Silversternächte und jetzt die Freibäder: Die rassistische und rechte Hetze geht weiter

02.08.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Mo Photography Berlin (Shutterstock)

Die bürgerliche Presse und die Volksparteien machen sich sorgen über Problemjugendliche, die Probleme von Jugendlichen interessieren sie aber nicht. Mit ihrer Kürzungspolitik werden die Bundes- und Landesregierung von Berlin junge, migrantische und arme Menschen am härtesten Treffen. Sie will man aber jetzt zu Sündenböcken machen.

Es scheint alle paar Monate wieder einen großen Aufschrei um die Zuchtlosigkeit junger migrantischer Menschen zu geben, häufig auch speziell derer aus Berlin, die den Frieden zivilisierter Familien zu stören versuchen. In diesem Monat prangern besorgte Bürger:innen bundesweit die Zustände an Berliner Schwimmbädern, insbesondere dem Prinzen- und dem Columbiabad, an. Das Columbiabad war nach einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und Mitarbeiter:innen des Bades frühzeitig geschlossen worden. Die Arbeiter:innen hatten sich daraufhin kollektiv krank gemeldet und das Bad hatte einige Tage schließen müssen. Im Prinzenbad war ein 20-jähriger verprügelt worden. Aber warum interessiert es so viele Menschen, was in diesen Schwimmbädern in Neukölln vorging? Handelt es sich hierbei um eine Epidemie der Gewaltbereitschaft unintegrierter Ausländer, die ihren Frust an unschuldigen Badegästen auslassen?

Den meisten Leser:innen sollte klar sein, dass das nicht der Fall ist. Die meisten müssten auch schon mitbekommen haben, dass die Faktenlage eine ganz andere Geschichte erzählt: Die Straftaten an Schwimmbädern sind zurückgegangen, auch in diesem Jahr. Wieder einmal hat man einen Weg gefunden, junge migrantische Menschen zu antagonisieren und für ein Problem verantwortlich zu machen, das eigentlich anderer Natur ist und auf ein größeres Problem hindeutet. Denn obwohl es Gewalt in Familien, Biergärten, und durch die Polizei gibt, sprechen wir jetzt über Schwimmbäder in Neukölln. Hier geht es auch nicht darum, faul “What-aboutism” zu betreiben, sondern darauf hinzuweisen, dass Gewalt viel häufiger politisch sowie medial thematisiert wird, wenn sie vermeintlich von migrantisch gelesenen Menschen verübt wird. Klankriminalität, Silvesterfeiern und Jugendstraftaten treten in den Medien so unverhältnismäßig in Erscheinung und dienen somit der Panikmache.

Das ist auch am Meinungsbild der Öffentlichkeit erkennbar: Laut einer Umfrage der Zeit haben 58% der Befragten Sorge davor, ein Freibad zu besuchen. Nun kommt diese Angst einigen Politikern sehr entgegen. Beispielsweise fordert der frisch ernannte CDU-Generalsekretär und Merz-Groupie Carsten Linnemann Gerichtsverfahren am selben Tag für Straftäter in Badestätten. Er bezieht sich dabei ganz gezielt auf die Geschehnisse in Neukölln. Zwar wurde dieser Vorschlag von einigen der Parteien sowie dem deutschen Richterbund kritisiert und für unrealistisch befunden: Der Tatverlauf bei einer Schlägerei ist in der Regel extrem schwer nachzuvollziehen, womit ein Schnellverfahren nicht in Frage kommt, egal welche Kapazitäten die Justiz hat. Jedoch ist der gewünschte Effekt bereits eingetreten, denn hier geht es nicht um tatsächliche politische Schritte.

Besucher:innen und Arbeiter:innen von Schwimmbädern sind Linnemann egal. Stattdessen handelt es sich um eine Einstufung öffentlicher Anlagen als Brandherde der Gewalt durch junge ausländische Männer, wo deutsche Werte mangels Integration vor die Hunde gehen. Damit bezweckt er sowie Andere, die über “Chaosstadt” Berlin klagen, die Profilierung gegenüber besorgten bürgerlichen Familien sowie der rechten Wählerschaft, die sie für sich gewinnen wollen. Linnemann beispielsweise zeigte dies vorzüglich mit Forderungen nach einer Beschränkung des Migrantenanteils in Schulklassen oder dem Verbot der Einschulung migrantischer Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Allerdings ist er bei weitem nicht der Einzige, der sich diese Geschichte zu Nutze machen will. Kai Wegner, der bei seinem Sieg in den Bürgermeisterwahlen im Februar – als Reaktion auf die Silvesternacht – Sicherheit als Kernthema hatte, spricht jetzt von verpflichtenden Ausweiskontrollen und mehr Personal. Nancy Faeser (aus der SPD Wohlgemerkt) fordert sogar eine erhöhte Polizeipräsenz.

Diese Forderungen zeigen, angesichts der geplanten Haushaltskürzungen des Bezirksamts Neukölln,wie die Realität in diesen Vierteln aussieht. In Zukunft fehlen allein in Neukölln jährlich 22,8 Millionen Euro, um die aktuelle Versorgung überhaupt beizubehalten. Somit werden unter anderem Jugend- und Familieneinrichtungen geschlossen, Schulen und  Spielplätze vernachlässigt und die Obdachlosen- sowie Suchthilfe reduziert. Diese Kürzungen treffen vor allem Jugendliche und Hilfsbedürftige. Die die bei der Forderung nach erhöhter Polizeiüberwachung zum Schutz vor Unruhestiftern gemeint sind. Jugendliche finden sich als Objekt bundesweiter Aufmerksamkeit wieder, sie werden unter Generalverdacht gestellt, während ihre Probleme ignoriert werden.

Die verstärkte rechte Rhetorik im bürgerlichen Milieu ist eine Entwicklung, die wir schon seit einer Weile beobachten. In den letzten Monaten machte die AfD mit ihren Umfrageergebnissen Schlagzeilen. Friedrich Merz richtet nach der Merkel-Ära die CDU neu aus und versucht damit, der AfD Wähler abzugreifen. Aber was uns klar sein muss, ist, dass die negative Darstellung von Bezirken wie Neukölln und den darin lebenden, hauptsächlich migrantischen Menschen ein Problem ist, dass Parteigrenzen überschreitet und nicht ignoriert werden darf.

Es gilt hier nicht eine Volksfront gegen Rechts zu bilden, schließlich nutzen auch immer wieder Mitglieder der Ampelregierung fehlende Integration als Erklärung für unsere gesellschaftliche Spaltung, während sie an den Bildungs-, Familien-, und Sozialministerien sparen. Diese Herangehensweise ist deshalb schwach, weil sie  Vertrauen in die Regierung setzt, dieselbe Regierung, die für die Asylrechtsreform gestimmt hat. In Zeiten der Austeritätspolitik muss uns klar sein, dass die Menschen mit dem geringsten Wohlstand leiden. Es handelt sich um Maßnahmen, die den Arbeiter einschränken und für Unsicherheit sorgen werden. Wenn dann bei Ereignissen, wie denen im Columbiabad, höhere Polizeipräsenz und verstärkte Kontrollen verlangt werden, werden keine Menschen geschützt. Stattdessen werden Menschen, die ohnehin schon Opfer polizeilicher Unterdrückung sind, weiter unter Verdacht gestellt.

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