Willkommen in der Zeit der Monster: Berlusconisierung der USA

10.11.2016, Lesezeit 6 Min.
1

Trump ist Produkt einer organischen kapitalistischen Krise: Er steht für das clowneske Scheitern des Neoliberalismus. Und er steht gewissermaßen für die Zukunft kapitalistischer Herrschaft, wenn sie nicht von unserer Klasse gestürzt wird.

Als ich Dienstag Abend um 22 Uhr zu einer Wahlparty in Neukölln ging, habe ich die Chancen von Hillary Clinton auf 20 zu 1 geschätzt. Ich dachte, ich bleibe bis 1 Uhr morgens, bis die ersten Ergebnisse aus der Ostküste eintreffen. Nachdem sich der Erdrutsch für Hillary abzeichnen würde, wollte ich ins Bett. Aber dann wurde es 1 Uhr, 2 Uhr, 3 Uhr. Und aus „Oh, wird doch ziemlich knapp“ wurde mit jeder Meldng größere Fassungslosigkeit. Wie hat es Hillary Clinton geschafft, gegen einen rassistischen und sexistischen Volltrottel zu verlieren?

Unter den US-Amerikaner*innen in der Neuköllner Bar, die gegen Sonnenaufgang immer erschöpfter und betrunkener waren, flossen auch Tränen. Dieses Wahlergebnis wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen normalisieren. Wie nach dem Brexit-Referendum werden sich Rassist*innen überall ermutigt fühlen, vermeintlich „Fremde“ anzugreifen. Was Präsident Trump im Amt machen wird, ist eigentlich gar nicht absehbar. Ob er einen protektionistischen Kurs gegen die Republikanische Partei durchsetzen kann, ob er sich überhaupt fürs Regieren interessiert, werden wir erst ab dem 20. Januar nächsten Jahres erfahren.

Aber wie konnte es so weit kommen? Am Mittwoch haben sich alle, unausgeschlafen und verkatert, in Facebook-Diskussionen gestürzt. Die politische Auswertung wird uns noch lange beschäftigen. Wie konnten über fünfzig Millionen Menschen Trump wählen?

Vielleicht können wir damit anfangen, dass Clinton wahrscheinlich mehr Stimmen bekam. Nur dank des „Electoral College“ bekam Trump den Zuschlag. Dieser Ausschuss der Wahlleute wurde von Sklavenhaltern in die US-Verfassung eingeführt, um ländlichen, konservativen Regionen mehr Gewicht zu geben und die Interessen der Elite vor dem Pöbel zu schützen.

Aber selbst wenn Trump keine relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekam, gibt es natürlich einfach Unmengen Rassist*innen in den USA. Und im Laufe der endlosen Krise, die 2008 begann, greifen viele Menschen – vor allem weiße Männer – nach rassistischen Erklärungsmustern. Für vieler ist es leichter zu begreifen, Migrant*innen seien für sinkende Lebensstandards verantwortlich, nicht etwa die kapitalistische Produktionsweise.

Die Demagogie eines Trumps ist freilich nur möglich, weil weit und breit keine antikapitalistische Alternative sichtbar ist. Der weich gewaschene Reformismus eines Bernie Sanders, der immerhin Millionen Menschen mit linken Forderungen begeisterte, wollte nie einen Bruch mit der Bourgeoisie, ihren Parteien und ihrem Staat. Unter den Menschen, die angaben, beide Kandidat*innen zu verabscheuen, konnte Trump die große Mehrheit begeistern. Paradoxerweise konnte ein Ausbeuter als „Anti-Establishment“ auftreten.

Wer treibt solche reaktionären Gestalten ins politische Rampenlicht? Die weltweite Offensive der Bourgeoisie, die in den 80er Jahren begann und unter dem Namen „Neoliberalismus“ bekannt wurde, stößt immer offensichtlicher an ihre Grenzen. Die traditionellen Herrschaftsformen der Kapitalist*innen im reichsten Staat der Menschheitsgeschichte brechen auseinander. Mit ihrer Doppelpartei können sie wichtige Schichten der Arbeitenden nicht mehr an sich binden. Gleichzeitig gibt es aber auch keine politische Alternative der Unterdrückten, die über Ansätze hinausginge.

Wenn es auf die Krise keine Antwort von links gibt, können wir nicht von einer revolutionären Situation sprechen. In den Begriffen Antonio Gramscis können wir von einer „organischen Krise“ sprechen. „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren.“ Das ist die Zeit von Scharlatanen und messianischen Demagog*innen. Wie Gramsci sagte: „Es ist die Zeit der Monster.“

Trump war lange Zeit eine Witzfigur. Die Simpsons scherzten im Jahr 2000 über die Möglichkeit eines „President Trump“ – den Autor*innen fielen kein absurderer Name ein. Stephen Colbert hatte Trump direkt zu einer Kandidatur aufgefordert, weil das die Arbeit der Komiker*innen so viel einfacher machen wurde. Und er ist jetzt der Vorsitzender des führenden imperialistischen Staates. Brauchen wir ein klareres Zeichen für die Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft?

Vor sieben Jahren hatte der slowenische Philosoph Slavoj Žižek (selbst ein Rassist mit kruder Wahlempfehlung für Trump) über das Berlusconi-Regime in Italien reflektiert: Die Staatsmacht gehöre dem einzelnen Multimilliardär und der verwaltet sie mit clownhaften Auftritten in den Medien. „Seine Demokratie ist eine Demokratie derjenigen, (…) die durch zynische Demoralisierung herrschen.“ Žižek warnte davor, den Berlusconianismus als Produkt italienischer Rückständigkeit zu sehen – stattdessen sei Italien ein Labor, in dem die Zukunft des Kapitalismus ausgearbeitet wird.

Dieser Mann sieht aus wie ein korrupter Idiot und verhält sich auch wie einer – aber lass dich nicht täuschen – er ist ein korrupter Idiot.

Mit Trump ist der Berlusconianismus ins Herz des Imperialismus eingedrungen. Das ist die Zukunft des kapitalistischen Systems, das nicht aus seiner Krise herausbrechen kann.

Zurück zur Bar in Neukölln. Einige enttäuschte Clinton-Wähler*innen gaben uns, den wenigen Kommunist*innen und Linksradikalen auf der Party, die Schuld an dieser Niederlage, weil wir nicht „gegen Trump“ gestimmt hatten. Doch genau dieser „Realismus“, diese ewige Suche nach einem „kleineren Übel“, ermöglichte den Aufstieg von Trump. Wenn die Linke sich mit dem kapitalistischen Establishment verbündet, kann nur die Rechte davon profitieren.

Clinton ist nicht daran gescheitert, dass sie zu wenig Unterstützung von den wenigen revolutionären Sozialist*innen der USA bekam. Sie konnte einfach selbst wenige Jugendliche, Arbeiter*innen, Schwarze, Latinxs begeistern. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 55 Prozent – der niedrigste Wert seit dem Jahr 2000. Die kommende Trump-Regierung wird zweifellos krasse Angriffe auf die Arbeiter*innen und Unterdrückte bedeuten. Um dagegen zu kämpfen, dürfen wir uns nicht auf die Suche nach vermeintlich „wählbaren“ und offensichtlich korrupten Demokrat*innen machen. Wir brauchen eine unabhängige Bewegung der Arbeiter*innen und Unterdrückten, um den Monstern die Stirn zu bieten.

Mehr zum Thema