Regenbögen auf ihren Autos, aber Blut an ihren Händen: Keine Bullen bei der Pride

30.06.2017, Lesezeit 10 Min.
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Die Polizeikräfte, die People of Color und Angehörige der Arbeiter*innenklasse einsperren und schikanieren, wollen sich selbst auf der Pride-Parade als LGBTI*-freundlich darstellen. Doch die Regenbogen-Streifen an ihren Autos können uns nicht täuschen – Bullen sind die Feinde der überwiegenden Mehrheit der LGBTI*-Menschen.

Diese Woche sah die Welt die Ermordung von Philando Castile – komplett gefilmt, wie er jeden Befehl, den er vom Polizisten erhielt, ausführte – klar dokumentiert auf einem Dashcam-Video. Wir sahen seine Freundin Diamond Reynolds, wie sie respektvoll mit dem mordenden Bullen sprach, der ihren Freund umgebracht hatte, und ihn weiterhin „Sir“ nannte. Wir sahen das Video von Castiles Tochter, die ihre Mutter beruhigen wollte.

„Mama, bitte hör auf zu fluchen und zu schreien, denn ich möchte nicht, dass du erschossen wirst“

Wir erfuhren ebenso von der schwangeren schwarzen Frau Charleena Lyles, die vor ihren Kindern von der Polizei ermordet wurde. Castiles Mörder wurde für nicht schuldig befunden und es ist unwahrscheinlich, dass Lyles Mörder irgendwelche ernsthaften Konsequenzen befürchten müssen.

Es ist ebenso das Pride-Wochenende in New York City – beginnend mit dem Marsch für Trans*-Rechte am Freitag, dem Marsch der Lesben am Samstag und der großen Pride-Parade am Sonntag. Überall in New York ist der landesweite Pride-Monat zu spüren. Im Target (nach Wal-Mart der zweitgrößte Discounteinzelhändler des Landes [Anm.d.Ü.]) gibt es eine spezielle Sektion für Kleidung in Regenbogen-Farben und etliche Einzelhändler*innen haben Pride-Botschaften auf ihren Werbetafeln. Wer LGBTI*-verwandte Suchbegriffe bei Google nachschlägt, erhält eine mit einem Regenbogen dekorierte Seite mit Ergebnissen. Selbst die Polizei hat sich den Feierlichkeiten angeschlossen, indem sie ihr NYPD NYC Pride Mobile präsentierten.

Entlang der Parade-Strecke wird die Polizei wohl kaum offen ihre Brutalität ausüben (außer jemand versucht die Frage der Polizeigewalt auf die Parade zu bringen, wie Demonstrant*innen es in Ohio, Columbus taten). Entlang der Parade-Strecke werden die Bullen Regenbögen tragen und so tun als würden sie uns beschützen. Aber wir wissen, dass es die selben Polizeikräfte sind, die schwarze Menschen töten, ohne dafür bestraft zu werden – die Polizeikräfte die Eric Garner, Sean Bell und Kimani Grey und zahllose andere ermordet haben. Die Polizeikräfte, die schwarze und nicht-weiße Menschen und Angehörige der Arbeiter*innenklasse einsperren und schikanieren – insbesondere jene, die nicht genderkonform sind, wollen sich selbst auf der Pride-Parade als LGBTI*-freundlich inszenieren. Die Mitglieder der selben unterdrückenden und mordenden Institution, die ein kleines Mädchen dazu bringen, genug Mut zu haben, um ihre Mutter zu beruhigen, nachdem sie sehen mussten, wie sie ihren Vater ermordeten – wollen nun Regenbögen auf ihre Autos malen und sich selbst als Freunde der Unterdrückten darstellen.

Als LGBTI*-Menschen wissen wir, dass Bullen immer und auch weiterhin für die überwiegende Mehrheit von uns Feind*innen sind, insbesondere schwarze und trans LGBTI*-Menschen. Wir müssen eine LGBTI*-Bewegung aufbauen, die klar sagt: „Keine Bullen auf unserer Pride. Für Euch ist hier kein Platz.“

Bullen: Historisch unser gefährlichster Feind

Während des 20. Jahrhunderts war es größtenteils gegen das Gesetz, LGBTI* zu sein. Vielen Staaten hatten Gesetze, die dazu aufforderten, Leute zu verhaften, die weniger als drei spezifische Gegenstände trugen, die typisch waren für ihr ihnen zugeschriebenes Geschlecht. Wer in Los Angeles gegen dieses Gesetz verstieß, konnte zu einer Geldstrafe von 500 US-Dollar oder zu sechs Monaten Haft verurteilt werden. Manchmal wurden die Namen der Verhafteten in der Zeitung veröffentlicht.

Jene Institution, die dafür verantwortlich waren, diese homo- und transphoben Gesetze durchzusetzen, war die Polizei, die regelmäßig Razzien an bekannten LGBTI*-Treffpunkten durchführte und massiv verhaftete. Diese Bars, wie das Stonewalls Inn, waren eine der wenigen Plätze, an denen LGBTI*-Menschen sich treffen und ihre Sexualität und ihr Geschlecht offen ausleben konnten, um Gemeinschaften aufzubauen und eine*n Sexualpartner*in zu finden, sowie Anschluss und Zuneigung. Diese Bars, weit davon entfernt, sichere Orte darzustellen, waren die Ziele enormer Gewalt. LGBTI*-Menschen wurden geschlagen und sogar von Bullen vergewaltigt. Ein berühmter Fall ist der von Howard Efland, ein schwuler schwarzer Mann, der von der Polizei von Los Angeles zu Tode geprügelt wurde. Sein Mord wurde als „entschuldbare Tötung“ abgekanzelt.

Für jene, die LGBTI*-Bars frequentierten, war die Polizei der primäre Feind. Die Polizist*innen waren diejenigen, die Partys ruinieren und entblößen konnten. Noch schlimmer, die Polizei konnte schlagen, vergewaltigen und morden, bei kompletter Straflosigkeit. Da gab es keine Verwechslung ihrer Rolle in Verbindung zu LGBTI*-Menschen.

Polizeigewalt gegen LGBTI*-Menschen

Polizeigewalt gegen LGBTI*-Menschen ist kein Ding der Vergangenheit, beim besten Willen nicht. Laut einem Bericht aus 2013 haben 48 Prozent aller Betroffenen von LGBTI*-feindlicher Gewalt, die zur Polizei gegangen sind, schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Für Trans-Menschen ist die Situation viel schlimmer. Ein Bericht aus dem Jahr 2012 hat gezeigt, dass zwei Drittel aller Trans-Latinas in Los Angeles von Schikanen durch die Polizei berichten, 21 Prozent sagten, dass sie physisch angegriffen wurden und 24 Prozent berichteten von sexuellen Übergriffen. Gewalt kommt nicht nur von der Polizei, dennoch – 2016 war eines der tödlichsten Jahre für Trans-Frauen* in den USA mit 22 Mordfällen, und 2017 gab es bisher 13 Ermordungen von Trans-Frauen*. Die ermordeten Trans-Frauen* waren überwiegend schwarz. Trans-Frauen, die sich gegen Übergriffe wehren, werden oft eingesperrt, wie im berühmten Fall von Cece McDonald, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nachdem sie sich gegen einen transphoben Angriff verteidigte.

In einer Studie des Centers for American Progress heißt es: “LGBT-Menschen sind häufiger von Haftstrafen betroffen als die Allgemeinbevölkerung.“ Zudem bezeichnen sich 7 Prozent der Jugendlichen selbst als LGBTI*, aber die Zahl steigt auf 20 Prozent, wenn wir ausschließlich Jugendstrafanstalten anschauen. Die Gewalt der Inhaftierung setzt sich für Trans-Menschen dadurch zusammen, dass sie mit einer Bevölkerungsgruppe eingesperrt werden, die nicht mit ihrem Geschlecht übereinstimmen. Besonders Trans-Frauen* sind in Männer-Gefängnissen besonders häufig sexuellen Übergriffen ausgesetzt, sowohl durch Mitgefangene, wie auch durch Gefängniswärter.

Warum sind Regenbögen auf den Bullen-Wagen?

Die außergewöhnliche Fähigkeit des kapitalistischen Systems, die Kämpfe der Unterdrückten im Namen des Profits zu vereinnahmen und zu integrieren, wurde in den vergangenen 50 Jahren der Schwulenbewegung demonstriert. Vor nicht einmal 14 Jahren war „Sodomie“ in 14 US-Bundesstaaten illegal, vor nur 50 Jahren wurden die Namen von LGBTI*-Menschen in Zeitungen veröffentlicht und vor nur 48 Jahren fanden die Krawalle von Stonewall statt. Heute versuchen viele Firmen in den USA ihren Profit mit der Pride zu machen, mit Werbung und mit Festwagen. Für einige Menschen ist es ein Zeichen unserer Emanzipation – das Recht, eine Zielgruppe für Marketing zu sein und das Recht als ein*e wünschenswerte*r Konsument*in angesehen zu werden als Teil unserer Gleichheit. Dabei ist die LGBTI*-Gemeinschaft nicht bloß ein neuer offener Markt für den Kapitalismus. Immer häufiger stoßen LGBTI*-Menschen in die höchsten Ebenen der US-Regierung vor. Während seiner zwei Amtszeiten hat Obama 300 Leute in die höchsten Posten des Landes gesetzt.

Das sind alles Anzeichen für einen Anstieg von LGBTI*-Rechten, wofür LGBTI*-Menschen gekämpft haben und erhebliche Fortschritte erzielt haben, wie das Recht zu heiraten, das Recht Kinder zu adoptieren, etc. Das Problem ist, dass das Erreichen dieser Rechte uns nicht dabei helfen wird, wirkliche Gleichheit zu erlangen – welche Art von Gleichheit kann überhaupt in einer Gesellschaft existieren, die auf klassen-basierter Unterdrückung fußt oder in einem Land, das mit Sklaverei errichtet wurde, welche weiterhin anhält, um gewaltige Gewinne aus dem industriellen Gefängnis-Komplex zu ziehen, um die rassistische Spaltung der Arbeiter*innenklasse und rassistische Vorurteile aufrecht zu erhalten? Bloß weil unterdrückte Menschen gesetzlich festgelegte Rechte besitzen, bedeutetet dies nicht, dass dieses System unsere Leben respektiert. Tatsächlich spricht das System unterdrückten Menschen formale Gleichheit zu, nur um damit Ungleichheit zu rechtfertigen; formale Gleichheit wird zu einem Mechanismus, um den Umstand zu rechtfertigen dass wir in einer Gesellschaft leben, wo viele Menschen sich abrackern, um dieses System am Laufen zu halten, während eine kleine Minderheit Milliarden aus unserer Misere macht. Die Regenbogen-Polizei beschützt genau diese Art von Gesellschaft – eine Gesellschaft von „Rechten“, die nur eine kleine Gruppe wirklich genießen kann, während der Rest von uns – Arme, LGBTI*-Menschen, People of Color – weiterhin täglich Gewalt erfahren müssen.

Je mehr Rechte wir gewinnen, desto mehr kommt heraus, dass die meisten LGBTI*-Menschen nicht einfach nur wegen ihrer sexuellen Orientierung, Gender-Identität oder Gender-Präsentation unterdrückt werden, sondern als Arbeiter*innen ausgebeutet und als Frauen*, People of Color und Menschen mit Einschränkungen unterdrückt werden, wie auch in einer Vielzahl anderer Formen. In diesem Sinne werden reiche, homosexuelle Weiße insbesondere „normalisiert“ und zu wünschenswerten Konsument*innen stilisiert. Doch die Polizeigewalt betrifft weiterhin die übrigen Mitglieder der LGBTI*-Gemeinschaft.

Dazu kommt die unglaubliche Gewalt und Armut, die viele LGBTI*-Menschen, insbesondere Transmenschen und People of Color, erleben. Dies ähnelt der Gewalt, die heterosexuelle Cis-Menschen mit dunkler Hautfarbe erfahren, wie Philando Castile.

Organisierung im Sinne von Stonewall

Beim Stonewall Inn am 28. Juni 1969 traten LGBTI*-Menschen, angeführt von nicht-weißen Transfrauen, der Polizeigewalt entgegen und entsandten eine klare Botschaft, dass sie genug Beleidigungen und genug Gewalt hingenommen haben und nicht bereit sind, dies weiter zu dulden. Die Krawalle hielten Tage an. LGBTI*-Menschen vertrauten gemeinsam mit obdachlosen Jugendlichen und Teilen der Linken ihrer eigenen Macht, um die Polizei zurückzuschlagen. Heute brauchen wir diesen Geist mehr als jemals zuvor, weil Hassverbrechen gegen uns ansteigen, Transkindern verboten wird, den Baderaum zu benutzen, der mit ihrem Gender übereinstimmt und die Polizei weiterhin straffrei mordet.

Obwohl einige offen schwul und lesbisch auftretende Menschen wohlhabend sind und obwohl sie von der Kapitalist*innenklasse vermarktet werden, spielt die Polizei weiterhin die selbe mörderische Rolle, mit oder ohne auf ihre Autos gemalte Regenbögen. Die Mörder von Philando Castile zeigen ihre wahre Farbe. Wir müssen uns gegen die Bullen organisieren, die den Status Quo mit ihren Elektroschock-Waffen, ihren Gewehren und ihren Gefängnissen verteidigen. LGBTI*-Menschen kennen die Rolle der Polizei aus ihren eigenen Erfahrungen, wie auch aus unserer Geschichte. Das ist der Grund, weswegen wir uns gegen jeden Versuch seitens der Polizei stellen müssen, sich selbst als Unterstützer*innen von LGBTI*-Rechten darzustellen und weshalb sich LGBTI*-Bewegung sich konsequent auf die Seite von Philando Castile stellen muss, gegen seiner Mörder. Wir müssen felsenfest auf der Seite jener stehen, die gegen die Festnahme von Demonstrant*innen auf der Pride-Parade in Columbus demonstrierten, nicht auf der Seite der Bullen, die sie festgenommen haben, oder auf der Seite der Schwulen und Lesben, die die Bullen unterstützen.

Mich selbst als Lesbe zu akzeptieren ist etwas, für das ich kämpfen musste – gegen meine Familie, meine Kirche, meine Schule, die mir nur beibrachte, mich selbst zu schämen. Selbstakzeptanz ist ein Werkzeug der Unterdrückten, um unsere Menschlichkeit einzufordern und unseren persönlichen Kampf anzuerkennen und den historischen Kampf all derer, die vor uns waren. Ich bin stolz auf Stonewall, ich bin stolz auf unsere Bewegung, ich bin stolz, darauf dass unsere Bewegung aus einem Krawall hervorging. Als LGBTI*-Menschen sollten wir tiefe Verachtung für die Bullen und das System haben, das sie beschützen. Wir sollten angewidert und entsetzt sein darüber, dass unserer Feinde Regenbögen auf ihre Autos gemalt haben. Es ist höchste Zeit, eine Bewegung zu organisieren, die weiß, dass wir uns unsere Freiheit nicht erkaufen können und dass Bullen unsere Feind*innen sind. Eine Bewegung der Unterdrückten und Ausgebeuteten, vereint gegen Kapitalismus und Unterdrückung.

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