Streiks in der Forschung – Demonstration vor dem BMBF gegen die Neuerungen im WissZeitVG

28.03.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Christian Schreiner

Zum Freitag wurde von der GEW und Verdi zu einer Demo vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gegen den vorgestellten Eckpunkteplan der Neuerung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) aufgerufen. Studierende, studentische Hilfskräfte, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Professor:innen haben ihre Wut gegen die prekären Arbeitsbedingungen in der universitären Forschung kundgetan.

Ist man keine Professor:in, dann ist die Arbeit in der universitären Forschung von befristeten Verträgen, Zeitdruck und Zukunftsangst gezeichnet. Grund hierfür ist das in Deutschland einzigartige WissZeitVG, das es erlaubt und zur Regel macht, dass unbegründet befristete Verträge an Forscher:innen vergeben werden können. Begründet wird dies damit, dass es sich bei den Karrierephasen vor der Professur noch um Qualifikationsphasen handelt. Wer sich also nach dem Masterabschluss und nach der Promotion – dem Erlangen der Doktorwürde – der wissenschaftlichen Arbeit hingibt, wird also nicht als reguläre Arbeiter:in behandelt, sondern als jemand, der nach dem finalen Karriereschritt, der Professur trachtet. Bisher sieht das WissZeitVG vor, dass die Habilitation – die Qualifikation zur Lehre – innerhalb von 6 Jahren geschafft werden muss, länger darf man in dieser “Postdoc Phase” nicht an einer Universität angestellt werden oder man muss entfristet werden. Das wird aufgrund der kleinen Budgets und dem verstetigtem Konkurrenzkampf in der Wissenschaft jedoch kaum eine Universität von sich aus machen. Das von der FDP geführt BMBF unter Bettina Stark-Watzinger hat am 17. März ein Eckpunktepapier veröffentlicht, welches es vorsieht, diese Zeit auf 3 Jahre zu verkürzen. Eine Verbesserung der Lage für Wissenschaftler:innen kann also damit auf keinen Fall erreicht werden. Gegen diese Reformvorschläge wurde am Freitag vor dem BMBF demonstriert und es wurde die Forderung an die Ministerin gestellt, die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler:innen grundlegend zu verbessern.

Master, Doktor und immer noch nicht qualifiziert genug?

Die Konstellation der Demonstration umfasste alle Statusgruppen der Uni. Redebeiträge erfolgten von Student:innen der StudV, Doktorand:innen, Professor:innen der Initiative „Profs für Hanna“, des “Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft” (NGAWiss), der GEW, Verdi und weiteren. Es zeigte sich Solidarität zwischen allen und die geteilte Meinung, dass alle, ob Studierende oder Profs, von der Abkehr der Kettenbefristung profitieren. Denn Studierende können besser betreut werden, wenn es nicht jedes Semester neue Lehrende gibt. Wissenschaftler:innen können besser forschen, wenn sie nicht um ihre Existenz bangen und das garantierte Ende ihres Vertrages vor Augen haben und auch Profs können ihren Lehrstuhl besser aufstellen.
Mehrfach wurde betont, dass die Forschenden auch immer einem bestimmten, veraltetem Bild einer Wissenschaftler:in entsprechen müssen, das vor allem Frauen benachteiligt. Es wird verlangt, dass das Leben der Forschung untergeordnet wird. Notwendige Care-Arbeit, Familie oder Beeinträchtigungen der Person lassen sich, wenn mit der ständigen Befristung gepaart, kaum mit der Karriere vereinen.

Mehrfach wurde thematisiert, dass die Bezeichnung der Postdoc-Zeit als Qualifikationsphase, was das Gesetz zu Teilen rechtfertigt, ungerecht ist. Spätestens mit der Promotion haben alle Wissenschaftler:innen in einem harten und schwierigen Prozess gezeigt, dass sie wissenschaftlich arbeiten können. Zudem erfüllt auch die Habilitation schon lange nicht mehr ihre intendierte Rolle. Sie gilt als die Qualifikation, Lehren zu dürfen. Dabei werden viele Universitätsveranstaltungen, Seminare, Tutorien und Übungen schon von Pre- und Postdocs gehalten. Und es wollen auch nicht alle Wissenschaftler:innen Professor:innen werden, viele würden gerne langfristig ihrer Arbeit im Mittelbau nachgehen. Das deutsche Universitätssystem jedoch malt den Karriereweg vor, der unausweichlich auf den Versuch, eine Professur zu erlangen, hinauslaufen muss. Dabei ist aber bekannt, dass es nicht annähernd genug Lehrstühle oder Tenure-Track-Programme gibt, um allen Wissenschaftler:innen ein erfolgreiches Karriereende zu geben, selbst wenn sie sich dem System in jeder Hinsicht beugen. Als Resultat ist, dass Wissenschaftler:innen in ihren 40ern aussortiert werden und keine Zukunft an der Universität erhalten können und stattdessen als überqualifizierte Arbeiter:innen auf dem Arbeitsmarkt kaum angemessene Stellen finden.
Deshalb spricht man schon heute von einem “Brain-Drain” in der deutschen Wissenschaft. Denn viele Student:innen und Absolvent:innen, die eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben, werden von den Arbeitsbedingungen in Deutschland abgeschreckt. Entweder entscheiden sie sich gänzlich gegen die Forschungslaufbahn oder sie gehen dafür ins Ausland. Selbst Professor:innen, die in Deutschland erfolgreich wurden, raten ihren Student:innen oftmals vom Karriereweg “Universität” ab.

Solidarität und Teilnahme aller Uni-Positionen und der Gewerkschaften

Die Kundgebung am Freitag zeigte, dass alle Statusgruppen der Unis in hoher Solidarität miteinander auftraten. Laut dem Beitrag von Prof. Sabine Hark (TU Berlin) von der Initiative “Profs für Hanna” hat die positive Entwicklung mit den Streiks der Studentischen Hilfskräfte bei TV-Stud die Skepsis vieler Professor:innen gebrochen. Alle Personen an der Uni merken zudem, dass die prekären Arbeitsbedingungen im Mittelbau zum Leid aller führen.

Der Slogan der Streiks der studentischen Beschäftigten “Ohne uns läuft hier nichts!” wurde für alle Stellen unter der Professur ausgeweitet und ausgerufen. Und keineswegs sind das überspitzte Worte. Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen finden kaum Zeit für ihre eigene Forschung, weil sie so viele Aufgaben ihrer Profs erledigen müssen. Sie schreiben Anträge, korrigieren Arbeiten, führen Kurse mit, betreuen Student:innen und Projekte und übernehmen anfallende Aufgaben. Ein gesammelter Streik des Mittelbaus aller Universitäten könnte den gesamten wissenschaftlichen Betrieb und den riesigen dahinterstehenden Apparat lahmlegen. Denn in Deutschland funktioniert vieles an Forschung und Einstellungen über die Einholung von Drittmitteln von der DFG, Projektträgern des Bundes oder von Stiftungen. Die dahinterstehende Arbeit übernehmen zu weiten Teilen nicht die Profs und die Forschung benötigt die Beihilfe wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen. Ohne sie kann es keine institutionelle Wissenschaft und Lehre geben!

Neoliberale Forschungsorganisation gegen die freie Wissenschaft

Auch wenn soziale Fragen im Mittelpunkt der Kundgebung standen, wurde auch wiederholt, dass die Forschung letztlich ebenso vom WissZeitVG geschädigt wird. Der Gedanke, dass Konkurrenz und Druck zu einer exzellenten Wissenschaft und zufriedenen Studierenden führen, ist einem kapitalistischen Denken der Ökonomie entnommen, das auch hier zu Schäden führt. Nur harte und verbissene Persönlichkeiten können sich durchsetzen, die Forschungsfragen werden auf Erwartungen und Trends abgerichtet und es muss sich den Geldgebern so weit wie nötig angepasst werden. Wissenschaft, die Risiken aufnimmt, Neues wagt oder schlichtweg Zeit benötigt, ist kaum noch umsetzbar. Wie kann hier von einer freien Wissenschaft gesprochen werden? Frei ist die Wissenschaft höchstens in staatlichen Bekundungen, nicht aber in ihren Voraussetzungen und Umständen.

Auch die Universitätsbürokratie wurde in diesem Sinne während der Demo angegriffen. So wurde mehrfach explizit gefordert, dass bei der gesetzlichen Gestaltung der Universität auf die Betroffenen hören muss, statt auf die Rektoren, die ihre Universitäten wie Betriebe führen müssen. Entsprechend wurde lautstark verlangt, dass sich das FDP-geführte BMBF nicht an die Hochschulrektorenkonferenz als Stimme der Uni zu richten hat, sondern auf den Mittelbau, die studentischen Mitarbeiter:innen und alle jene, die eine wissenschaftliche Laufbahn an einer Universität anstreben. Denn die Verwaltung und die Professoren der Uni können die realen Probleme einfach ignorieren, da sie selbst in sicheren Positionen stehen. Aus diesem Grund muss im Zuge einer Reform der Universitäten diese privilegierte Stellung abgeschafft werden. Es darf nicht möglich sein, dass die am besten Gestellten sich nicht um die Belange der anderen sorgen müssen. So dürfen auch wissenschaftliche Mitarbeiter:innen im Mittelbau, wenn sie in Zukunft bessere Arbeitsbedingungen erhalten, nicht wieder von studentischen Belangen unbetroffen bleiben. Eine gerechte Universität muss Solidarität zwischen allen Beschäftigten kultivieren.

In der jetzigen Verfassung der Universitäten muss diese Solidarität noch erkämpft und gefordert werden. Am WissZeitVG zeigt sich deutlich, für wen und in welchem Geist die Universitäten agieren. Sie wurden zu wirtschaftlichen Maschinen geformt, die Gelder einholen, international Prestige ausstrahlen und letztlich auch in ihrer Wissenschaft Wirtschaftsinteressen vertreten sollen.

Nur der Anfang des Widerstands

Der Ton der Kundgebung war eindeutig: Das WissZeitVG und damit einhergehenden prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft wurden verurteilt. Kleine Verbesserungen können den anhaltenden Unmut über die Gesetzeslage nicht beschwichtigen. Systemveränderungen und die Abschaffung des Gesetzes wurden verlangt. Die Wissenschaft muss nicht nur frei von ökonomischen Interessen werden, sondern den Wissenschaftler:innen einen Ort gewähren, der gute, vielfältige Forschung ermöglicht. Dazu bedarf es unbefristeter Stellen unter der Professur! Doch alleine können die Betroffenen ihre Forderungen schwer umsetzen. Ihre Positionen sind daraufhin konzipiert, dass die Personen schnell ausgetauscht werden können, dass Konkurrenz und Kampf um die Plätze bestehen und dass unpassende Personen nicht Fuß fassen können. Wer bei dem System nicht mitspielt, wird aussortiert und weggeworfen. Die befristeten Arbeiter:innen der Universitäten sind auf die Solidarität der Student:innen, Professor:innen und ihrer Kolleg:innen, trotz der Konkurrenz, angewiesen. Nur im Zusammenhalt können sie ihren Forderungen Druck verleihen.

Angesichts der Streikbewegungen und Deutschland und Europa müssen die Wissenschaftler:innen und Student:innen in den gemeinsamen Kampf der Arbeiter:innen einsteigen. In diesem Sinne darf diese Kundgebung nur der Anfang gewesen sein.

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