Wie wir für das Recht auf sichere Abtreibung kämpfen können

14.04.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Shutterstock/Lysis Praxis

Was hat der Kampf für eine gute Geburtshilfe mit dem Kampf für sichere Abtreibungen zu tun? Ein Beispiel des Protests von Beschäftigten am Neuperlacher Kreißsaal zeigt, von wo der Kampf ausgehen muss.

Teil des vermeintlich feministischen Programms der sogenannten „Fortschritts-Regierung“ von SPD, Grünen und SPD war die Streichung bzw. Überprüfung der Artikel 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch. Der Artikel 219a, der es Gynäkolog:innen bis dato verbot, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wurde im Juni 2022 per Bundestagsbeschluss gestrichen. Nun soll mit einer 18-köpfigen Expert:innenkomission über den Artikel 218, der Abtreibungen insgesamt unter Strafe stellt, diskutiert werden. Schwangerschaftsabbrüche sind aktuell bis zur zwölften Woche und unter bestimmten Voraussetzungen, wie einem “Beratungsgespräch”, straffrei.

Die Expert:innen aus “Medizin, Ethik und verschiedenen Rechtsfeldern” sollen laut Koalitionsvertrag “die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft” behandeln.

Diese reformistische Reaktion auf viele feministische Kämpfe um das Recht auf Abtreibung in den vergangenen Jahren, sollte uns keine Hoffnung machen, dass uns unsere reproduktiven Rechte vom Reformismus geschenkt werden, denn der Kampf um reproduktive Selbstbestimmung geht viel weiter!

Menschen haben schon immer abgetrieben

“(T)here is every indication that abortion is an absolutely universal phenomenon, and that it is impossible even to construct an imaginary social system in which no woman would ever feel at least compelled to abort [1].

Menschen haben schon immer abgetrieben, die Frage nach den Möglichkeiten und Umständen war jedoch abhängig von den politischen Kämpfen.

Die Praktiken von Schwangerschaftsabbrüchen und von Formen sowie Ritualen der Verhütung sind so alt wie die menschliche Geschichte selbst. Zu jedem Zeitpunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung gab es das Phänomen von Schwangerschaftsabbrüchen. (Erwähnungen von Schwangerschaftsabbrüchen lassen sich in einigen der ältesten bekannten medizinischen Büchern finden)

Abhängig von den sozialen und politischen Umständen unterschied sich die Art und Weise, wie gebärende Menschen und diejenigen, die sie unterstützten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten bzw. auch inwieweit sie sich dafür gegen bestehende Gesetze und Konventionen stellen mussten. Klar ist, dass in jeder Gesellschaft, die Abtreibungen illegalisierte und verfolgte, geheimene Versorgungsstrukturen, meist durch gebärende Menschen selbst entstand.

Das Bedürfnis, die gesellschaftliche Reproduktion zu kontrollieren und zu beeinflussen, gehört zur Entwicklung des Menschen dazu. Die Bestimmung der Formen und Möglichkeiten von Geburten, Verhütung und Schwangerschaftsabbrüchen waren damit auch immer schon umkämpft und historisch unterschiedlich.

Die Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Regulierung des weiblichen Körpers beginnt mit der Entstehung des Patriarchats und des Privateigentums. Denn diese zielt darauf ab, die patriarchale Familie als gesellschaftliche Einheit zu etablieren, um durch Vererbung das Privateigentum fortzuführen. Dazu ist die Regulierung des weiblichen Körpers und der Reproduktion notwendig, die sich im modernen Kapitalismus in neuen Formen äußert. So ist die sogenannte “Familienpolitik” des bürgerlichen Staates abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen des Kapitals, aber natürlich auch von erfolgreichen Kämpfen um reproduktive Rechte. Dabei geht es nicht nur um das Recht auf Abtreibung, sondern auch den Zugang zu sexueller Aufklärung und Verhütungsmitteln, um den Zustand des reproduktiven Sektors (also die öffentliche Daseinsvorsorge) und um “familienpolitische Gesetzgebungen”. So hatte bereits in feudalen Gesellschaftsformen die politisch-gesellschaftliche Lage direkte Auswirkungen auf die Reproduktion, zum Beispiel durch die Notwendigkeit für die Familie als gesellschaftliche Einheit, aufgrund prekärer Umstände viele Kinder zur finanziellen Absicherung zu bekommen. Auf der anderen Seite ziehen sich auch Maßnahmen zur sogenannten “Bevölkerungskontrolle”, also zur Begrenzung der gesellschaftlichen Reproduktion durch die patriarchale Geschichte.

Im Zuge des rassistischen Diskurses um eine angebliche “Überbevölkerung” hat die Kommodifizierung und Regulierung des weiblichen Körpers besonders im globalen Süden zu brutalen, gewalttätigen Zwangsmaßnahmen wie Zwangssterilisierungen im Namen der sogenannten “Bevölkerungskontrolle” geführt. Diese Verbrechen, die eine extreme Form der Kontrolle über den weiblichen Körper und die Reproduktion darstellen, treffen meist besonders arme und marginalisierte Arbeiter:innen.

Der krassen Regulierung der körperlichen Selbstbestimmung durch Abtreibungskriminalisierung, steht ein ruinierter Care-Sektor gegenüber. Denn dem Staat geht es offensichtlich in der Einschränkung der körperlichen Selbstbestimmung nicht wie so oft propagiert um den Schutz des Lebens oder der Familie, sonst sähe die Situation im Care Bereich, also beispielsweise in der Pflege oder in der Erziehung, anders aus.

Weltweit fehlt gebärenden Menschen der Zugang zu sexueller Aufklärung, adäquater medizinischer Versorgung, pflegerischer Betreuung, Kinderbetreuung etc.. Weltweit sterben jeden Tag hunderte Frauen an meist durch Kriminalisierung unsicher durchgeführten Abtreibungen. Alle zwei Minuten stirbt eine Person an Komplikationen während der Schwangerschaft, meist aufgrund von fehlendem Zugang zu reproduktiver Gesundheitsversorgung. 270 Millionen Frauen haben weltweit keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, die nicht nur ungewollte Schwangerschaften verhindern, sondern ja auch vor möglicherweise gefährlichen STIs schützen.

Aber in Deutschland ist die Situation doch ganz anders, oder?

In Deutschland sieht die Situation nicht viel anders aus: der Care-Sektor, insbesondere die Gesundheitsversorgung ist nach jahrzehntelanger Unterfinanzierung in einem Zustand, der neben katastrophalen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, täglich Menschenleben gefährdet und eine bestmögliche medizinische Versorgung der Patient:innen unmöglich macht. Es wird Tag für Tag deutlich, dass wir in einem System leben, in dem nicht die menschlichen Bedürfnisse, sondern Profite im Vordergrund stehen.

Angesichts der geplanten Änderungen zu Artikel 218 durch die Expert:innenkomission, stellt sich natürlich auch die Frage, inwieweit die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen etwas bringt, in einer Situation in der die (reproduktive) gesundheitliche Situation so ist, dass Frauen teilweise in eine andere Stadt oder sogar ein anderes Bundesland fahren müssen, um eine/n Gynäkolog/in zu finden, der Abtreibungen durchführt. Im gleichen Moment werden bundesweit ständig geburtshilfliche Angebote eingeschränkt und Kliniken und Stationen geschlossen, sodass Gebärenden nicht nur die Entscheidung über den Geburtsort des Kindes, sondern in vielen Fällen der Zugang zu geburtshilflicher Versorgung genommen wird. In den letzten 30 Jahren wurden beinahe 50% aller Kreißsäle auf Bundesebene geschlossen, wodurch es immer häufiger zu Geburten im Rettungswagen, im Auto, auf der Autobahn oder sogar auf der Bordsteinkante kommt. 

Während die geburtshilfliche Versorgung zunehmend eingeschränkt wird und Hebammen und Kinderpfleger:innen nicht die Versorgung leisten können, die sie eigentlich leisten würden, sieht die medizinische Versorgung von Menschen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, noch schwieriger aus. Immer weniger Gynäkolog:innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch: 2003 gab es noch 2.030 Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche anboten, 2022 nur noch 1.106.

In ganz Bayern gibt es nur 48 Gynäkolog:innen, die im Jahr 11.500 Abtreibungen durchführen. Fast ⅔ davon finden in München statt. Das bedeutet für viele Frauen, dass sie kilometerweit fahren müssen, um diese medizinische Versorgung zu erhalten.

Zusätzlich gibt es enorm viele Hürden, die Schwangere durchlaufen müssen, bis ihnen ein straffreier Abbruch genehmigt wird. Diese Hürden sollen nun auch durch die Expert:innenkomission diskutiert und eventuell geändert werden. Aktuell

Laut Gesetz müssen Menschen, die sich für einen Abbruch entscheiden, ein Beratungsgespräch durchlaufen, in dem die beratende Person laut Gesetz „für das ungeborene Leben“ beraten soll und müssen dann eine Bedenkzeit überbrücken.

Wer kann diesen Kampf anführen?

Der Kampf für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, auf Abtreibungen und Zugang zu Verhütungsmitteln war logischerweise immer verbunden mit politischen Forderungen zum Zugang zu adäquater reproduktiver Versorgung, aber auch politischen Forderungen, wie dem Mutterschutz oder flächendeckender Kinderbetreuung.

Die reproduktiven Rechte, die es zu diesem Zeitpunkt gibt, sind keine Geschenke oder einfache Ausdrücke des natürlichen Fortschritts, sondern Errungenschaften jahrzehntelanger Kämpfe von Arbeiter:innen und der Jugend. Verschiedene Beispiele von riesigen feministischen Bewegungen in der Geschichte, aber auch kürzlich erfolgreiche Protestbewegungen z.B. in Argentinien zeigen, dass konstanter Kampf um körperliche Selbstbestimmung der Grund für Zugeständnisse dieser Art sind.

Die Arbeiter:innenbewegung stellte historisch viele feministische Forderungen zur Legalisierung und zu kostenlosem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sowie Forderungen nach Schwangeren- und Mutterschutz zentrale Punkte des Kampfes. Denn es waren besonders die proletarischen Frauen, die an illegalisierten Schwangerschaftsabbrüchen oder fehlender Versorgung starben. Während die Arbeiter:innen das Recht auf kostenlose Abtreibung in der Sowjetunion bereits seit 1920 (als erstes Land der Welt) erkämpft hatten, wurde beispielsweise in den Jahren zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg der 8. März, der internationale Frauenkampftag durch die Forderung nach der Möglichkeit legaler Schwangerschaftsabbrüche sowie nach Schwangeren- und Mutterschutz bestimmt.

Die Forderung nach guter Geburtshilfe und Versorgung der Mutter ging für die Arbeiter:innen einher mit der Forderung nach dem Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche.

Sichere geburtshilfliche Versorgung, aber auch sichere Abtreibungen sind Teil einer bedürfnisorientierten adäquaten medizinischen Versorgung, auf die jede Person ein Recht hat.

Der besorgniserregenden Situation in der reproduktiven Gesundheitsversorgung stellen sich Arbeiter:innen aus verschiedenen Berufsgruppen des Gesundheitssektors entgegen. Sie kämpfen für eine Gesundheitsversorgung, in der die Bedürfnisse der Patient:innen und der Beschäftigten und nicht Spar- und Effizienzmaßnahmen im Mittelpunkt stehen, die enorme Folgen für die Qualität der Gesundheitsversorgung haben.

Eine halbe Millionen Pfleger:innen, Ärzt:innen, Rettungskräfte, Hebammen etc. streiken in Großbritannien in den vergangenen Wochen innerhalb einer riesigen Streikwelle mit hunderttausenden Arbeiter:innen. Es ist der größte Streik von Gesundheitsarbeiter:innen in GB seit 75 Jahren; die Beschäftigten fordern höhere Löhne unter anderem als Maßnahme gegen den massiven Personalmangel, der teilweise bereits zu katastrophalen Versorgungslücken führt.

In Ländern auf der ganzen Welt erhoben sich in den vergangenen Jahren besonders durch die verschärfte Situation durch Corona, Gesundheitsarbeiter:innen gegen die katastrophalen Bedingungen, besonders die Personalengpässe in profitorientierten Gesundheitssystemen:

Auch in Deutschland konnten wir in den vergangenen Jahren Bewegungen von Kolleg:innen in der Berliner Krankenhausbewegung oder der Streikbewegung “Notruf NRW” beobachten, die sich gegen den gefährdenden Normalzustand der deutschen Gesundheitsversorgung stellten und Entlastungen forderten.

An der Spitze der Berliner Krankenhausbewegung standen unter anderem Berliner Hebammen, die sich insbesondere gegen die Profitorientierung durch das DRG-System und den stetigen Personalmangel stellten, mit der Perspektive den Gebärenden eine wirklich bedürfnisorientierte Versorgung leisten zu können.

In München kämpfen derzeit Kolleg:innen des Neuperlacher Kreißsaal für ihren Erhalt angesichts einer stetigen Schließungs- und Zentralisierungspolitik in der Geburtshilfe auf Kosten der gebärenden Menschen.

Der Kampf für eine flächendeckende bedürfnisorientierte (reproduktive) Gesundheitsversorgung muss auch die Forderung nach einem einfachen Zugang zu kostenfreien und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen beinhalten, denn das ist genauso Teil einer guten reproduktiven Versorgung.

Für volle reproduktive Rechte in einem Gesundheitssystem ohne Profite!

Wir kämpfen für ein bedürfnisorientiertes Gesundheitssystem, das allen Menschen die volle körperliche Selbstbestimmung und die bestmögliche Versorgung gewährleistet!

Dazu gehört nicht nur der Zugang zu legaler, sicherer und kostenfreier Abtreibung, denn eine Abtreibung kann natürlich trotzdem ein psychisch und körperlich schwerwiegender Eingriff sein. Wir fordern deshalb bereits vorher das Recht auf gute sexuelle Aufklärung und kostenlose Verhütungsmittel!

Um den Slogan unserer internationalen Genoss:innen von Pan y Rosas, die in riesigen feministischen Mobilisierungen der vergangenen Jahre für reproduktive Gesundheit kämpften zu benutzen:

Für Sexualaufklärung um zu entscheiden,

Für kostenlose Verhütungsmittel um nicht abtreiben zu müssen,

Für sichere, legale und kostenfreie Abtreibungen um nicht zu sterben!

 

 

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