Was bleibt von #holmbleibt? Lektionen einer Besetzung

16.02.2017, Lesezeit 9 Min.
1

Vier Wochen lang besetzten Studierende des Instituts für Sozialwissenschaften (ISW) der Humboldt-Universität und anderer Einrichtungen das Gebäude in der Universitätsstraße 3b. Die Bilanz: Andrej Holm bleibt an der HU! Doch was bleibt darüber hinaus von dem Kampf?

Es mag banal scheinen, doch in Zeiten des Fortschritts reaktionärer Kräfte auf internationaler Ebene ist es wichtig, sich immer wieder an eine Grundweisheit zu erinnern, die Bertolt Brecht einst in schöne Worte verpackt hat: “Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.” Impliziert in den Worten ist auch: “Wer kämpft, kann gewinnen!” Und die Besetzer*innen des ISW haben gekämpft, obwohl viele kaum wirklich an einen Erfolg geglaubt haben, und tatsächlich haben sie gewonnen. Sie blieben, damit #holmbleibt, und letztendlich bleibt auch er.

Zugegeben, es ist ein defensiver Erfolg, also die erfolgreiche Rückschlagung eines reaktionären Angriffs. Aber ein wichtiger Erfolg nichtsdestotrotz. Denn wie häufig werden Entscheidungen an der Universität gegen den Willen der Studierenden und der Beschäftigten getroffen, wie häufig erleben wir ein Ohnmachtsgefühl? Dass es bei Andrej Holm anders war, liegt sicher an der politischen Aufgeladenheit des Falles, doch an einem grundsätzlichen Fakt ändert das nichts: Die Besetzung hat erfolgreich dazu beigetragen, dass die Kündigung von Andrej Holm zurückgenommen wurde. Solche Siege gibt es nicht häufig, und deshalb wollen wir uns mit einigen ersten Lehren dieser Besetzung auseinandersetzen.

Eine Referenz des Kampfes

In den vier Wochen Besetzung gab es unzählige politische Veranstaltungen in den besetzten Institutsräumen, häufig nahmen an den Diskussionsrunden und Plena viele Menschen teil, die nicht am ISW studieren. Denn die Besetzung war auch ein Symbol, ein Anziehungspunkt für breitere gesellschaftliche Interessen, und das mitten im sonst so spießbürgerlichen Bezirk Berlin-Mitte.

In der offiziellen Pressemitteilung zum Ende der Besetzung heißt es denn auch:

In vier Wochen Besetzung haben wir nicht nur erkämpft, dass Andrej Holm an der HU verbleibt. Wir haben vor allem einen Raum der Politisierung und Vernetzung geschaffen. Wir haben damit der Bewegung für eine gerechtere Stadt und eine bessere Hochschule einen starken und nachhaltigen Impuls verliehen. Die Besetzung des ISW war nur der Anfang. Wir machen weiter!

Die “Causa Holm” war ein Kristallisationspunkt, an dem sich viele langjährige Forderungen von Studierenden und Aktivist*innen entzündet haben. Die Besetzung hat zwar mit der Forderung “Holm bleibt!” begonnen, doch wie mehrere offizielle Erklärungen und unzählige Diskussionen in den letzten vier Wochen gezeigt haben, ging und geht es um viel mehr: um eine Demokratisierung der Universität; um eine aktivistische Wissenschaft, die sich in die sozialen Belange der großen Mehrheit der Bevölkerung einmischt; um gemeinsame Interessen von Hochschulbeschäftigten und Studierenden; und letztlich um die Frage: Wem gehört sie eigentlich, die Universität?

Solidarität und gemeinsamer Kampf

Dass die Besetzung über vier Wochen aufrecht erhalten werden konnte und ebendiese Rolle spielen konnte, ist vor allem der breiten Solidarität verschiedenster Sektoren zu verdanken. Die Besetzung beweist damit noch einmal die Lehre so vieler anderer Kämpfe: Solidarität ist unsere stärkste Waffe. In der abschließenden Pressemitteilung wird auch darauf besonders eingegangen:

Die Besetzung des Instituts erfuhr eine äußerst breite Solidarität. So formulierten die gesamte studentische Selbstverwaltung der Humboldt-Universität sowie die ASten aller Berliner Universitäten ihre Unterstützung. Zahlreiche Menschen, darunter Aktivist*innen, Professor*innen und Dozent*innen, bereicherten das Programm der „Uni von Unten“ mit Vorträgen und Workshops. Stadtpolitische Initiativen waren von Beginn Teil der Besetzung durch Beiträge zu Programm und der gemeinsamen Organisation der großen Demonstration Ende Januar. „Wir danken allen Initiativen, Organisationen und Personen, die unseren Protest und unsere Besetzung unterstützt haben. Ohne die große Unterstützung wäre all das nicht möglich gewesen!“

Die Besetzung war ein politischer, ein politisierender Raum, in dem unzählige neue Erfahrungen gemacht werden konnten, die für weitere Kämpfe fruchtbar sein werden. Die Besetzung war eine Referenz für kämpferische Aktivist*innen, Jugendliche, Arbeiter*innen und viele, die aus dem Akt des Widerstands, den diese Besetzung darstellte, eine große Kraft schöpfen. Das allein macht die Besetzung zu einem Symbol des Kampfes, das es weiterzutragen gilt.

Arbeiter*innen und Studierende: selbstverständliche Einheit?

Es ist eine große Errungenschaft dieser Besetzung, dass sie die Frage des gemeinsamen Kampfes von Hochschulbeschäftigten und Studierenden so klar auf die Agenda gesetzt hat wie kaum eine andere politische Aktion an deutschen Universitäten in den letzten Jahren. Und es ist großartig, dass – auf der Oberfläche – es so selbstverständlich war, dass es viele gemeinsame Interessen zwischen Beschäftigten und Studierenden gibt.

Doch die Besetzung ist auch eine Lehre, dass ein guter Vorsatz noch keine Politik ist. Erst in der zweiten Hälfte der Besetzung hat sich eine ständig arbeitende Kommission etabliert, die “AG für Solidarische Kommunikation”, die es als ihre Hauptaufgabe verstanden hat, den gemeinsamen Dialog mit den Beschäftigten des Instituts zu suchen. Klar, eine studentische Besetzung kann und muss natürlich hauptsächlich von den Studierenden selbst getragen werden – sie sind ja auch die übergroße Mehrheit der Menschen an einer Universität –, doch schon vom taktischen Standpunkt der Besetzung aus ist die Solidarität der am Institut Arbeitenden enorm wichtig für eine gemeinsame Front gegen die Leitung der Universität, die die Entscheidung im Fall Holm zu verantworten hat. Das gilt umso mehr, wenn man das strategische Ziel teilt, eine gemeinsame Front im Klassenkampf und für eine Universität im Dienste der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu schmieden.

Sicherlich ist das alles andere als leicht: Denn zum Einen sorgte die fast schon unhinterfragbare autonome Hegemonie der Besetzung dafür, dass zwar sehr viel Energie darin gesteckt wurde, alle möglichen Kämpfe miteinander zu verbinden – Stadt- und Wohnungspolitik, Kultur- und Bildungspolitik etc. –, doch mit Ausnahme wichtiger solidarischer Gesten – an denen einige Studierende (wie zum Beispiel besagte AG) teilnahmen – kaum darin investiert wurde, die zeitgleich laufenden Kämpfe der Hochschulbeschäftigten um bessere Löhne, der studentischen Beschäftigten für einen neuen Tarifvertrag, und andere Arbeitskämpfe, die sich gegen den Berliner Senat als Verantwortlichen wandten, zum Aufbau einer gemeinsamen Front zu nutzen.

Zum Anderen ist und bleibt es ein riesiges Problem, dass Beschäftigte an Hochschulen sich – aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse, persönlicher Abhängigkeitsstrukturen und internalisiertem Konkurrenzdruck – kaum für ihre eigenen Interessen organisieren. Tatsächlich waren es wenige Beschäftigte am ISW, die sich öffentlich mit ihrem Kollegen Andrej Holm solidarisiert haben. Einige haben die Besetzung explizit abgelehnt. Doch wie auch der emeritierte Politikprofessor Peter Grottian neulich bei einer Veranstaltung an der FU sagte, liegt es gerade deshalb an den Studierenden, die Beschäftigten an der Universität im Aufbau von Organisationsstrukturen zu unterstützen.

Gerade wenn es darum geht, gegen die Prekarisierung von Lehr- und Lernverhältnissen vorzugehen, müssen studentische Strukturen es sich zur wichtigen Aufgabe machen, gemeinsame Perspektiven der Organisation und des Kampfes mit Unibeschäftigten zu entwickeln.

Die Staatssekretärs-Affäre

Während der Besetzung wurde immer wieder richtigerweise die bedingungslose Verteidigung des Arbeitsplatzes eines linken Dozenten gefordert und die politische Natur des Angriffs auf Holm betont. Trotz aller politischen Differenzen, die wir mit Andrej Holm haben, haben wir als Teil der Besetzung des ISW immer wieder darauf bestanden, dass der Kampf für die Rücknahme der Kündigung selbstverständlich ist.

Und dennoch können wir nicht umhin – jetzt, da Holm tatsächlich bleibt –, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Holm als Staatssekretär – wenn er nicht entlassen worden wäre – für die Umsetzung genau der mieter*innenfeindlichen Politik verantwortlich gewesen wäre, die die stadtpolitischen Initiativen immer wieder anprangern (und ihn dafür auch zitieren). Genauso ist es ein Skandal, dass die Linkspartei in der Causa Holm stillgehalten hat, anstatt die Regierung auf den politischen Prüfstand zu stellen. Dass die Besetzung des ISW zur Verteidigung von Holms Arbeitsplatz überhaupt nötig war, geht auf ihre Kappe.

Eine neue Studierendenbewegung?

Von der ISW-Besetzung bleibt vieles, das für den Aufbau einer kämpferischen Studierendenbewegung in Deutschland lange fehlte und dringend notwendig ist: die gemeinsame Perspektive gegen Prekarisierung und Unterfinanzierung, für eine Demokratisierung der Universität und für eine Wissenschaft mit kämpferischer Perspektive; die wichtigen Ansätze des gemeinsamen Kampfes von Studierenden und Beschäftigten; die Botschaft, dass Widerstand sich lohnt; die Erfahrungen der Politisierung einer neuen Generation von Aktivist*innen; und vieles mehr.

All das rechtfertigt noch nicht, von einer neuen Studierendenbewegung zu sprechen. Gleichwohl gibt es ähnliche Erfahrungen in den letzten Monaten auch an anderen Universitäten in Deutschland, wie beispielsweise in Freiburg oder in Göttingen, die Hoffnung darauf machen, dass nach den Erfahrungen der Bildungsstreiks 2009-2011 ein neuer Wind durch die deutschen Universitäten wehen könnte. Wenn es 2017 eine Studierendenbewegung geben sollte, wird die ISW-Besetzung ein großer Auftakt gewesen sein.

Mehr zum Thema