Rot-Rot-Grünes Strategietreffen: Ist die SED wieder da?

24.10.2016, Lesezeit 7 Min.
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Am vergangenen Mittwoch trafen sich 100 Parlamentarier*innen aus SPD, Grünen und Linkspartei, um ein mögliches Regierungsbündnis auszuloten. Die Rechten sind erzürnt, doch kann R2G unter Linken wirklich begeistern?

Für die Junge Union, und damit stellvertretend für viele Konservative, schien es ein traumatisches Treffen gewesen zu sein, das am Mittwochabend stattfand. Sie sahen sich an für sie so schlimme Ereignisse wie die Niederlage des Faschismus und das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Selbst die SED sei mit dem fiktiven Handschlag von Sigmar Gabriel und Sahra Wagenknecht wiederauferstanden.

Eine ähnliche reaktionäre Hetzkampagne fand schon nach den Landtagswahlen in Thüringen 2014 statt, als zum ersten Mal eine Regierungskoalition aus Linkspartei, SPD und Grünen gebildet wurde. Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow war seinerzeit für das rechte Establishment der Inbegriff für die „Rückkehr des Kommunismus“. Dass es anders kam, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die wichtigsten bürgerlichen Medien ihren Frieden mit dem „Roten Bodo“ machten und seine souveräne Verwaltung des kapitalistischen Landesgeschäftes lobten.

Was war am Mittwoch überhaupt passiert? Rund 100 Abgeordnete aus SPD, Grünen und Linkspartei hatten sich zu einem „Strategietreffen“ zusammengefunden. Sie wollten über Gemeinsamkeiten und eine mögliche Zusammenarbeit nach den Bundestagswahlen 2017 reden. Ergebnisse gab es keine, aber trotzdem ließen sich Hochkaräter wie Sigmar Gabriel blicken. Das macht deutlich, dass es sich vor allem um eins handelte: ein Signal an die Merkel-CDU. Die einzigen, die sich vollständig auf eine R2G-Regierung ausrichten, sind die Vertreter*innen der Linkspartei. Sie hoffen zum ersten Mal selbst Kabinettssitze im Bund zu bekommen.

Doch könnte so eine SPD-geführte Regierung wirklich Begeisterung unter Arbeiter*innen, Jugendlichen und Linken wecken? Zumindest im linken Flügel der SPD wurde das Treffen sehr positiv bewertet. Von „Flitterwochen“ war die Rede und für SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer war es „einer der bewegendsten Momente [seiner] politischen Laufbahn“.

Was will die SPD?

Nach den Landtagswahlen in Berlin ist die Option einer rot-rot-grünen Bundesregierung wieder auf dem Tisch. Für die SPD stellte sich eine solche Dreierkoalition als die einzige Möglichkeit da, nach massivem Stimmenverlust noch an der Macht zu bleiben. Zudem hatten sie mit der Linkspartei in Berlin schon gute Erfahrungen gemacht: Von 2002 bis 2011 privatisierten sie gemeinsam alles was nicht niet- und nagelfest war. Widerstand von den Linken gab es dabei kaum.

Der linke Flügel der SPD erwägt deshalb, um weitere Stimmverluste als Juniorpartner der Merkel-Regierung zu verhindern, ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei. Dabei berufen sie sich auf die für sie positiven Erfahrungen aus Berlin und Thüringen. Dort bewies die Linkspartei genügend „Verantwortung“, um der Politik aus Schuldenbremse, Privatisierungen und Abschiebungen ein „soziales“ Antlitz zu verleihen. Für diesen Flügel der Sozialdemokratie ist R2G also eine Wahltaktik, um den weiteren Verfall zu verhindern.

Doch in der Bundes-SPD, und besonders der staatstragenden Führungsriege um neoliberale und imperialistische Kader wie Gabriel und Steinmeier, sieht die Lage etwas anders aus. Sie haben sich vollkommen auf die Verwaltung des bürgerlichen Staates im Interesse des Kapitals eingeschworen und verteidigen daher die Agenda 2010, TTIP und CETA und Bundeswehreinsätze mit mehr Inbrunst als die immer weiter schrumpfende Wähler*innenbasis.

Eine ähnliche Situation konnte man in den vergangenen Wochen im Spanischen Staat beobachten. Dort hatte sich jedoch der Vorsitzende der sozialdemokratischen PSOE, Pedro Sánchez, für eine Regierungskoalition ohne die konservative PP und dafür mit dem linksreformistischen Podemos ausgesprochen. Damit wollte er keineswegs der Massenarbeitslosigkeit ein Ende setzen, sondern einen Niedergang seiner PSOE verhindern, wie es die griechische PASOK nach ihrer „Großen Koalition“ erlitt.

Als die Spannungen immer größer wurden und die dritte Wahlrunde innerhalb von nur einem Jahr drohte, putschte der rechte Flügel der PSOE ihren Vorsitzenden Sánchez, um mit einer Enthaltung eine Minderheitsregierung von der PP und Ministerpräsident Mariano Rajoy sicherzustellen. Auch für die spanische Sozialdemokratie steht die „Verantwortung“ gegenüber dem bürgerlichen Staat höher als der mögliche Verfall der eigenen Partei, zumal die PSOE in den letzten beiden Wahlen historische Tiefststände erreichte.

In der aktuellen angespannten Weltsituation wird sich die SPD-Führung nicht auf „Experimente“ einlassen. Es handelt sich also vielmehr um einen „Bluff“, um der CDU ein Jahr vor den Bundestagswahlen zu vermitteln, dass ohne Zugeständnisse für die Sozialdemokratie keine Kontinuität der Regierung gewährleistet ist. Denn bei den aktuellen Umfragewerten bleibt der CDU keine andere Möglichkeit als die Weiterführung der GroKo oder eine Koalition mit den Grünen.

Diese befinden sich in einem Flügelkampf: Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg gewann auch auf Bundesebene die Möglichkeit einer Koalition mit der CDU an Kraft – zumal sich ein bedeutender Teil der Grünen gegen eine Regierung mit der Linkspartei stellt. Die Beteiligung der Grünen an dem „Strategietreffen“ ist also ein Zeichen sowohl an die CDU als auch an den rechten Parteiflügel.

Linkspartei: Voller Kurs auf Regierungsbeteiligung

Die einzigen, für die R2G die erste und einzige Regierungsoption ist, sind die Linken. Natürlich bestanden die meisten der Beteiligten vor und nach dem Treffen auf außenpolitischen Grundsätzen wie dem Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr. Doch im Mittelpunkt der Aussagen stand, „nicht mehr nur über Trennendes sprechen, sondern vor allem über Gemeinsamkeiten.“ So sagt Dietmar Bartsch:

Die Außenpolitik ist ein Knackpunkt, die Unterschiede, die die Linkspartei, die SPD und die Grünen dort haben, sind aber überbrückbar. Viel schwieriger als die Außenpolitik wäre bei einem Mitte-Links-Bündnis die Verteilungspolitik, also Themen wie Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, prekäre Beschäftigung. Da muss es relevante Veränderungen geben.

Der Linksparteispitze geht es also darum, die imperialistische Außenpolitik aus Militär- und Wirtschaftsinterventionen und der Festung Europa mitzutragen, wenn einige kleine Zugeständnisse in der Sozialpolitik erzielt werden können.

Das Ziel der Linkspartei, so sagt es Sahra Wagenknecht der FAZ, sei die „Wiederherstellung des Sozialstaates in Deutschland und die Rückkehr zu einer friedlichen Außenpolitik in der Tradition Willy Brandts“. Die Politik der „guten alten“ Sozialdemokratie aus den Zeiten des Nachkriegbooms soll also gemeinsam mit der mittlerweile neoliberalisierten Sozialdemokratie durchgeführt werden. Doch damit trägt die Linkspartei nur dazu bei, die Partei der Agenda 2010 und der Kriegseinsätze als Partner für soziale Veränderungen zu legitimieren.

Tatsächlich schwächt eine solche Anpassung an die SPD den Kampf gegen Sozialkahlschlag, Prekarisierung und Rassismus bedeutend und treibt enttäuschte Arbeiter*innen und Arbeitslose der AfD in die Fänge. Es ist kein Wunder, dass die fremdenfeindliche Partei gerade dort überdurchschnittlich stark ist, wo sich die Linkspartei besonders staatstragend gibt oder schon an Landesregierungen beteiligt war. Eine mögliche Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei im Bund würde also nicht nur der Linkspartei schaden – deren strategisches Ziel schließlich die „menschliche“ Verwaltung des bürgerlichen Staates ist –, sondern vor allem den Arbeiter*innen, Jugendlichen, Frauen und LGBTI, Migrant*innen und Geflüchteten. Auch wenn R2G also die Reaktionäre der Jungen Union erschreckt – die Ausgebeuteten und Unterdrückten könnte eine solche Koalition nicht erfreuen.

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