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Was für einen Feminismus brauchen wir?

02.11.2019, Lesezeit 10 Min.
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Innerhalb des Feminismus werden die neoliberalen und individualistischen Varianten, die in den letzten Jahrzehnten dominant waren, von immer mehr Menschen in Frage gestellt. Wie können wir daran anknüpfen und welchen Feminismus brauchen wir? Aus der ersten Ausgabe der neuen Druckzeitung KlasseGegenKlasse.

Foto: Pany Rosas Protest, Argentinien © Kresta Pepe, La Izquierda Diario

Die Frauenbewegung ist weltweit – neben der globalen Klimabewegung – die am stärksten wachsende soziale Bewegung unserer Zeit. Von den internationalen Ni Una Menos-Protesten über #MeToo, die Demonstrationen gegen eine noch restriktivere Abtreibungspolitik in Polen bis hin zu der 600 km langen Menschenkette für Gleichstellung in Kerala, Indien, Anfang des Jahres, an der sich mehrere Millionen Frauen beteiligt haben: Überall sehen wir, dass Frauen gegen geschlechtsspezifische Unterdrückung und Gewalt, gegen die Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt und gegen rechte und autoritäre Regierungen, die hart erkämpfte Rechte zurücknehmen wollen, aufstehen und sich zur Wehr setzen.

Der Feminismus hat sich in den letzten Jahrzehnten theoretisch und praktisch ausdifferenziert. Im Zuge der neoliberalen Wende ab den 1980er Jahren hat sich gesamtgesellschaftlich eine zunehmende Individualisierung Bahn gebrochen, die auch in feministischen Kontexten sichtbar wurde und diese sogar oftmals dominiert. Auf einmal ging es darum, dass sich Frauen individuell selbst „empowern“ und die höchsten Posten der Hierarchie erklimmen sollten. Heute jedoch werden sich immer mehr Feminist*innen bewusst, dass dies nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändert. Denn für die meisten von uns macht es keinen Unterschied, wer an der Spitze großer Konzerne steht, denn wir müssen trotzdem in Jobs arbeiten, die uns auslaugen und für die wir schlecht bezahlt werden.

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse im patriarchalen Kapitalismus rücken also zu Recht wieder in den Vordergrund, da viele verstanden haben, dass das Ziel einer veränderten Gesellschaft nicht mit punktuellen Verbesserungen für einige Wenige erreicht werden kann, während die übergroße Mehrheit der Frauen weiterhin unter patriarchalen und ausbeuterischen Strukturen leidet.

Es ist kein Zufall, dass es gerade jetzt eine zunehmende Zahl an Feminist*innen gibt, die einen umfassenderen Ansatz für notwendig erachten und mit dem bürgerlichen und individualistischen Feminismus brechen wollen. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Widersprüche im System seit Ausbruch der Krise 2007/08 eine neue Brisanz erhalten haben. Auf der einen Seite steht die angeblich erreichte Gleichstellung und Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite erleben Frauen tatsächlich die Ungleichheiten im Leben, geprägt von schlechten Löhnen, Unsicherheit und Gewalt. Die „Liberalisierung“ des Arbeitsmarkts hat vielfach zu Prekarisierung1 geführt, von der vor allem Frauen betroffen sind. Wir brauchen also einen Feminismus, der sich damit befasst, was echte Verbesserungen im Leben der Massen bewirken können. Wir brauchen einen sozialistischen Feminismus!

Ein wichtiger Schritt im Bruch mit dem Individualismus ist es, dass sich in den letzten Jahren die Idee eines Frauen*streiks als Mittel für den 8. März durchgesetzt hat. Er thematisiert, dass es die Arbeit der Mehrheit der Frauen ist, die tagtäglich dieses System am Laufen hält, und dass ihre Macht darin liegt, sie kollektiv zu verweigern. Im Spanischen Staat gingen in den letzten beiden Jahren jeweils etwa sechs Millionen Menschen auf die Straße. Besonders beeindruckend: Die spanische Frauenbewegung konnte die Gewerkschaftszentralen dazu zwingen, den 8. März zu einem wirklichen Streiktag zu machen. Auch in der Schweiz hat dieses Jahr die größte (und erste) Mobilisierung für einen Frauen*streik seit Jahrzehnten stattgefunden. In Deutschland haben sich in vielen Städten Frauen*streikkomitees gebildet, die daran arbeiten, den 8. März als Frauen*kampftag wiederzubeleben und zu einem echten Streiktag zu machen. Sie stehen dabei vor der Herausforderung, dass die Gewerkschaftsführungen an der Sozialpartnerschaft festhalten, dass sie also ihre Rolle darin sehen, in ritualisierten Verhandlungsrunden mit den Bossen ein paar kleine Zugeständnisse herauszuholen, anstatt die Gewerkschaften zum Kampfinstrument der Arbeiter*innen zu machen. Dazu kommt die hartnäckige Behauptung, dass politische Streiks verboten seien und dieses Verbot nicht durch eine Massenbewegung überwunden werden könne. Diese Schranken müssen wir Feminist*innen in Deutschland überwinden, um den 8. März zu einem wirksamen Frauen*streik zu machen.

Warum sozialistischer Feminismus?

Wir leben in einem patriarchalen kapitalistischen System, in dem Ausbeutung und Unterdrückung ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Ausbeutung bedeutet, dass eine Minderheit von Menschen über Produktionsmittel verfügt, also Kapital besitzt. Diese eignet sich die Produkte der Arbeitskraft anderer an und schöpft daraus Profit, indem sie den Arbeiter*innen als Lohn weniger ausbezahlt, als diese mit ihrer Arbeitskraft an Wert produzieren. Es geht hierbei also um ein Verhältnis zwischen zwei Klassen: die Kapitalist*innenklasse (oder auch Bourgeoisie) auf der einen und die Arbeiter*innenklasse auf der anderen Seite. Unterdrückung beschreibt hingegen die Benachteiligung oder Unterwerfung einer Gruppe durch eine andere, beispielsweise aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Sprache oder ähnlichem. Unterschiedlichkeit wird demnach zur Legitimation von Hierarchie und Herrschaft benutzt. Die Kapitalist*innenklasse profitiert nicht nur von der Ausbeutung von Arbeitskraft, sondern auch von Unterdrückung, da sie zu Spaltungen und Wettbewerb führt. Dies erleichtert wiederum einerseits die Lohndrückerei, weil bestimmte Menschen in besonders schlechte Jobs gedrängt werden können, und verhindert andererseits, dass sich die große Masse an Arbeiter*innen gegen dieses System zusammenschließt und es gemeinsam bekämpft. Diese Funktion erfüllt nicht nur die sexistische Unterdrückung, sondern auch der Rassismus, der tief mit dem Kapitalismus verwoben ist.

Ein weiterer Nutzen, den die Kapitalist*innenklasse aus der patriarchalen Unterdrückung zieht, liegt in der Bereitstellung von Reproduktionsarbeit – also die Tätigkeiten, die zur Erhaltung der Arbeitskraft führen (z.B. Haushaltsarbeit und Kindererziehung). Sie wird hauptsächlich von Frauen geleistet – vor allem unbezahlt im Rahmen der Familie, aber auch unter prekären Bedingungen in den Haushalten wohlhabender Menschen, in der Pflege im Krankenhaus, in der sozialen Arbeit, in Kindergärten, Kantinen und der Reinigung. Es ist genau diese Arbeit, die das Leben aller Menschen erst ermöglicht und damit auch die Gewinne der Kapitalist*innen. Doch in diesem System wird sie abgewertet und an den Rand gedrängt. Rassistische und sexistische Unterdrückung sind also materiell im Kapitalismus verankert. Frauen erleben dabei unterschiedliche Auswirkungen von Unterdrückung auf ihr Leben, je nachdem, ob sie ausgebeutet werden oder nicht. Während es Bedingungen gibt, die theoretisch alle betreffen (z.B. ein allgemeines Abtreibungsverbot), können es sich reiche Frauen leisten, beispielsweise ins Ausland zu reisen. Armen Frauen stehen diese Möglichkeiten nicht offen, sodass diese oft an den Folgen eines unsicheren oder unhygienischen Abbruchs sterben. Außerdem haben reiche Frauen die Möglichkeit, andere Frauen auszubeuten. Für die Arbeiterin macht es keinen Unterschied, von wem sie letztlich ausgebeutet wird, ihre Bedingungen ändern sich nicht durch eine Frau* an der Spitze.

Wenn wir echte Emanzipation für Ausgebeutete und Unterdrückte wollen, brauchen wir also einen Feminismus, der nicht nur punktuell analysiert und Vorschläge macht, sondern einen, der das ganze System im Blick hat und dadurch den Weg zeigt, wie eine Frauenbefreiung gelingen kann. Wir brauchen einen Feminismus, der anerkennt, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und dies als Grundlage der Analyse und als Perspektive des Kampfes betrachtet.

Klassenzugehörigkeit ist nicht nur einer von vielen gleichrangigen Faktoren von Identität, die Unterdrückung mit sich bringen. Sie bildet den Kern, um den sich die anderen Formen von Unterdrückung (z.B. Rassismus, Homo- oder Transfeindlichkeit) formieren und zu einem spezifischen, aber ganzheitlichen System werden. Das, was das System als untergeordnet versteht (Frau, Schwarz, homosexuell usw.) erhält seine konkrete soziale Bedeutung und Ausprägung erst durch die Verknüpfung mit einer sozialen Klasse.

Im Anschluss an Terry Eagleton schreibt die sozialistische Feministin Andrea D’Atri: „Niemand hat eine bestimmte Hautpigmentierung, weil andere eine andere haben, und niemand hat ein bestimmtes Geschlecht, weil andere ein anderes haben. Aber Millionen von Menschen befinden sich in der „Position“ des Lohnarbeiters oder der Lohnarbeiterin, weil es auf der Welt ein paar Familien gibt, die in ihren Händen die Produktionsmittel konzentrieren. Beide Kategorien (bürgerlich/proletarisch oder Ausbeuter*in/Ausgebeutete*r) stehen auf eine Weise im Verhältnis zueinander, dass – im Unterschied zu anderen Identitäten – nur mit der Abschaffung dieses spezifischen Verhältnisses (Kapital/Arbeit) auch die untergeordnete „Identität“ abgeschafft werden kann. In einer Gesellschaft ohne jegliche Unterdrückung können wir uns vorstellen, dass Frauen auf der gleichen Hierarchieebene stehen wie Männer, ebenso wie Schwarze und Weiße oder Heterosexuelle und Homosexuelle. Aber es wird weiterhin verschiedenste Geschlechter geben, unterschiedliche Hautfarben und die diversesten sexuellen Orientierungen, die gleichberechtigt miteinander leben können. Das heißt, die Abschaffung der einen oder der anderen Identität ist nicht die notwendige Voraussetzung für die Abschaffung der Unterdrückung (und genau darum geht es!). Eine analoge Gleichheit der „Anerkennung“ für Bürgerliche und Proletarier*innen ist dagegen nicht denkbar. Dies sind Identitätskategorien, die sich gegenseitig bedingen und ausschließen. Die Menschheit von der Lohnsklaverei zu befreien, bedeutet unausweichlich, dieses System an seinen Wurzeln zu bekämpfen und es zu revolutionieren. In diesem Sinne zielt die Emanzipation der Arbeiter*innenklasse auf die Abschaffung aller Klassen“2 – und damit auch darauf, die Grundlage dafür zu legen, die Unterdrückung abzuschaffen, die gefestigt wird durch ausbeuterische Klassenbeziehungen.

Wie kommen wir dorthin?

Um dies zu erreichen, muss das revolutionäre Subjekt, das die Macht hat, diese Veränderungen durchzusetzen, in den Mittelpunkt unseres Bestrebens rücken: die Arbeiter*innenklasse. Sie hat aufgrund ihrer besonderen Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess die Möglichkeit, das System und damit die Profite der Kapitalist*innen zum Erliegen zu bringen. Heute ist diese Klasse so weiblich wie nie zuvor und die Frauenbewegung entdeckt gerade das Mittel gerade dieser Klasse für sich, und zwar den Streik. Viele Arbeiterinnen machen also in der Frauenbewegung Erfahrungen, die sie in ihre Arbeitsplätze und zu ihren Kolleg*innen bringen können. Sie können damit eine neue Dynamik in die gesamte Klasse bringen. Gerade heute sind die Chancen so gut wie selten, dass die Frauen- und die Arbeiter*innenbewegung sich miteinander verbinden.

Die besondere Unterdrückung von Frauen und ihre Kämpfe dagegen müssen dabei im Vordergrund stehen und mit den Fragen, die die gesamte Klasse betreffen, verknüpft werden. Sie dürfen nicht als nebensächlich „auf später“ verschoben werden. Das gleiche gilt für Fragen von Rassismus. Hinzu kommt, dass wir diesen Kampf auch international führen müssen. Denn die Kapitalist*innen, die uns in Deutschland ausbeuten, tun dies unter noch krasseren Bedingungen in anderen Ländern, begleitet von Kriegen, Elend und Umweltzerstörung. Wir Frauen von Brot und Rosen sehen uns dabei in der Tradition von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Tausenden anderen vor uns, die sich dafür eingesetzt haben, eine gerechte Gesellschaft zu erkämpfen. Wir fordern wie die Textilarbeiterinnen in Massachusetts, die 1912 unter diesem Namen streikten: Brot (gute Löhne) und Rosen (gute Lebensbedingungen). Wir setzen uns für alle Verbesserungen ein, die erreicht werden können, verlieren dabei aber nie aus den Augen, dass Kapitalismus, Patriarchat und die Zerstörung der Erde untrennbar miteinander zusammenhängen. Deswegen haben wir immer im Blick, das System nicht nur durch kleine Korrekturen zu verändern, sondern es grundlegend abzuschaffen und auf den Trümmern des ausbeuterischen und kapitalistischen Systems eine sozialistische Welt ohne Sexismus, Rassismus und alle anderen Unterdrückungsformen zu errichten.

Fußnoten

1. Unter Prekarisierung wird die zunehmende Verschlechterung von Arbeits- und Lebensverhältnissen verstanden, z.B. durch Mini- und Teilzeitjobs, Befristungen, Leiharbeit usw.
2. Andrea D’Atri: Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus. Argument Verlag 2019. S. 202f.

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