Tötungsmaschinerie am Bodensee

01.06.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: shutterstock.com/ Salvador Aznar

Der größte Profiteur des Krieges in der Ukraine ist die Rüstungsindustrie. Besonders in der Bodenseeregion haben sich 30 Konzerne und Unternehmen niedergelassen, die nicht nur die Ukraine mit Panzern, Waffen und Munition beliefern, sondern auch NATO-Staaten und Diktaturen wie Saudi-Arabien.

Die Aufrüstung Kiews durch europäische Staaten, angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, gehört mittlerweile zur Normalität der von Olaf Scholz ausgerufenen “Zeitenwende”. Nachdem vergangenen Jahres das sogenannte “Sondervermögen” von 100 Milliarden Euro verabschiedet wurde, profitiert besonders die deutsche Rüstungsindustrie davon. Bluten müssen dafür Bildung, Soziales und das Klima, für die angeblich kaum Geld zur Verfügung steht. Wie das Kriegsministerum unter Boris Pistorius 2022 frohlockte (damals noch mit Christine Lambrecht als Ministerin), könne man nun eine “kaltstart-, durchsetzungs- und durchhaltefähig” Bundeswehr aufbauen. Beziffert wurde der Posten damals mit 13 Milliarden Euro. Im Jahr 2023 wurden die “Unterstützungsleistungen an die Ukraine” konkreter: in der endlos langen Liste des Rüstungsgüter werden Panzer, Luftverteidigung, Artillerie, Pionierfähigkeiten, Schutz- und Spezialausrüstung, Logistik und Munitionen produziert und exportiert. Die Kosten beziehungsweise zur Verfügung gestellten Gelder belaufen sich auf zwei Milliarden (2022), 5,4 Milliarden (2023) und weitere geplante 10,5 Milliarden (2024) Euro.

Um die entstehende Lücke in den Beständen aufzufüllen, wird ein Teil der Summe in die Europäische Friedensfazilität (EPF) gesteckt. Hinter dem zynischen Titel verbirgt sich eine  Finanzierung der Zusammenarbeit der “Außen- und Sicherungspolitik” der Europäischen Union (EU) und ihrer Mitgliedstaaten. Der am 22. März 2021 Beschlusses des Rates der EU will unter dem Deckmantel einer “Friedenspolitik” die Militarisierung der EU vorantreiben und auserwählten “Partnernländern” Kriegsgeräte und Munition liefern: ein Partnerland ist die Ukraine. Am 28. Februar 2022, dem Tag des russischen Einmarsches, wurden die Mittel für die Ukraine um 1,5 Milliarden Euro erhöht. In den vergangenen Monaten wurde das “Maßnahmepaket” immer weiter erhöht. Der aktuelle Gesamtbeitrag für die Ukraine beläuft sich auf 3,6 Milliarden Euro.

Die Kriegsindustrie am Bodensee

Ein maßgeblicher Profiteur des Ukrainekriegs ist die Rüstungsindustrie am Bodensee. Dabei stellen sie nicht nur Panzer und Waffen für die Ukraine her, sondern beliefern auch NATO-Staaten. In der Vierländerregion befinden sich etwa 30 Unternehmen, die sich auf das Töten spezialisiert haben. Alleine auf deutscher Seite sind es 18 Konzerne und Unternehmen, die sich teilweise in kleinen Ortschaften niederließen. In der Gemeinde Immenstaad mit knapp 7.000 Einwohner:innen sind es beispielsweise gleich sieben Unternehmen, die Waffen und Panzer produzieren oder deren Herstellung unterstützen: ADLON Intelligent Solutions GmbH, Airbus Defence and Space GmbH, Airbus DS Geo, Eurohawk GmbH, Hensoldt, Matrium und ND SatCom GmbH.

Einer der größten Konzerne ist die ZF Friedrichshafen AG in Friedrichshafen. Der 1915 gegründete Konzern stellte bereits im Zweiten Weltkrieg Rüstungsgüter her und beschäftigte bis Ende des Krieges mindestens 2.800 Zwangsarbeiter:innen. Heute gibt er sich als harmloser Automobilzulieferer. Dabei produziert ZF beispielsweise Getriebe für den Panzer Leopard-2 und betreibt Lobby-Arbeit im Kriegsministerium. Wie der Konzern auf seiner Website schreibt, beschäftigt er etwa 165.000 Arbeiter:innen an 168 Standorten in 32 Staaten. In seinem Subunternehmen “ZF-Aftermarket” mit 8.000 Beschäftigten verkauft sich der Konzern als harmlose Werkstätte für Automobile in 40 Ländern. Einer dieser Standorte befindet sich in der ukrainischen Hauptstadt. Bis auf das Datum der Gründung am 20. Oktober 2021 und einer Adresse lässt sich allerdings nichts über die Zweigstelle in Erfahrung bringen.

Besuch von höchster Stelle

Nicht nur die Ukraine wird mit Tötungsmaschinen großzügig beliefert. Auch NATO-Staaten zeigen Interesse, am Bodensee Waffen und Munition zu kaufen. In der vergangenen Woche bekundeten sowohl Lettland als auch Estland Interesse, das Flugabwehrsystem “IRIS-T” zu erwerben. Ein potentielles Unternehmen, das dafür in Frage kommt, ist Diehl Defence in Überlingen am Bodensee. Dabei handelt es sich um den militärischen Bereich der Unternehmensgruppe Diehl aus Nürnberg. Spezialisiert hat sich Diehl Defence auf die Herstellung von “Hightech-Ausrüstung in den Bereichen […] Luftverteidigung, Lenkflugkörper, Munition [und] Trainings- und Schutzsystemen”. Besonders profitiert das Unternehmen vom Krieg in Jemen, da es unter anderem die sunnitische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien mit Kriegsgeräten unterstützt. Dass es nun auch die Ukraine mit entsprechenden Geräten beliefert, wird besonders von Kiew selbst gelobt.

Am vergangenen Wochenende besuchten sowohl der derzeitige Botschafter der Ukraine Oleksii Makeiev als auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Ortschaft. Während Kretschmann weitere Unterstützung zusagte (“So lange wie notwendig […] mit den Waffen, die Sie benötigen”), bedankte sich Makeiev ausdrücklich beim Rüstungsunternehmen. Die Belieferung der Ukraine mit dem Flugabwehrsystem “IRIS-T” habe “Tausende und Tausende Menschenleben gerettet”. Für das Unternehmen lohnt sich das Töten: So erwartet das Unternehmen “mittelfristig” einen Umsatz von “mehr als einer Milliarde Euro”.

Protest dagegen

Dass vom Bodensee Tötungsmaschinen in die Ukraine und andere Kriegsparteien exportiert werden, bleibt dabei nicht unwidersprochen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Aktionen gegen die Rüstungsindustrie. Gegen den Krieg in Jemen protestierten im Dezember 2019 sowohl Antimilitarist:innen als auch Fridays for Future gegen Diehl Defence. Auch in den anderen Staaten am Bodensee bildete sich Widerstand: 2017 demonstrierten 25 Pazifist:innen in Österreich gegen die Rüstungsindustrie in Bregenz. Die Proteste bleiben allerdings vereinzelt und schaffen es bis heute nicht, die Kämpfe mit den Gewerkschaften und der Arbeiter:innenklasse zu verbinden. Um die Kriegsmaschinerie zu stoppen, reicht es nicht, bei symbolischen Aktionsformen vor den Werkshallen zu bleiben. Um sowohl den Krieg in der Ukraine als auch in anderen Staaten zu verlangsamen und zu stoppen, braucht es einen Streik der Beschäftigten in den jeweiligen Konzernen und Unternehmen, um die Produktion lahmzulegen.

Doch es droht auch der Verlust von Arbeitsplätzen: Trotz der massiven Profitmaximierung plant beispielsweise ZF Friedrichshafen bis 2032 die Streichung von 9.000 Arbeitsplätzen. Besonders drastisch soll es die Zweigstelle in Saarbrücken mit 6.000 Stellen treffen. Der Kampf geht also nicht nur gegen die Kriegsmaschinerie, sondern auch für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Dafür braucht es am Bodensee jedoch der gemeinsame Kampf von Arbeiter:innen, der Gewerkschaftsbasis und Antimilitarist:innen, die nicht nur Mahnwachen und vereinzelte Proteste abhalten, sondern die Werkstore blockieren und die Produktion lahmlegen müssen. Gleichzeitig muss die Produktion in den Fabriken umgestellt werden. Anstelle von Waffen könnten die Beschäftigten Produkte produzieren, die für die Menschen in ihrer Region von Nutzen sind. Somit wäre auch gleichzeitig die Arbeitsplatzerhaltung garantiert. Lasst uns also kämpfen, für einen Generalstreik gegen die Bosse und den Krieg, aber auch für die Selbstorganisierung der Betriebe unter demokratischer Arbeiter:innenkontrolle.



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