Von der 68er-Bewegung zu TV-Stud

16.01.2018, Lesezeit 5 Min.
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Vor 50 Jahren tobten die größten Kampfe der Studierendenschaft in der Geschichte der Bundesrepublik. Warum sich ein Vergleich mit TV-Stud lohnt – und was wir daraus lernen können.

Mit dem neuen Jahr werden auch die Reminiszenzen der 68er-Bewegung wieder aufkommen, die wie keine andere Bewegung die Bundesrepublik veränderte. In der Tat markierte „68” einen neuen Aufschwung der Klassenkämpfe weltweit. Heutzutage wird „68“ vor allem mit dem Pariser Mai 68 in Verbindung gebracht. Denn zu dieser Zeit herrschte in Frankreich eine revolutionäre Situation sondergleichen. Kein Wunder, befanden sich doch sage und schreibe über zehn Millionen Arbeiter*innen im Streik und sorgten gemeinsam mit den kämpfenden Studierenden für eine beispiellose Vereinigung der Kämpfe.

In Deutschland selbst ist die 68er-Bewegung als Studierendenrevolte in Erinnerung geblieben. Auch das nicht zu Unrecht, da es im Gegensatz zu Frankreich eben nicht gelang, eine substantielle Verbindung zur Arbeiter*innenklasse herzustellen. Was waren die objektiven Gründe für das Scheitern dieser Allianz? Es mag verwundern, dass links des Rheins der Slogan „Ouvriers étudiants: unis nous vaincrons” („Arbeiter, Studierende, gemeinsam gewinnen wir“) aufgestellt wurde, während dies in Deutschland keine Auswirkungen auf eine mögliche Einheit der Arbeitenden und Studierenden zu haben schien. Das scheint umso verwunderlicher, als dass das Zentrum der Studierendenbewegung bis zum Mai nicht in Frankreich, sondern in Deutschland war.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Kämpfe der Studierenden in Deutschland radikaler, größer, aber auch — blutiger. Denn schon rund ein Jahr vorher war der Student Benno Ohnesorg von der Berliner Polizei ermordet worden. Mitglieder des SDS waren dementsprechend erfahrener, was die Proteste der Jugend anbelangte. Sie gaben daher ihren französischen Kommiliton*innen Ratschläge und Hilfe. Doch das Pendel schlug mit dem Mai in die andere Richtung und die Einheit der Arbeitenden und Studierenden sorgte in Frankreich für eine Explosion. Zu ihrem Höhepunkt entstand eine revolutionäre Situation, die sogar dazu führte, dass der Staatspräsident Charles de Gaulle kurzzeitig das Land verlassen musste.

Es wächst zusammen, …

Es mangelte nicht an Diffamierungen gegen die Studierenden. Sie wurden als „faul” oder „schmarotzerhaft” abgestempelt. Ihnen wurde nachgesagt, dass sie nicht arbeiten wollten. Tatsächlich war der Anteil der Studierenden, die nebenbei arbeiten mussten, in den 60er-Jahren geringer als heute. In Deutschland wie in Frankreich fing gerade erst die Zeit der Massenuniversität an. Dies bedeutete freilich, dass Kinder aus Arbeiter*innenfamilien eher selten an den Universitäten zu finden waren.

Die 68er-Generation war auch eine Generation, die sich gegen die autoritär-konservative Familienstruktur richtete. Dies hatte besonders in Deutschland aufgrund der faschistischen Vergangenheit einige Sprengkraft.

Sicherlich mögen die „traditionellen” Familien- und Gesellschaftsbilder ein Grund dafür gewesen sein, warum die 68er-Bewegung auch einen starken kulturellen Aspekt hatte. Ein Aspekt, der heute völlig fehlt in einem Kampf, der – wenn auch auf anderer Ebene – ebenso einen historischen Charakter haben wird.Die Rede ist vom Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten für einen neuen Tarifvertrag (TV-Stud III). Heute streiken Studierende zum ersten Mal seit 1986 als Lohnabhängige!

Wir wollen hier die nicht die Tarifinitiative größenmäßig mit anderen Bewegungen vergleichen, sondern den Fokus auf einen substantiell-inhaltlichen Aspekt legen. Was ist der Charakter dieser beiden Proteste und welche Lehren können wir aus diesem Vergleich ziehen? Zunächst ist da die Tatsache hervorzuheben, dass heute mit rund 68 Prozent vielmehr Studierende neben dem Studium einer Lohnarbeit nachgehen müssen als es 68 der Fall war. Die Besonderheit des Kampfes um den TV-Stud III liegt eben darin, dass hier Studierende als Beschäftigte in einen Arbeitskampf verwickelt sind. Die Einheit als Arbeitende und Studierende ist in diesem Kampf inhärent — das bedeutet jedoch nicht, dass die Einheit der Arbeitenden und Studierenden bereits in die politische DNA der meisten Studierenden eingeschrieben wäre.

Gleichwohl gibt es für diesen Kampf gute Ausgangsbedingungen in dieser Hinsicht, da bereits Arbeiter*innen aus verschiedenen Sektoren (Botanischer Garten, CFM, VSG) ihre Unterstützung signalisiert haben. Der Kampf der studentischen Beschäftigten erfährt einen qualitativen Sprung, wenn die Kolleg*innen aus den anderen Bereichen die TV-Stud-Kampagne unterstützen, denn… sie machten die gleichen Erfahrungen mit dem gleichen Gegner: dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), der mit seiner neoliberalen Politik versucht, sowohl die studentischen Beschäftigten als auch die Kolleg*innen zu drangsalieren.

…was zusammen gehört

Erfahrungen wie diese sind es, die die Einheit der Arbeitenden und Studierenden manifest machen. Gleicher Gegner, gleiche Erfahrungen, und die Schlussfolgerung, dass unter dieser neoliberalen Politik der Universitäten sowohl die Beschäftigten als auch die Studierenden zu leiden haben. Die schlechten Arbeitsbedingungen der Kolleg*innen und jene schlechten Lern- und Lehrbedingungen der (beschäftigten) Studierenden sind miteinander verzweigt und dieser gordische Knoten kann nur durch Streiks — die einzige Sprache, welche die Universitäten verstehen — zerschlagen werden.

Streiks. Vor 50 Jahren in Deutschland eher eine seltene Forderung, während auf dem Höhepunkt des Pariser Mai mehr als zehn Millionen in den Streik getreten waren. Doch es ist 2018 und wir machen unsere Erfahrungen oder haben sie schon gemacht. Die angesprochenen prekären Sektoren des Botanischen Gartens, der CFM & VSG haben bereits ihre unterschiedlichen Streikerfahrungen gemacht. Nun hat sich der TV-Stud dazugesellt und damit betritt in der jüngeren Geschichte der Berliner Arbeitskämpfe ein neuer Akteur die Bühne der Kämpfe: die Studierenden.

Und damit hat heute gleichzeitig eine neue Etappe dieser Berliner Arbeitskämpfe begonnen.

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