ver.di weitet Streiks im Einzelhandel aus

19.08.2023, Lesezeit 4 Min.
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Auf der Kundgebung #SolidarischerHerbst im Oktober 2022 in Hannover. Foto: geogif / Shuttershock.com

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte ihre Mitglieder aus Berlin und Brandenburg für Dienstag und Mittwoch zum Ausstand aufgerufen. Zudem wurde beschlossen, die Warnstreiks auf Donnerstag und somit erstmals auf drei Streiktage am Stück auszuweiten.

Aufgerufen wurden unter anderem Kaufland-, Rewe- und Edeka-Filialen sowie die Kaufhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof, das KaDeWe, H&M, IKEA und Thalia. Auch Lager der Supermarktketten in Berlin, Oranienburg und Lübbenau wurden bestreikt.

Die Arbeitgeber legten zuletzt ein Angebot über eine Lohnerhöhung von 5,3 Prozent vor, dies entspräche in der untersten Lohngruppe einem Verdienst von 13 Euro pro Stunde, was 59 Cent über dem ab dem 1. Januar greifenden Mindestlohn liegt.

»Die Kollegen und Kolleginnen empfinden die Angebote als eine schallende Ohrfeige. Die Arbeitgeber ignorieren die existenziellen Probleme, die die Teuerung für die Beschäftigten bedeutet«, sagte Conny Weißbach, ver.di Fachbereichsleiterin für den Handel.

66 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind weiblich, viele von ihnen Alleinerziehende. Die meisten von ihnen sind in den unteren Lohngruppen beschäftigt. Zudem beträgt die Teilzeitquote im Berliner Einzelhandel 65 Prozent, oft ist das unfreiwillig.

Die Forderungen der Gewerkschaft umfassen eine Lohnsteigerung von 2,50 Euro pro Stunde, eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 250 Euro im Monat, eine Laufzeit von 9 Monaten sowie die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge für alle Beschäftigten der Branche. Nach Stand 2019 sind inzwischen nur noch 28 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel und 33 Prozent im Großhandel durch einen Branchen- oder Haustarifvertrag erfasst.

„Nach den letzten Angeboten erleben wir bei ver.di eine starke Bereitschaft, aus den Belegschaften aktiv zu werden. Wir werden mit der Ausweitung der Warnstreiks in den nächsten Tagen zeigen, dass der Handel ohne die Beschäftigten nicht funktioniert“, ergänzt Weißbach.

Die Beschäftigten wollen nun endlich einen Anteil an den steigenden Gewinnen der Händler und einen Ausgleich der steigenden Verbraucherpreise.
Die Lebensmittelpreise sind laut einer Studie der Allianz Trade für über 40 Prozent der diesjährigen Inflation in Deutschland verantwortlich. Der Versicherer begründet die extremen Steigerungen in erster Linie mit den hohen Energie- und Betriebskosten der Hersteller und Händler. Aber: Mehr als ein Drittel der Teuerung könne gleichzeitig „nicht durch die historische Dynamik, Erzeuger- und Energiepreise erklärt werden“. „Gewinnmitnahmen liegen also nahe“, schlussfolgern die Ökonomen.

Unterdessen hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg am Donnerstag die Edeka-Unternehmensgruppe Nordbayern-Sachsen-Thüringen in die Schranken gewiesen: Sie hatte mit mehreren Anträgen vor verschiedenen Arbeitsgerichten versucht, die Streiks während der Tarifrunde des bayerischen Groß- und Außenhandels zu stoppen.

Die aktuellen Arbeitsniederlegungen in Berlin und Brandenburg reihen sich in Streiks in vielen anderen Bundesländern ein. Die Frage ist jedoch, wieso die Streiks nicht direkt auf Länder- und Bundesebene geführt werden, um eine größere soziale Schlagkraft zu entfalten. Im Groß- und Einzelhandel arbeiten bundesweit zusammengerechnet mehr als 5 Millionen Beschäftigte. Wenn diese in ihrer Gesamtheit die Arbeit niederlegen würden, hätte das viel größere Auswirkungen.

Wenn die Beschäftigten ihre Forderungen erkämpfen können und der Sektor 2024 vereint in die Tarifrunden geht, könnte er ähnliche Streikbewegungen hervorbringen, wie es sie 2023 im öffentlichen Dienst, bei der Post oder bei der Bahn gab. Dazu müsste jedoch die Gewerkschaftsführung – anders als in all diesen Auseinandersetzungen – den Kampf konsequent bis zum Ende führen und der Streikbereitschaft der Kolleg:innen gerecht werden. Deswegen kämpfen wir für oppositionelle Strömungen in den Gewerkschaften, die die Führung unter Druck setzen und sie letztlich der demokratischen Kontrolle durch die Basis unterstellen. Denn die Streikenden sind diejenigen, die kämpfen – und sollten darum auch darüber entscheiden, wann und wie sie es tun.

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