Online-Prüfungs-Chaos und Leistungsdruck: Bericht einer Studentin

11.02.2021, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Seit bald einem Jahr stehen Studierende, Schüler:innen und Lehrende vor der Herausforderung, den Unterricht digital zu bestreiten. Viele werden sich den Umständen entsprechend an die Umstellungen einigermaßen gewöhnt haben, doch nun stehen die nächsten Prüfungen an und bringen ungeahnte Herausforderungen und steigenden Leistungsdruck mit sich.

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Foto: khamkhor / pixabay.com

Als Studentin an einer Universität in Sachsen haben mich gegen Ende dieses Semesters zwei Prüfungen besonders überrascht: Eine Prüfung in einer Fremdsprache, die regulär als schriftliche Klausur stattgefunden hätte, wurde drei Wochen vor dem Prüfungstermin zu einer mündlichen Prüfung umgewandelt – online, versteht sich. Zwar wurden wir früh genug über die Änderung des Prüfungsformates informiert, dennoch setzt eine mündliche Prüfung in einer Fremdsprache einen erheblich höheren Arbeitsaufwand voraus, weil man seine Aussagen in der Prüfung nicht einfach vor Abgabe korrigieren kann. Hinzu kommt, dass wir kaum praktische Übungen im Sprechen gemacht haben, weil das Tutorium in diesem Semester nicht stattgefunden hat. Auf Nachfrage, warum die Prüfung online nicht auch schriftlich stattfinden könne, konnte mir keine:r der Verantwortlichen eine zufriedenstellende Antwort geben. Mein Anliegen wurde jeweils an Kolleg:innen weitergeleitet, bisher ohne Ergebnis.

Über den Ablauf der anderen Prüfung wurden wir erst eine Woche im Voraus informiert, sodass eine offizielle Änderung der Bedingungen kaum durchsetzbar schien. Zu den Bedingungen zählte ursprünglich, dass wir während der Klausur über Zoom überwacht werden sollten. Im Seminar äußerten mehrere Kommiliton:innen Bedenken dazu, gerade in Bezug auf Datenschutz und Privatsphäre. Von einer Freundin, die Mitglied des StuRa ist, habe ich am gleichen Abend gehört, dass dieses sogenannte Online-Proctoring über Zoom von unipolitischer Seite aus gar nicht gestattet ist. Da es allerdings zu dem Zeitpunkt keine offiziellen Dokumente dazu gegeben habe, versuchten viele Dozent:innen, diese Regel zu umgehen. Nachdem wir uns bei unserem Seminarleiter beschwert hatten, hat unser Dozent nun die Bedingungen geändert: Keine Zoom-Überwachung, dafür schwierigere Aufgaben, im gleichen Zeitraum.

Des Weiteren berücksichtigt eine Online-Klausur auf Zeit nicht, dass nicht alle Studierenden und Schüler:innen die gleichen (technischen) Voraussetzungen haben. Eine weitere Bedingung ist, dass die Klausur pünktlich im Postfach des Dozenten eingehen muss. Unter normalen Umständen (offline) ist das Standard und natürlich kein Problem, aber wer garantiert, dass auf die Technik Verlass ist? Was passiert, wenn wieder ein Uniserver überlastet ist und die Mail eine Minute zu spät ankommt? Riskiert man dann durchzufallen?

Als Person, die nie das Zehnfingertipp-System lernen konnte, fühle ich mich zudem aufgrund des zeitlichen Limits den Menschen gegenüber benachteiligt, die schneller tippen können, weil sie mit der vorgesehenen Zeit viel besser auskommen werden. Nachdem ich gegenüber meinem Dozenten meine Bedenken geäußert habe, schlug er kompromissbereit vor, dass ich die Klausur handschriftlich durchführen darf und dann einscannen soll. Allerdings verfüge ich dafür nicht über die technischen Mittel, weshalb ich in den sauren Apfel beißen muss, in der Klausur weniger (gründlich) zu argumentieren. Für mich ist diese Klausur eher eine motorische Prüfung, als ein Beweis dafür, dass ich fachliche Inhalte verstanden habe und miteinander in Bezug setzen kann.

Insgesamt verstehe ich nicht, warum in dem einen Modul das Prüfungsformat einfach geändert wird und in dem anderen Modul streng daran festgehalten wird. Die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden ist seit der Schließung der Universitäten auf das absolute Minimum gesunken – oft warte ich mehrere Tage, manchmal Wochen, auf eine Antwort per Mail. Viele meiner Kommiliton:innen ducken sich und versuchen, die Prüfungen unter diesen Bedingungen irgendwie zu bestehen, zur Not gäbe es ja noch einen extra Versuch. Dieser Versuch ändert leider nichts an den unsinnigen Prüfungsformaten.

Ich fordere, dass die Dozent:innen rechtzeitig und wertfrei mit den Studierenden in den Dialog treten und wir gemeinsam sinnvolle Prüfungsformate ausarbeiten, die für alle unter fairen Bedingungen machbar sind. In den Geistes-und Sozialwissenschaften eignen sich dafür zum Beispiel Hausarbeiten oder Essays (mit weniger knapper zeitlicher Bemessung als 90 Minuten) viel besser als Klausuren auf Zeit und unter Überwachung. Auch wünsche ich mir, dass die Lehrenden ein größeres Bewusstsein dafür entwickeln, dass Schüler:innen und Studierende momentan einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt sind, der von den psychischen Auswirkungen der Corona-Maßnahmen der Regierung im Privatbereich noch einmal extrem verstärkt wird. Ganz im Usus unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft wird nicht nur von Arbeiter:innen, sondern auch von Schüler:innen und Studierenden erwartet, dass sie zum Erhalt des Systems einwandfrei funktionieren. Im Privaten werden sie alle jedoch so stark eingeschränkt, dass nicht wenige mit Depressionen, Burn-Out-Symptomen und Zukunftsangst belastet sind. Ganz zu schweigen von Studierenden mit Kindern oder pflegebedürftigen Familienmitgliedern, oder Schüler:innen, die kurz vor ihrem Abschluss stehen und ohne sichere Perspektiven in die Arbeitswelt entlassen werden sollen…

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Welche Erfahrungen macht ihr mit Prüfungen im Lockdown? Was läuft an eurer Schule oder Uni verkehrt?

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