Nein zur inneren Militarisierung und Aufrüstung!

21.12.2016, Lesezeit 6 Min.
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Bewaffnete Polizisten gehen am 20.12.2016 in Potsdam (Brandenburg) über den Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße. Nach dem mutmaßlichen Anschlag von Berlin verstärkt die Polizei vielerorts in Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten. Foto: Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Nur kurz dauerte die Trauer an, bis reaktionäre Kräfte den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz für ihre Interessen instrumentalisierten. Die Rufe nach innerer Aufrüstung und dem Ausbau des rassistischen und anti-demokratischen Repressionsapparats werden lauter.

Nach den Ereignissen am Montagabend befindet sich Berlin in einer Schockstarre. Viele Fragezeichen und verschiedenste Spekulationen kursierten seitdem in den Medien, falsche Verdächtige wurden festgenommen, bis sich am Dienstagabend der Islamische Staat (IS) zu dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz bekannte.

Nach den Attacken von Würzburg und Ansbach wird Deutschland nun erstmals Ziel eines größeren Terroranschlags des IS, der einem Dutzend Menschen das Leben kostete und viele verletzte. Wie zuvor in Belgien und Frankreich muss nun auch in Deutschland die Zivilbevölkerung die Kosten für die militärischen Interventionen in Syrien, Afghanistan, Mali, etc. mit ihrem Leben bezahlen. Die imperialistische Politik der Kriegseinsätze und der Unterstützung diktatorischer Regime im Ausland schlägt zurück und verwandelt Deutschland in eine Zielscheibe für terroristische Anschläge.

Der Anschlag im politischen Zentrum des Landes und die Tatsache, dass sich der IS zu ihm bekannte, kündigen größere Veränderungen der politischen Konjunktur an, deren genaue Umrisse noch nicht feststehen und sich in den kommenden Tagen definieren werden. Doch es ist schon jetzt klar, dass eine innere Aufrüstung und Militarisierung stattfinden wird, die mehr Repression gegen Geflüchtete und Migrant*innen und eine Einschränkung demokratischer Rechte für Arbeiter*innen, Jugendliche und linke Kräfte bedeutet.

Schärfere Migrationspolitik

Von Marine Le Pen vom Front National bis Heinz-Christian Strache der FPÖ nutzte die extreme Rechte in ganz Europa die Anschläge für ihre rassistische Hetze und forderte Grenzschließungen und einen Aufnahmestopp für Geflüchtete. Die Alternative für Deutschland (AfD) versuchte mit ihren Aussagen nicht nur den rechten Terror und die fremdenfeindliche Selbstjustiz zu legitimieren, sondern forderte auch eine schärfere rassistische Abschottungs- und Abschiebepolitik. In ihrer gestern veröffentlichten Stellungnahme fordert die AfD,

„dass unsere so unverantwortlich offengehaltenen Grenzen endlich wieder kontrolliert werden. Wir müssen die Kontrolle über unser Territorium wiedererlangen, ohne Wenn und Aber. Die Polizei und die Geheimdienste müssen aufgerüstet, potentielle Terroristen und sogenannte Gefährder rigoros abgeschoben werden.“

Die AfD nutzt die Ereignisse vom Breitscheidplatz, um den rechten Druck auf die Regierung zu erhöhen und gestärkt in das anstehende Wahljahr einzugehen. Sie organisiert heute eine Demo vor dem Kanzleramt. Auch andere rechtsextreme Gruppen machen sich den Anschlag zu Nutze, für heute hat die NPD zu einer Demonstration in der Nähe der Gedächtniskirche aufgerufen.

Doch nicht nur die AfD, sondern auch die CSU und Teile der CDU forderten schon weitere Verschärfungen der Asylgesetze. So sagte Horst Seehofer: „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.“ Er benutzt damit den Anschlag, um der Forderung nach Obergrenzen und massiven Abschiebungen Nachdruck zu verleihen.

Die Durchsuchungen der Geflüchtetenunterkunft auf dem Tempelhofer Feld und die Festnahme eines 23-jährigen pakistanischen Geflüchteten, der sich als unschuldig erwies, deuten auf eine Zunahme der Repression gegen Geflüchtete und Migrant*innen hin. Dies wird sowohl von staatlicher Seite in Form verschärfter Kontrollen und einer noch härteren Abschiebepolitik als auch durch rassistische Attacken von rechten Schläger*innentrupps passieren. Damit wird sich der kontinuierliche Rechtsruck des vergangenen Jahrs, der sich in zahlreichen Asylrechtsverschärfungen und erst kürzlich in der ersten Sammelabschiebung ins kriegsgeplagte Afghanistan zeigte, auch in der kommenden Periode fortsetzen.

Innere Aufrüstung

Die wichtigsten Regierungsvertreter*innen sprachen sich für „Zusammenhalt“ und nationale Einheit aus. Die Weihnachtsmärkte und andere Großveranstaltungen sollen wie geplant stattfinden. Aber die Ruhe trügt: Denn gleichzeitig wurden auf der spontan einberufenen Innenministerkonferenz am Dienstagmorgen verschiedenste Sicherheitsmaßnahmen besprochen, die zu einer weitreichenden Militarisierung führen werden.

Klaus Bouillon (CDU), der saarländische Innenminister und Vorsitzende der Innenministerkonferenz, sprach sogar vom „Kriegszustand“ und erklärte: „Wir werden, wo wir es für erforderlich halten, auch mit schwerem Gerät antreten. Das heißt Langwaffen, Kurzwaffen, Maschinenpistolen“. Im ganzen Bundesgebiet wurde daraufhin die Bundespolizei hochgefahren, sowie die allgemeine Polizeipräsenz erhöht und weitere Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

In Frankreich wurde nach den Anschlägen von Paris im vergangenen November ein Ausnahmezustand ausgerufen, der zahlreiche demokratische Rechte wie die Versammlungsfreiheit aushebelt, Wohnungsdurchsuchungen erleichtert und die Militarisierung im Inland vorantreibt. Seitdem wurde der Ausnahmezustand aufgrund verschiedenster Anlässe vier Mal verlängert und wird bis Mitte kommenden Jahres in Kraft sein.

In Deutschland stehen wir noch nicht vor einem solchen qualitativen Sprung hin zur vollständigen Militarisierung und der verallgemeinerten Repression. Doch der Repressionsapparat wird die ihm neu zugeschriebenen Befugnisse ausnutzen und versuchen sie auszubauen. In Berlin wie auch in anderen Bundesländern wird der Anschlag dazu führen, „Sicherheitskonzepte“ zu überdenken, um beispielsweise eine flächendeckende Videoüberwachung einzuführen.

Ein Programm gegen Krieg und Imperialismus

Der Anschlag in Berlin und die wahrscheinliche Täterschaft des IS machen erneut deutlich, dass die Kriegseinsätze, Waffenexporte und Besatzungspolitik des deutschen Imperialismus nicht nur zu Leid, Zerstörung und Elend in den halbkolonialen Ländern führen. Auch die Bevölkerung in Deutschland wird durch sie zur Zielscheibe für Terroranschläge. Die Erfahrung von Frankreich, wo trotz Ausnahmezustand im Juli in Nizza ein weiterer Anschlag stattfand, zeigt, dass Anschläge nicht durch „mehr Sicherheit“ verhindert werden können. Im Gegenteil: Besonders Migrant*innen werden am meisten unter der zunehmenden Militarisierung und dem anwachsenden Rassismus zu leiden haben – darunter viele Menschen, die aus Ländern wie Syrien vor denselben Kräften fliehen, die mutmaßliche Anschläge in Europa verüben.

Ein progressiver Ausweg kann deshalb nur darin bestehen, die Verantwortung des deutschen Imperialismus zu denunzieren und ein anti-imperialistisches Programm zu erheben, das den Stopp der Auslandseinsätze der Bundeswehr, aller Waffenexporte und ein Ende der reaktionären Deals mit autoritären Regimes zur Abschiebung und Abschottung fordert. Gleichzeitig müssen wir für die Verteidigung der demokratischen Rechte gegen die innere Militarisierung und Aufrüstung eintreten und diese Forderung mit der Ausweitung der demokratischen und sozialen Rechte auf Geflüchtete verbinden.

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