System Change Camp 2023: Überwindung des Kapitalismus ohne die Arbeiter:innenklasse?

07.08.2023, Lesezeit 9 Min.
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Bild: Tabea Krug

Wenn wir der Arbeiter:innenklasse den Rücken zukehren, kehren wir dem Sozialismus den Rücken zu. Lasst uns endlich darüber diskutieren, welche Strategie wir brauchen!

Das System Change Camp fand dieses Jahr vom 30.07. – 06.08.23. in Hannover statt. Eine Bandbreite an linken Gruppen und Aktivist:innen kam zusammen, um über die Zukunft der Klimagerechtigkeitsbewegung zu diskutieren. Es gab eine riesige Auswahl an Workshops von Gruppen zu verschiedenen Themen, wie dem kurdischen Befreiungskampf, dem “grünen” Imperialismus oder kritisch-psychologischer Reflexion.

Unter vielen Aktivist:innen war Antikapitalismus Konsens. Leider fehlte in den Workshops jedoch vor allem eines: die Zentralität der Arbeiter:innenklasse.

Kapitalismuskritik ohne Klassenanalyse?

Um den Kapitalismus überwinden zu können, müssen wir ihn zuerst verstehen.
Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, in dem die Unternehmen nach Profit und nicht nach Bedürfnissen wirtschaften. Dem Kapitalismus ist es egal, ob bedrohte Tierarten oder wichtige Wälder ausgelöscht werden – Hauptsache, das Kapital wird weiter angehäuft.

Diese Analyse war noch Grundkonsens auf dem Camp. Doch welche Struktur liegt der systemischen Konkurrenz der Unternehmen zugrunde?

Im Kapitalismus liegen die Produktionsmittel – also die Maschinen in den Fabriken, aber auch die Computer in den Büros – in den Händen von einigen wenigen Menschen: der besitzenden Klasse, also der Bourgeoisie. Die soziale Klasse, welche keine Produktionsmittel besitzt und aus diesem Grund gezwungen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, ist die Arbeiter:innenklasse. Sie ist diejenige Klasse, welche den Reichtum in unserer Gesellschaft produziert und an den zentralen Schalthebeln sitzt, die die Gesellschaft jeden Tag am Laufen halten. Ebenso ist sie diejenige Klasse, welche ein fundamentales materielles Interesse an der Beendigung ihrer Ausbeutung besitzt. Würde sie ihre Arbeit niederlegen, so könnten die Unternehmen auch keine Profite mehr einfahren und müssten ihre umweltzerstörende Produktion stoppen. Uns aus diesem Grund mit der Arbeiter:innenklasse zu verbinden, ist der Grundpfeiler unserer Strategie gegen die Klimakatastrophe. Wir wollen ein Wirtschaftssystem errichten, in dem die Produktionsmittel vergesellschaftet sind – nur so kann die Gesellschaft über die Produktion entscheiden und sie nach Bedürfnissen ausrichten, die im Interesse des Klimas und im Interesse für alle stehen.

Das zeigt: Ohne eine Klassenanalyse können wir nicht über die Beendigung des Kapitalismus sprechen.

Diversität an Taktiken oder Strategie, die zum Sieg führt?

Oftmals wird in der Klimagerechtigkeitsbewegung, so auch auf dem System Change Camp, eine „Diversität an Taktiken und Strategien“ in den Himmel gelobt. Strategische Differenzen und auch direkte Widersprüche werden einfach in Kauf genommen und unter den Teppich gekehrt – jeder macht was er oder sie will, alles ist relativ und alles ist wertvoll. Doch wir denken nicht, dass uns das effektiv weiterbringen wird. Stattdessen brauchen wir tiefe Diskussionen darüber, wieso die Klimagerechtigkeitsbewegung in den letzten Jahren materiell so wenig erreicht hat und ob das nicht mit einer fehlenden einheitlichen Strategie zu tun hat bzw. welche Strategie es stattdessen braucht, um den Kapitalismus endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

Mit Strategie meinen wir dabei den Weg, der uns zum Sieg führt. Taktiken stellen die einzelnen Schritte der Strategie dar, bzw. ihre Teilziele.
Die Taktiken sollten sich also direkt aus der Strategie ableiten, und nicht beliebig „neben“ der Strategie existieren. Dies ist bei der Vielzahl von Aktionsformen, die in der Klimabewegung existieren, der Fall, wie dem Besetzen von Wäldern, Sabotage, Zerstörung von Privateigentum oder Blockaden.

Natürlich ist es wichtig, sich zu unterschiedlichen Taktiken auszutauschen. Es ist enorm wichtig, dass das System Change Camp überhaupt stattfand. Ebenso gilt auch allen Aktivist:innen, die für Klimagerechtigkeit aktiv sind, egal welche Taktik sie nutzen, unsere volle Solidarität. Das hat jedoch nichts mit unserer Analyse zu tun, dass de facto nicht jede Taktik gleich viel Wirkung erzeugt.
Wenn die Arbeiter:innen in strategischen Sektoren, wie am Flughafen, durch einen wochenlangen Erzwingungsstreik ihre Arbeit niederlegen und dadurch globale Lieferketten durchbrochen werden, dann hat das mehr Effekt als wenn für einen Tag lang zwei Bagger besetzt werden, die am nächsten Tag ihre zerstörerische Produktion wieder aufnehmen.

Wir müssen die kapitalistische Kette der Zerstörung langfristig durchbrechen, das heißt: die Arbeiter:innen müssen langfristig ihre Arbeit niederlegen. Nur punktuelle Zerstörung, wie bspw. durch Sabotage, und eine Strategie des Interventionismus, treiben zwar Kosten der Zerstörung in die Höhe, ändern jedoch nichts langfristig daran, dass die Kette der Zerstörung beendet wird.

Darum sehen wir es als notwendig an, die Arbeiter:innenklasse ins Zentrum unserer Politik zu stellen. Das war jedoch nicht der Konsens auf dem Camp.

Stattdessen war oftmals eine tiefe Skepsis gegenüber der Arbeiter:innenklasse zu spüren. Wir denken, dass nicht die Arbeiter:innen das Problem sind, sondern die teils reaktionären und viel zu zurückhaltenden Führungen der Gewerkschaften, die höchstens nur “grüne” Investitionen von der Regierung fordern, aber eben nicht ihre organisierten Arbeiter:innen als Akteur:innen der Umstellung der Produktion sehen. Wir denken auch nicht, dass ein Teil der Arbeiter:innenschaft einfach “natürlich rechts” ist, sondern dass sie vor allem von den reformistischen Führungen der Gewerkschaften und Parteien verraten worden sind, und nun teilweise die AfD wählen, um ihren Frust auszudrücken und ihr Kreuz einer vermeintlichen “Opposition” geben, die in Wahrheit keine ist. Doch auch diese Arbeiter:innen müssen wir davon überzeugen, mit uns zu kämpfen, anstatt sie abzuschreiben und damit rechten Populist:innen zu überlassen.

Zudem sehen wir es auch als notwendig an, uns selbst als Teil der Arbeiter:innenklasse zu begreifen. Denn mit Arbeiter:innenklasse meinen wir die Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen. Das war der allergrößte Teil der Menschen auf dem Camp. “Die Arbeiter:innenklasse” ist nicht irgendeine entfernte Masse aus weißen Industriearbeitern, die entfernt von der Klimabewegung existiert – die Arbeiter:innenklasse ist weiblich, migrantisch und so queer wie nie zuvor, und macht einen sehr großen Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung aus. Oftmals werden auch Studierende nicht als Teil der Arbeiter:innenklasse betrachtet. Doch auch mit einem Uniabschluss in der Tasche müssen die allermeisten Studis am Ende des Tages ihre Arbeitskraft verkaufen, oder schon während des Studiums.
Wir müssen eigenständig die Politik an die Orte tragen, an denen wir sind, und sie nicht abgetrennt davon existieren lassen. Das heißt: Nicht tagsüber arbeiten und danach auf eine Demo für Klimaschutz gehen, sondern – streiken für den Klimaschutz!

Allianzen schmieden oder revolutionäre Partei aufbauen?

Oftmals war auf dem Camp auch das Wort „Allianz“ zu hören. Was damit gemeint ist, wurde dagegen weniger formuliert. Oftmals schien das Zusammenschmieden von Massen im Fokus zu stehen. Wir denken nicht, dass es ausreicht von vagen „Allianzen“ zu sprechen. Und auch selbst wenn wir eine ungefähre möglichst breite Masse an Menschen hinter uns haben, die irgendwie Kapitalismus doof finden, bringt uns das nichts, wenn in dieser Masse an Menschen keine Einigkeit darin besteht, dass uns nur eine sozialistische Revolution einen Ausweg aus der Klimakrise führen kann.

Wir wollen statt einer “Allianz” eine revolutionäre Partei aufbauen, die die bewusstesten Sektoren der Arbeiter:innenklasse verbindet und in der Lage ist, Bewegungen zu verschärfen, Streiks zu vertiefen und soziale Bewegungen in Richtung Sozialismus zu lenken, um diesen bis zum Ende zu erkämpfen.

Die Linkspartei ist nicht diese revolutionäre Partei, ganz im Gegenteil, sie lenkt die Proteste und die Wut von den Straßen in die ungefährlichen Bahnen des Parlaments um. Auch im Camp war sie mit einigen Workshops vertreten, die teils wie verzweifelte und absurde Wahlveranstaltungen ankamen. Derselbe Pluralismus, der auch in der Linkspartei existiert – von Wagenkecht zu Bartsch bis hin zur Bewegungslinken – wurde auch hier nicht kritisch betrachtet, sondern als eine Konsequenz aus dem stalinistischen Parteikonzept gesehen.

Denn jede revolutionäre Partei wird oftmals von der Gesellschaft mit einer stalinistischen oder einer reformistischen gleichgesetzt. Für uns macht es jedoch einen Unterschied, wie die Partei organisiert ist und vor allem, für welche Inhalte sie eintritt. Unsere Vorstellung von Partei bedeutet möglichst viel Demokratie und Diskussion nach innen, aber Einheit und Klarheit der Strategie nach außen, mit revolutionär-sozialistischem Inhalt.

Eine revolutionäre Partei aufzubauen und die Produktion unserer Gesellschaft grundlegend umzustellen, ist eine große Aufgabe, doch sie ist nicht unmöglich. Unmöglich wird sie nur dann, wenn wir der Arbeiter:innenklasse den Rücken kehren. Lasst uns gemeinsam gegen die Bosse von RWE, VW und allen anderen Unternehmen kämpfen, um für ein System zu kämpfen, das die Umwelt nicht nur dafür nutzt, sie in Tauschwerte zu verwandeln, sondern in Einklang mit ihr zu leben.

Falls du gemeinsam mit uns weiter über die Strategie der Klimagerechtigkeitsbewegung diskutieren möchtest oder dich bei uns organisieren willst, komm zu unserem Revolutionären Sommercamp vom 31.08.-03.09. Dort wird es zum Thema der Strategie der Klimagerechtigkeitsbewegung auch einen Workshop geben. Hier findest du das Programm, hier gibt es weitere Infos.

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