Wie können die angestellten Lehrer*innen gewinnen?

16.05.2016, Lesezeit 6 Min.
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Am vergangenen 12. Mai fand der dritte Warnstreik der angestellten Lehrer*innen in Berlin in diesem Jahr statt. Es war der größte Streiktag seit Beginn der Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Berliner Senat seit 2013. Jetzt muss es darum gehen, aus diesem Warnstreik Schwung für eine Ausweitung des Kampfes zu holen. Eine offensive Strategie der Mobilisierung, basierend auf der breitesten Streikdemokratie und der Solidarität von Schüler*innen, Studierenden und Beschäftigten, kann den Arbeitskampf der angestellten Lehrkräfte in Berlin zum Sieg führen.

Seit 2013 streiken Berlins angestellte Lehrer*innen immer wieder für faire Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen – insgesamt schon 20 Mal. Der Warnstreik am vergangenen Donnerstag war mit fast 4.000 Beteiligten der größte Streiktag – und das an einem zentralen Prüfungstag für den Mittleren Schulabschluss (MSA).

Der Mut und die Kampfbereitschaft der angestellten Lehrer*innen ist beeindruckend – gerade auch angesichts der vom Senat geschürten medialen Hetzkampagne, die den Streikenden immer wieder entgegenschlägt. Doch eintägige Warnstreiks in komfortablen Abständen üben nicht den Druck aus, der für eine Lösung des Konflikts nötig wäre – auch wenn die Mobilisierung immer größer wird. Warum wagt die Gewerkschaftsführung der GEW nicht den Schritt zu einer Ausweitung der Streiks?

Welche Strategie verfolgt die GEW-Spitze?

Die GEW-Führung gibt sich zwar immer wieder kämpferisch und hat auch einige positive Elemente etabliert, wie „offene Mikros“ auf Streikkundgebungen oder Mechanismen, durch die sich auch Basismitglieder an Entscheidungsprozessen beteiligen können.

Darüber hinaus bremsen sie jedoch den Kampf. Schon 2013 und 2014 haben Tausende Lehrer*innen hart gestreikt, auch mit der Unterstützung von solidarischen Schüler*innen. Als sich der Senat jedoch einmal an den Verhandlungstisch setzte, wollte die Gewerkschaftsspitze das „Verhandlungsklima“ wahren. Also eben jenes Klima, dass der Senat sich monatelang geweigert hatte herzustellen. Durch diese Taktik wurden die kämpferischen Lehrer*innen demobilisiert… und bis jetzt hat sich nichts getan.

Umso erstaunlicher ist es, dass der Arbeitskampf auch in diesem Jahr nicht groß anders geführt wird. Es gab drei Warnstreiks: Ende Januar an den Oberstufenzentren, Ende März an allen Schulen mit einer Kundgebung am Potsdamer Platz mit 3.500 Lehrer*innen und Mitte Mai mit einer Demonstration von fast 4.000 Streikenden.

Sicherlich ist es immer wieder eine große Herausforderung, seine Kolleg*innen zu mobilisieren und kräftige Streiks zu organisieren. Doch der letzte Streik mit einer Rekordbeteiligung an einem zentralen Prüfungstermin macht deutlich, dass Bereitschaft da ist. An vielen Schulen werden die Stimmen lauter, aufs Gaspedal zu drücken und mit mehrtägigen und einwöchigen Streiks die Stärke zu demonstrieren. Es fehlt also nicht an der Streikbereitschaft, sondern an einer Führung, die diese in einen Kampfplan umsetzt.

Wahlen im September

Im Gegensatz zu den vergangenen Streikwellen finden in diesem Jahr Verhandlungen im Hintergrund statt. Das liegt daran, dass allen Parteien im Senat daran gelegen ist, den Konflikt möglichst bald gelöst zu haben und im besten Fallen mit den Lorbeeren vom Felde ziehen zu können. Im September finden die Abgeordnetenhauswahlen statt und das politische Establishment hat kein Interesse an Streiks inmitten des Wahlkampfes.

Doch dieses Kalkül ist nicht gleichbedeutend damit, dass sie die Forderungen der angestellten Lehrer*innen erfüllen wollen oder können. Sie wollen das Problem Streik aus der Welt schaffen, nicht das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen und der ungleichen Bezahlung.

Bei diesem Spiel hat die GEW-Bürokratie bisher mitgespielt. Statt auf die Kraft der streikenden Lehrer*innen zu setzen und so dem Senat ein Ergebnis aufzuzwingen, hat sie die Mobilisierungen dem Verhandlungskalender angepasst. Wenn es so weitergeht, ist ein Versprechen des Senats am wahrscheinlichsten, das die Gewerkschaft befähigt, die Streiks zu verschieben. Dann könnte der Senat nach den Wahlen mit der gewohnten arbeiter*innenfeindlichen Sturheit weitermachen, wie es auch schon 2014 geschehen ist, und der Arbeitskampf würde im Sand verlaufen.

Um das zu verhindern, muss der Verhandlungskalender mit dem Senat dem Streikkalender untergeordnet werden. Es geht nicht um eine etwas „kämpferischere“ Verhandlungsstrategie, sondern um eine komplett andere Strategie, mit mehrtägigen und einwöchigen Streiks als Stützpunkte des Kampfes. Nur so, und nicht durch die „Wahrung des Verhandlungsklimas“, können die angestellten Lehrer*innen der Misere der Berliner Bildung ein Ende setzen. Dazu gehört auch, die bestehende Unterstützung von Schüler*innen, Studierenden und Arbeiter*innen auszuweiten.

Länger streiken, gemeinsam kämpfen

Während die angestellten Lehrer*innen am Donnerstag in Berlin-Mitte demonstrierten, begaben sich die Beschäftigten des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem ebenfalls in einen Warnstreik. Sie kämpfen gegen Outsourcing, Tarifflucht und für gleiches Geld für gleiche Arbeit. Auch ihr Kampf richtet sich mittelbar gegen den Berliner Senat. Gemeinsame Streiks und Kundgebungen würden beide Kämpfe stärken.

Ein noch viel stärkeres Signal würden gemeinsame Streiktage der Lehrer*innen mit den Beschäftigten der landeseigenen Vivantes-Kliniken geben, die sich ebenfalls noch in Tarifauseinandersetzungen befinden. Bei zwei Warnstreiktagen Ende April gemeinsam mit den Beschäftigten der Charité haben sie ihre Entschlossenheit bewiesen, den kürzlich für die Charité abgeschlossenen Tarifvertrag zur Mindestpersonalbesetzung auch für Vivantes zu erkämpfen.

Dazu gibt es solidarische Schüler*innen, von denen viele am Schul- und Unistreik gegen Rassismus am 27. April beteiligt waren, die ebenfalls mit Demonstrationen und Schulstreiks den Kampf der angestellten Lehrer*innen unterstützen wollen.

Für all das muss das Vertrauen in den Berliner Senat fallen gelassen werden und die Koordinierung mit kämpferischen Belegschaften und solidarischen Schüler*innen und Studierenden vertieft werden. Doch die Gewerkschaftsbürokratie hat ein ums andere Mal bewiesen, dass sie dies nicht freiwillig zulässt. Deshalb muss die Streikdemokratie ausgeweitet werden. Auf souveränen Streikversammlungen müssen die Kolleg*innen über die nächsten Schritte des Streiks diskutieren und entscheiden können.

Die angestellten Lehrer*innen haben den Willen bewiesen, in die Offensive zu gehen. Mehrtägige oder einwöchige Streiks wären nun an der Tagesordnung. Dazu kommen gemeinsame Streik- und Aktionstage mit anderen landeseigenen Betrieben im Kampf, sowie die Solidarität von Schüler*innen, Studierenden und anderen Beschäftigten.

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