Was steckt hinter dem Machtkampf in der Linkspartei?

18.10.2017, Lesezeit 8 Min.
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Nach der Niedersachsen-Wahl entbrennt in der Linkspartei die Debatte um die Regierungsbeteiligung. Bei der Klausur der Bundestagsfraktion bricht ein Machtkampf aus. Gleichzeitig gibt es einen offenen Brief gegen die rassistischen Äußerungen von Sahra Wagenknecht. Linke in der Linken fordern konsequente Oppositionswahlkämpfe. Wie geht es weiter?

„Wir haben lange gespürt, dass es viele Menschen gibt, die sagen, Ihr da oben, Ihr versteht uns nicht mehr. Ihr da oben tut nichts mehr für uns. Ich muss Protest artikulieren“, äußerte niemand geringeres als Linkspartei-Chef Dietmar Bartsch zur Rolle der Linken in der politischen Landschaft. Ironischerweise ist Bartsch selbst einer der größten Verfechter linker Regierungsbeteiligung. Diese Aussage bringt im Grunde das Scheitern der Linken in Niedersachsen zum Ausdruck.

Wo vor der Bundestagswahl noch ein Anti-Regierungs-Wahlkampf gemacht wurde, war im niedersächsischen Landtagswahlkampf die Kritik an den sozialen Kahlschlägen in der Bildungspolitik und den Skandalen in der VW-Dieselaffäre der rot-grünen Regierung wie verflogen. Aber die Linkspartei ist nicht erst seitdem im politischen Establishment angekommen. In Berlin, Brandenburg und Thüringen ist sie schon Teil der jeweiligen Landesregierungen. Dort trägt sie Abschiebungen, Privatisierungen von Wohnraum und öffentlichen Unternehmen sowie Polizeigewalt gegen linke Demonstrant*innen mit. Die Partei bewegt sich damit seit Jahren immer weiter nach rechts.

Dabei ist es auch kein Zufall, dass Fraktionschefin Sahra Wagenknecht mit ihren rassistischen Äußerungen gegen Geflüchtete auch Zuspruch in- und außerhalb der Linkspartei trifft. Lob für die Fraktionschefin kommt dabei sogar aus Teilen der AfD. Doch Gegenwind bekommt die Fraktionschefin nun von außerparlamentarischen linken Gruppen. In einem offenen Brief greifen Aktivist*innen von Gewerkschaften, Blockupy und diversen stadtpolitischen Bündnissen die Fraktionschefin für ihre rassistischen Äußerungen an. In dem Brief heißt es unter anderem:

Aber die wiederholten Äußerungen der bisherigen Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht, stellen den antirassistischen Grundkonsens einer pluralen Linken in Frage. Sie sind für uns längst mehr als ein Ärgernis. Denn wenn sich Nationalismus und die faktische Ablehnung der Gleichheit aller Menschen ausgerechnet in den Äußerungen derjenigen wiederfinden, die eine linke Partei repräsentieren, dann schwächt das die gesellschaftliche Linke insgesamt. Mehr noch: Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die für Solidarität und gegen rechte Hetze auf die Straße gehen.

Wir unterstützen diese Kritik. Doch sie geht an einem Kernproblem vorbei:Tatsächlich setzt die Linkspartei in Regierungsverantwortung längst um, was Wagenknecht oder Lafontaine fordern. In der Berliner Koalition hat sich die Linkspartei nicht etwa gegen die herrschende Asylgesetzgebung der Bundesregierung gestellt, sondern die ganz im Gegenteil die Umsetzung dieser versprochen. Auch in Thüringen und Brandenburg schiebt die Partei fleißig Menschen ab.

Deshalb ist der bei der Klausur der Bundestagsfraktion der Linkspartei gestern ausgetragene Machtkampf zwischen Wagenknecht/Bartsch und Riexinger/Kipping, bei dem Wagenknecht und Bartsch ihre Position als Fraktionsvorsitzende behaupten konnten, nur ein machtpolitischer Scheinkonflikt. Denn bei allen Unterschieden im Diskurs antwortet die gesamte Linkspartei-Führung – ob pro oder contra Wagenknecht – auf die Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitssituation von Millionen mit Menschen selbst mit rassistischer Politik. Anstatt Geflüchtete als einen entrechteten Teil der hiesigen Arbeiter*innenklasse zu begreifen, schürt die Partei die Konkurrenz zwischen Beschäftigten mit und Beschäftigten ohne deutschen Pass. Damit widerspricht die Partei offen ihrem Wahlprogramm, ohne dass es Konsequenzen für die Partei- oder Fraktionsspitze nach sich zieht. Die Aussagen von Wagenknecht und Lafontaine sind dabei nur eine Seite der fauligen Medaille. Die andere sind Abschiebungen und politische Entrechtung von Geflüchteten sowie eine Verschärfung der sozialen Probleme durch Privatisierung, Outsourcing und Lohndumping, die die Arbeiter*innenklasse als Ganze schwächen. Wer also die rassistischen Äußerungen von Wagenknecht und Lafontaine kritisiert, muss folgerichtig auch die rassistische Politik der Linkspartei in Rot-Rot-Grünen Landesregierungen kritisieren.

Rückhalt für Wagenknecht

Gegen den Offenen Brief kam auch postwendend die Antwort von Unterstützer*innen Sahra Wagenknechts. Ungefähr 4.000 Mitglieder und Sympathisant*innen der Linken haben mittlerweile einen Brief unterzeichnet, in dem sie die alte und neue Fraktionsspitze verteidigen.

Diskussionen gehören zu jeder demokratischen Auseinandersetzung. In der Sache auch harte Diskussionen. Was allerdings seit der Bundestagswahl gegen Sahra Wagenknecht an üblen Denunziationen in die Welt gesetzt wurde – gipfelnd im Rassismusvorwurf wenige Tage vor der Wahl für den Fraktionsvorsitz, hat mit einer demokratischen Diskussionskultur nichts mehr zu tun.

Dieser Brief ist nur ein weiterer Ausdruck des tiefen Rechtsrucks in der Linkspartei und der Schwäche der antikapitalistischen Kräfte in der Partei. Der viel gepriesene Mitglieder- und Stimmenzuwachs der Linken erscheint in diesem Kontext auch in einem anderen Licht. Kamen die Stimmen und die Mitglieder nun trotz oder wegen der chauvinistischen Äußerungen und der Politik der Linkspartei zustande? Die breite Unterstützung für Wagenknecht lässt wohl eher auf zweiteres schließen.

Gleichzeitig dominiert seit Jahren schon der Teil der Partei, der Regierungsbeteiligung anstrebt. Die aktuellen Machtkämpfe zwischen Partei- und Fraktionsvorsitz sind keinesfalls eine Diskussion über das „Ob“ des Mitregierens, sondern nur, wer über das „Wie“ entscheidet. Die Linke bietet sich dabei immer wieder als Mehrbeschafferin für Rot-Grün an und dient letztlich damit nur der politischen Stabilität des kapitalistischen Regimes.

Oppositionswahlkampf dagegen ausreichend?

Antikapitalistische Kräfte in der Linken, insbesondere die Sozialistische Alternative (SAV), setzen auf einen konsequenten Anti-Regierungswahlkampf. In ihrem Artikel zur Niedersachsenwahl heißt es dazu:

Nach Ansicht der SAV kann sich DIE LINKE auf Fortschritte bei der Gewinnung insbesondere junger Mitglieder und WählerInnen in den zurückliegenden Wahlen stützen, sollte sich aber auf ihr eigenständig-antikapitalistisches Profil besinnen, anstatt auf die Forderungen von neoliberalen oder gar rechtspopulistischen Parteien Rücksicht zu nehmen.

Das scheint sich nach den Wahlen zunächst zu bestätigen. Tatsächlich ist ein oppositioneller Wahlkampf, wie ihn die SAV beschreibt, die einzig richtige Losung für Mitglieder in der Linkspartei. Eine Losung, mit der die SAV besonders in Berlin, aber auch in anderen Teilen Deutschlands auch durchaus erfolgreich Wähler*innen für die Linkspartei mobilisiert. Aber ist es überhaupt möglich, mit einem eigenen Profil innerhalb der Partei gegen die herrschenden Regierungen aufzutreten?

Der Widerspruch dieser Politik lässt sich am besten durch die Kräfteverhältnisse in der Partei verdeutlichen. Die Partei- und Bundestags-Fraktionsführung bestehen überall aus Funktionär*innen, die einer Regierungsbeteiligung der Partei positiv gegenüberstehen. Weder SAV noch marx21 haben während der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin eine*n einzige*n Vertreter*in auf die Landesliste bekommen, weil der Berliner Parteichef Klaus Lederer nur „Regierungstreue“ dort zuließ.

Und auch die kritischen Stimmen aus regierungskritischen Jugendverbänden der Linkspartei verpuffen immer wieder quasi im Nichts. Die Rechtsentwicklung der Partei in den letzten Jahren unterstreicht, dass dieser Kampf von antikapitalistischen Kräften in der Partei dem gegen Windmühlen gleicht. Selbst wenn nun der Wagenknecht-Flügel stärker in die Kritik gerät, wird damit nur der andere Pro-Regierungs-Flügel um Riexinger und Kipping gestärkt. Antikapitalistische Positionen werden in diesem machtpolitischen Gerangel zwischen Fraktions- und Parteispitze völlig aufgerieben.

Für den Aufbau einer revolutionären Alternative

Wir treten, wie die SAV, für eine breitest mögliche Einheitsfront gegen Abschiebungen, Rechtsruck und Prekarisierung ein. Die kommende „Jamaika“-Koalition wird die rassistische GroKo-Politik fortsetzen und womöglich schärfere soziale Angriffe durchführen. Doch die Antwort der Linkspartei-Führung auf diese Perspektive – das hat sich besonders im Niedersachsen-Wahlkampf noch einmal verdeutlicht – ist eine gemeinsame parlamentarische Front mit der SPD, um sich auf die nächste Regierung vorzubereiten. Das wird weder zur Mobilisierung gegen die Politik der Regierung noch zur Bekämpfung der AfD beitragen, sondern vielmehr den Eindruck vertiefen, dass die AfD die einzige „Anti-Establishment“-Partei ist.

Dagegen brauchen wir eine Bewegung auf der Straße, in den Betrieben, Unis und Schulen, die sich der rassistischen und prekarisierenden Politik entgegenstellt. Eine Bewegung, die jegliche Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ablehnt. Eine Bewegung, die für einen sofortigen Abschiebestopp und die Aufhebung aller Restriktionen für Geflüchtete und Migrant*innen kämpft. Eine Bewegung, die auf einen gemeinsamen Kampf von Beschäftigten mit oder ohne deutschen Pass gegen Prekarisierung und Leiharbeit, und für gleichen Lohn für gleiche Arbeit setzt. Eine Bewegung, die für das Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, einen Stopp der Rüstungsproduktion und ein Ende der Kriegspropaganda eintritt.

Die Linkspartei setzt nicht auf den Aufbau einer solchen Bewegung. Deshalb brauchen wir eine revolutionäre Alternative, die anstelle der Beteiligung an bürgerlichen Regierungen den konsequenten Aufbau einer antikapitalistischen Massenbewegung in der Perspektive einer Regierung der Arbeiter*innen vorantreibt. Wir rufen alle Antikapitalist*innen in der Linkspartei dazu auf, mit uns Schritte in diese Richtung zu gehen.

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