Schluss mit behinderten-feindlichen Morden!

06.05.2022, Lesezeit 4 Min.
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Foto: B.Dpunkt / Shutterstock.com

Wieder stirbt ein kranker Mensch in dem System, das ihn eigentlich schützen sollte. Es reicht!

In Mannheim starb am 2. Mai ein Mann nach einer gewalttätigen Kontrolle durch die Polizei. Der Mann war Patient einer psychiatrischen Einrichtung und seit 20 Jahren in Behandlung wegen Angstzuständen.

Ein Mensch mit Erkrankungen, die schwer genug sind, um ihn in einer Klinik unterzubringen, verlässt die Klinik. Überforderte Gesundheitsarbeiter:innen rufen die Polizei zur Hilfe. Die findet ihn, vermutlich in einem instabilen psychischen Zustand. Ihm wird Gewalt angetan und er stirbt.

Dieser Fall erinnert an die Mordserie vor gut einem Jahr. Im Thusnelda-von-Saldern-Haus, einer kirchlich getragenen Behinderteneinrichtung in Potsdam, tötete eine Pflegerin vier Einwohner:innen und verletzte eine weitere schwer. Die Täterin war in der Vergangenheit schon durch Gewalttätigkeit aufgefallen, arbeitete trotzdem weiter mit Behinderten.

Unser Gesundheitssystem sollte ein Raum der Genesung sein, ein Raum, in dem Menschen sicher behandelt und wieder gesund werden können, oder in dem sie sicher und selbstbestimmt leben können, auch wenn sie Behinderungen oder chronische Krankheiten haben.

Dieses System ist ohnehin schon gegen uns, Profitdruck (Magazin #0: “Gesundheitssystem ohne Profite: Utopie oder Notwendigkeit?”) und der gesetzliche Rahmen machen es fast unmöglich, wirklich zum Wohle von Patient:innen und Klient:innen zu handeln (Magazin #9 “Pandemie, Kapitalismus und psychische Erkrankungen”). Das System überlastet Gesundheitsarbeiter:innen und stellt die Profite von privaten Klinikbetreiber:innen oder privaten Träger:innen von Einrichtungen über das Wohl von Mitarbeiter:innen und Patient:innen. Es lässt kirchlichen Träger:innen sehr viel Freiheit, zum Beispiel darin, bestimmte Behandlungen wie Abtreibungen zu verweigern, oder bis 2019 sogar offen bestimmte religiöse Zugehörigkeiten von Mitarbeiter:innen zu verlangen. Auf Kosten von Gesundheitsarbeiter:innen und Kranken zieht sich der Staat aus der Verantwortung und  erwirtschaftet Profite.

Und als wäre das nicht genug, richtet sich immer und immer wieder individuelle Gewalt, oft von Personen innerhalb des Systems, das den Kranken helfen und sie schützen soll, gegen sie. Und die Täter werden wiederum vom Staat und seinen Organen gedeckt, der sie oft mit milden Strafen davonkommen lässt. Die Mörderin von Oberlinhaus wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, doch für den Mann, der Ibrahim Demir, einen kleinwüchsigen Kurden aus Dortmund tot trat, gab es gerade einmal drei Jahre Haft – wegen Körperverletzung.

Für den aktuellen Fall aus Mannheim ermittelt die Polizei – gegen sich selbst wohlgemerkt – nur wegen “Körperverletzung im Amt mit Todesfolge”, schließt also eine geplante Tat aus Hass von vornherein aus.

Wie in den zahlreichen Fällen von Polizeimorden in den USA (2021 wurden in den USA 1055 Menschen durch Polizist:innen erschossen) oder auch deutschen Fällen, wie des in seiner Zelle verbrannten Oury Jalloh, werden auch hier die Verantwortlichen glimpflich davon kommen, oder gar nicht erst zur Rechenschaft gezogen. Die Gewerkschaft der Polizei hat sich besonders darum bemüht, den Mödern von Oury Jalloh den Rücken zu decken und gab eine halbe Million Euro für die Verteidigung des Polizisten aus.

Es wird also sehr klar: der Staat schützt nicht uns. Er schützt das Kapital, sich selbst und die Profite.

Es ist genug.

Keine weniger. Keine Frau weniger, keine behinderte Person, keine kranke Person weniger, keine migrantische Person weniger. In einem System, dass sich nicht entscheiden kann, ob es uns aus neoliberalem Profitdruck oder Überresten faschistischer Ideologie für lebensunwert hält, können wir uns nicht auf den Staat verlassen, nicht auf die Polizei, nicht auf die Gesetzgeber:innen.

Lasst uns den Kampf gegen behindertenfeindliche Gewalt an die Orte tragen, an denen wir organisiert sind: In die Betriebe, die Gewerkschaften, an die Unis, in die Schulen. Lasst uns die Kämpfe verbinden mit den antirassistischen und feministischen Kämpfen und den Kämpfen gegen Prekarisierung.

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