um die Anziehungskraft zu erhöhen. Dabei stellt sie sich vehement dagegen, den Geflüchteten in Deutschland ein Arbeitsrecht zu gewährleisten und mistet sie aus, indem sie den qualifizierten Teilen einen “Spurwechsel” anbietet.

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