STRG_F über LOVEMOBIL: Filmförderung, Zuhälter und Freier gegen Kunstfreiheit

02.04.2021, Lesezeit 8 Min.
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Szene aus dem Film „Lovemobil“, Foto: Christoph Rohrscheidt/obs

Der NDR-YouTube-Kanal STRG_F hat einen schrecklichen Clip über den Film LOVEMOBIL veröffentlicht. Sie machen gemeinsame Sache mit Zuhältern und Freiern und greifen die Kunstfreiheit massiv an.

LOVEMOBIL“ stellt die schreckliche Straßenprostitution, die für Tausende Frauen bittere Realität ist, dar. Der Name geht auf mobile Bordelle zurück, meist in Form von Wohnwagen oder Wohnmobilen. Mit sehr filmischen Bildern stellt die Dokumentation dar, wie Frauen sexuell ausgebeutet werden, wie sie rassistisch und sexistisch diskriminiert werden, wie sie ermordet werden und auch welche ökonomischen Hintergründe der Ausbeutung und Unterdrückung zugrunde liegen. All das ist bittere Realität für Tausende Frauen, die die Regisseurin Elke Lehrenkrauss in ihrem Dokumentarfilm wie noch nie zuvor darstellt.

STRG_F „enthüllt“ nun in ihrem YouTube-Clip, dass teilweise Rollen mit Schauspieler:innen besetzt wurden. Während es von STRG_F als Skandal dargestellt wird, verpassen sie es, eine klare Position zu beziehen, welche Hintergründe das hat und auch die Frage der Kunstfreiheit wird nur in einem kurzen Kommentar von Lehrenkrauss benannt. Stattdessen sprechen in dem Clip des YouTube-Kanals der Zuhälter Heiko und ein Freier und beteuern ihre Unschuld. Heiko behauptet, er sei „nur“ früher ein Zuhälter gewesen und mittlerweile nur noch „Hausmeister“. Darüber, dass die Prostitution oft nicht versteuert wird und deshalb falsche Jobs offiziell angegeben werden, wird geschwiegen. Sie vertrauen den Männern blind ohne tiefere Überprüfung. Das NDR und damit der Staat machen sich dadurch zu den Komplizen der Zuhälter.

Natürlich hätte Lehrenkrauss offen kommunizieren müssen, dass Szenen nachgestellt werden. Die Schauspieler*innen aus den USA wussten so wie die anderen auch nicht, dass der Film als Realdoku ohne nachgestellte Szenen beworben werden wird. Es ist absolut nicht im Rahmen der Kunstfreiheit diese Grenzen zu verwischen und in Kauf zu nehmen, dass eine Person in der Öffentlichkeit als Sexworkerin, anstatt als Schauspielerin wahrgenommen wird.

Was darf Film?

In der Debatte um LOVEMOBIL wird die Grenze von Dokumentation und Film verhandelt. Dabei macht Elke Lehrenkrauss einen wichtigen Punkt:

„Ich kann mir nicht vorwerfen, die Realität verfälscht zu haben, weil die Realität, die ich in dem Film geschaffen habe, ist eine viel authentischere Realität, als das ich sie mit einem Direct Cinema hätte herstellen können.“

Damit sagt sie nämlich auf der einen Seite, dass sie die Realität abgebildet hat, womit sie absolut recht hat. Aber auf der anderen Seite nicht nur mit der Kamera irgendwo war und die Realität gefilmt und den Ansatz von Direct Cinema damit verworfen hat, sondern auf fiktional – also mit Schauspielern – gearbeitet hat. Dircet Cinema ist eine Form des Dokumentarfilms, bei der besonderes „echtes“ Kino produziert werden soll, indem nur das gefilmt wird, was wirklich vor der Kamera passiert ist. So wird dem Zuschauer eine Neutralität vorgegaukelt, die es kaum geben kann. Sobald eine Kamera im Spiel ist, ändern sich viele Faktoren. Es kann ein krasses Sicherheitsrisiko für betroffene Frauen geben und es ist ein Eingriff in ihre Privatsphäre. Für Frauen, die durch das Ausländergesetz diskriminiert werden, kann das fatale Folgen haben. Die Zuhälterin Uschi sagt auch offen, dass „ihre Frauen“ das nicht wollten.

Im Gegensatz von Direct Cinema benutzt der Ansatz von Cinéma vérité explizit die Macht der Kamera, um Reaktionen zu provozieren und etwas zu entdecken. Direct Cinema gibt vor, neutral zu sein und sich strikter an reiner Beobachtung zu orientieren, aber im Endeffekt wird ignoriert, wie krass sich die Realität verändert, wenn eine Kamera alles filmt. Darüber hinaus können auch viele Aussagen mit gezieltem Schnitt und Sounddesign verändert und angepasst werden. Echte Neutralität kann also nie gegeben sein, es ist immer ein mehr oder weniger gutes Kunstwerk. Lehrenkrauss sagt sogar, dass sie den Ansatz von Direct Cinema versucht hat, aber manche Frauen „zum Schutz ihrer Person“ nachstellen ließ. Das macht den Film aber keineswegs schlecht, sondern nur zu einem fiktionalen Werk und keiner Dokumentation. Sie zeigt die Realität, in der Frauen in Prostitution gezwungen sind und für die Femizide, Rassismus und Sexismus Alltag sind. Uschi bestätigt auch in dem STRG_F-Clip, dass alle Geschichten echt sind. Darüber hinaus hat Lehrenkrauss an einer Stelle die Kamera an gemacht, die den allermeisten Filmemacher:innen offensichtlich nicht wichtig genug ist.

Aber warum hat Lehrenkrauss nicht direkt die Wahrheit gesagt? Warum hat sie nicht einfach offen zugegeben, dass der Film teilweise fiktional ist? Welche Hintergründe hat ihr „schwerwiegende[r] Fehler“, wie sie selbst zugibt? Darauf gibt der NDR-Redakteur eine klare Antwort. Sie haben eine Dokumentation in Auftrag gegeben und keinen fiktionalen Film. Daran hing also auch die Filmförderung, die u.a. Til Schweiger für seine sexistischen und frauenverachtenden Filme Millionen gibt. Warum wird Til Schweiger nicht überprüft, sondern nur eine Dokumentation, die sich auf die Seite der Frauen stellt? Allein die Themenwahl von STRG_F zeigt, wie wenig neutral sie sind. „Hallo, machen sie keine Show“, wirft Uschi der Moderatorin an den Kopf und trifft damit den Nagel auf den Punkt. Hätte Lehrenkrauss die Möglichkeit gehabt, die Kunst zu schaffen, die sie im Sinn hatte und wäre nicht durch den Druck von Deadlines und der „Angst der Redaktion gegenüber“ massiv eingeschränkt gewesen, hätte sie keinen Grund zum Lügen gehabt. Im Endeffekt hat das NDR den Film zwar gefördert, aber durch seine absurden Anforderungen zuerst die Kunstfreiheit beschränkt und um seine Hände dann in Unschuld zu waschen, gemeinsame Sache mit den Zuhältern und Freiern gemacht, um den Film mit einer anderen, angeblich unabhängigen Dokumentation in den Dreck zu ziehen, weil die Filmemacher:in nicht ihren Anforderungen erfüllt hat. Nicht nur Lehrenkrauss soll sich bei den betroffenen Personen entschuldigen, sondern auch der NDR.

Filmförderung unter Kontrolle der Filmemacher:innen!

Um solche Angriffe auf die Kunstfreiheit und alle sozialen und wirtschaftlichen Drücke auf Filmemacher:innen zu bekämpfen, muss die Filmförderung unter Kontrolle der Filmemacher:innen und der in der Filmbranche tätigen Menschen gestellt werden. Sie sollen die Gelder demokratisch verwalten und auch einen politischen Kampf für den Ausbau der Filmförderung und gegen alle Angriffe auf die Kunstfreiheit führen.

Ein Wort zum Schluss: Den Kampf, den die Filmemacher:innen führen, kann man auch mit dem Kampf für das Ende der Prostitution verbinden und vollständige Befreiung der Sexualität von materiellen Zwängen. Zu genau diesem Thema haben wir einen Debattenbeitrag geschrieben, von dem folgende Elemente hervorzuheben sind:

„Wir sind der Meinung, dass wir durch die Beendigung aller Formen von Ausbeutung und Unterdrückung und der sozialen Klassen der Prostitution ein Ende setzen können. Und auch wenn wir keine Regulationist:innen sind, ist das für uns kein Grund, die Verteidigung der Rechte von Menschen in Situationen der Prostitution – unter denen Frauen die absolute Mehrheit sind und bei der es eine große Anzahl von trans Personen gibt, deren soziale und arbeitsmäßige Marginalisierung sie in die Prostitution wirft – aufzugeben. Dasselbe gilt für ihre Selbstorganisation gegen jegliche polizeiliche Verfolgung und Repression, frei von der Einmischung von Zuhälter:innen und dem Staat, sei es in Form von Vorschriften oder Strafen.

[…]

Wir begleiten und fördern den Kampf, um dem kapitalistischen Staat und seinen Regierungen die Garantie einer Arbeit ohne Prekarität aufzuzwingen, für alle Menschen in Situationen der Prostitution, die diese verlassen wollen, mit einem Gehalt, das alle Bedürfnisse abdeckt; genauso den Zugang zu Gesundheit und kostenloser öffentlicher Bildung; das Recht auf Wohnung, indem man die Banken enteignet. Diese und andere Maßnahmen für die Aufhebung der Arbeitsreformen und des Ausländergesetzes, die Abschaffung von Outsourcing und schlechten Arbeitsverträgen, die Aufteilung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, um Arbeitslosigkeit und Prekarität zu beenden.

[…]

Weit entfernt von jeglichem Puritanismus ist es notwendig, das Recht auf Selbstorganisation von Menschen in einer Situation der Prostitution zu verteidigen, frei von Einmischung durch „Dritte“, d.h. Zuhälter, oder den Staat, ob es sich nun um eine Regulierung oder um eine Bestrafung handelt. [Es ist] notwendig, selbstorganisierte Frauen in der Prostitution zu begleiten, um Stigmatisierung, Verfolgung und soziale Marginalisierung zu bekämpfen. Gleichzeitig müssen wir die Komplizenschaft der staatlichen Repressivkräfte, der politischen Funktionäre, des Justizsystems und der mächtigen Geschäftsleute anprangern, durch die Menschenhandelsnetze und Zuhälterei funktionieren und straflos bleiben.

[…]

All diese Jahrzehnte der Krise zeigen, dass der Gedanke heute weniger utopisch ist, dass wir die Situation der extremen Armut, welche Frauen in die Prostitution treibt, nur beenden können, indem wir alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung beenden.“

Marxismus und Prostitution: eine alternative Position zu den zwei umstrittenen Lagern

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