Projekt A – die Sackgasse anarchistischer Projekte

15.10.2016, Lesezeit 5 Min.
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„Projekt A“ vebreitet sich wie ein Lauffeuer in der radikalen Linken. In der letzten Woche machte die Solidarische Jugendbewegung (SJB) in Berlin Pankow eine Diskussionsveranstaltung zu diesem Film. Kann er uns bei der Überwindung des Kapitalismus helfen?

Ob Exarchia in Athen oder Selbstverwaltung in Katalonien – Selbstverwaltung war das zentrale Thema des Films. Die Aussage am Ende war klar: Selbstverwaltung ist toll und muss ausgeweitet werden. Diese Position teilen wir natürlich zunächst, wir sind für die Verteidigung solcher selbstverwalteter Projekte. Dennoch unterscheidet sich unsere Vorstellung von Selbstverwaltung ganz grundlegend von der im Film gezeigten.

„Anarchistische Inseln“ im Kapitalismus

Die massiven Proteste in Frankreich zurzeit machen die Situation in Griechenland fast schon wieder völlig vergessen. Leerstehende Häuser, weiterhin massive Arbeitslosigkeit und Privatisierungen prägen weiterhin die Straßen Athens. Dabei ist die Syriza-Regierung nicht nur für die Verabschiedung der Spardiktate der Troika verantwortlich gewesen, sondern hetzt auch weiterhin Bullen auf linke Aktivist*innen und führt Zwangsräumungen durch.

Im Zentrum des Films steht hier vor allem der Bezirk Exarchia, der als Zentrum der anarchistischen Bewegung in Griechenland gilt – eine Bezirk ohne Banken. Bullen trauen sich auch nicht mehr in den Kiez. Doch was den Aktivist*innen fehlt ist die Verbindung zu Massenprotesten von Arbeiter*innen und Jugendlichen. Kein Wort verliert der Film über die Hunderttausenden, die gegen die Spardiktate auf die Straßen oder in Generalstreiks getreten sind – und letztlich von Syriza verraten wurden.

Die Wut und der Perspektivlosigkeit dieser Massen auch aufgrund des Verrats ist ein fruchtbarer Boden für den Aufbau einer revolutionären Massenbewegung. Notwendig ist jedoch die Verbindung zu kämpfenden Sektoren des Arbeiter*innenklasse, wie den Arbeiter*innen der besetzten Fabrik vio.me. Denn einzelne Aktivist*innen in einem Kiez haben nicht die materielle Macht von Zehntausenden organisierten Arbeiter*innen im ganzen Land. Gemeinsam muss der Kampf gegen die Spardiktate, Privatisierung und Zwangsräumungen geführt werden. Ansonsten wird der alltägliche Kampf in Exarchia genauso isoliert bleiben wie bisher.

Mit genug Startkapital zur Revolution?

Das Beispiel katalanischer Anarchist*innen macht die Strategielosigkeit noch deutlicher: So spricht ein Aktivist sogar offen davon einen ganzen Berg in Katalonien zu kaufen, da er fast genauso viel koste, wie ein kleines Haus in der Stadt. Der Zweck davon soll sein dort „eine schöne Utopie zu verwirklichen“. Anstatt also auch hier wieder in tatsächliche Kämpfe im Spanischen Staat zu intervenieren oder dort für die Eroberung der Produktionsmitteln zu kämpfen, wie bei Panrico 2014, Telefónica 2015 oder auch beim Generalstreik im September dieses Jahres, versuchen sie lieber eine Parallelwirtschaft mit Eigenkapital ohne Massenbasis – sogar geografisch abseits jeder Massenbewegung – aufzubauen.

Dabei stehen sie allerdings auch nur der übermächtigen kapitalistischen Konkurrenz gegenüber, die sie ganz ohne Polizeigewalt zerstören kann. Denn Konzentration der Produktionsmittel in großen Konzernen, mit denen kleine Projekte nicht mithalten können, ist kein Fehler des Kapitalismus, sondern geht seinen eigenen Gesetzen hervor, insbesondere aus der Konkurrenz am Weltmarkt und aus dem tendenziellen Fall der Profitrate. Gerade im Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus ist es unmöglich, unter Beibehaltung kapitalistischer Wirtschaftsweise „anti-kapitalistische“ Unternehmen als Inseln aufrecht zu erhalten.

„Schützengräben“ im Klassenkampf

Die Arbeiter*innen von Zanon in Argentinien halten ihre Keramikfabrik seit über zehn Jahren unter Arbeiter*innenkontrolle, nachdem die Bosse sie verlassen hatten. Doch nur durch Interventionen in Kämpfe anderer Sektoren der Arbeiter*innenklasse, durch die Eroberung von Studierendenvertretungen und durch den ideologischen Kampf unser Schwesterorganisation PTS kann der Betrieb bis heute aufrecht erhalten und die Erfahrungen des Kampfes weit über die Grenzen Argentiniens hinaus bekannt gemacht werden. Denn das Projekt wurde immer wieder von den Kapitalist*innen und vom Staat angegriffen – von Problemen mit der Gewährung von Krediten bis zu massiven Einsätzen von Schlägertrupps und Polizei. Es musste auf sozialer Basis verteidigt werden.

Und so wurde aus dem ökonomischen Kampf um eine Fabrik ein politischer, wie um die Rückeroberung der Keramikgewerkschaft, aber auch um die Unterstützung der Bevölkerung. Die Fabrik liefert beispielsweise an öffentliche Einrichtung und stellt Arbeitslose an. Bis heute kämpfen wir in Argentinien um die Verstaatlichung Zanons unter Kontrolle der Arbeiter*innen, weil eine Kooperative nicht dauerhaft lebensfähig sein kann und der Kampf weiter ausgedehnt werden muss.

Selbstverwaltung darf also niemals ein Selbstzweck haben, sonst geht sie unter. Besetzte Betriebe, selbstverwaltete Kieze oder ähnliches sind notwendige „Schützengräben im Klassenkampf“, wie es Raul Godoj, Arbeiter in Zanon und führendes Mitglied der PTS bei einem Vortrag im Berliner IGM-Haus treffend ausgedrückt hat (hier im Video). Da die Existenz jedoch nicht nur vom Willen einzelner Aktivist*innen abhängt, braucht es die Verbindung zu Kämpfen der Arbeiter*innen und der Jugend.

Leider sind das alles Fragen, die der Film nicht aufgeworfen hat. Dabei sind strategische Diskussionen nicht nur notwendig zur Überwindung des kapitalistischen Systems, sondern auch überlebensnotwendig für die heute schon erkämpften „Inseln“ im Kapitalismus. Umso mehr danken wir der SJB, dass sie die Veranstaltung mit anschließender Diskussion organisiert haben. So war es möglich offen und kritisch auch über die Unzulänglichkeiten anarchistischer Projekte zu diskutieren. Denn nur die Enteignung von Produktionsmitteln, das heißt die Eroberungen von Bastionen innerhalb der Arbeiter*innenklasse und der Jugend, kann die im Film gezeigten Projekte vor dem Tod retten.

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