Mindestens zwölf Tote und dutzende Verletzte auf Weihnachtsmarkt in Berlin

20.12.2016, Lesezeit 5 Min.
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Ein Lkw tötete am Montagabend mindestens zwölf Menschen und verletzte Dutzende mehr. Die Polizei geht inzwischen von einer vorsätzlichen Tat aus, doch weiterhin sind die Umstände nicht völlig klar. Rechte Stimmen nutzen den Vorfall aber schon jetzt für ihre Hetze.

Gegen 20.15 Uhr raste am Montagabend ein Lkw in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Mindestens zwölf Menschen starben, 48 wurden verletzt, darunter viele schwer. Berliner Krankenhäuser wurden mittels Katastrophenalarm in Alarmbereitschaft versetzt, alle verfügbaren Polizei- und Feuerwehrkräfte wurden zusammengezogen. Polizist*innen mit Maschinengewehren sperrten das Areal um die Gedächtniskirche weiträumig ab.

Der Fahrer des Schwerlasters flüchtete. Kurze Zeit später wurde ein Verdächtiger in der Nähe der Siegessäule festgenommen.

Unter den Toten war auch der Beifahrer des Lkw. Der Laster gehört einer polnischen Spedition und hatte Stahlträger geladen. Der Firmenchef Ariel Zurawski sagte im polnischen Fernsehen, der Lastwagen sei womöglich entführt worden.

Noch Stunden später waren die Umstände des Vorfalls unklar. Handelte es sich um einen Terroranschlag, ähnlich dem im französischen Nizza im Juli? Und wenn es ein Terroranschlag war, hatte er einen islamistischen Hintergrund? Oder handelte es sich um einen tragischen Unfall?

Offizielle Sprecher*innen von Polizei und Regierung legten sich zunächst nicht fest. So sagte der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD): „Eine Stadt in Angst hilft niemandem“. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte zunächst: „Wir wissen noch nicht mit Gewissheit, was heute Abend wirklich geschehen ist.“ Der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) versicherte jedenfalls: „Die Situation ist unter Kontrolle.“

Um Mitternacht herum sagte jedoch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), dass derzeit vieles für einen Anschlag spreche. Heute werden sich die Innenminister*innen von Bund und Ländern treffen, um über „erhöhte Sicherheitsmaßnahmen“ zu beraten.

In den Morgenstunden sprach die Polizei erstmals selbst von einem „vermutlich terroristischen Anschlag“.

Trotz der vorsichtigen Meldungen der ersten Stunden gab es auch wilde Spekulationen: Die US-amerikanische Zeitung „Washington Post“ berichtete schon früh von einem angeblichen Bekennerschreiben des Islamischen Staats. Die „Welt“ meldete erst, dass der Fahrer Tschetschene sei; kurz vor Mitternacht kamen dann Meldungen „aus Sicherheitskreisen“, dass es sich bei dem Festgenommenen um einen afghanischen oder pakistanischen Staatsbürger handeln solle. Angeblich sei der Verdächtige vor einem Jahr als Geflüchteter nach Deutschland gekommen. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei stürmte in den frühen Morgenstunden eine Geflüchtetenunterkunft am ehemaligen Tempelhofer Flughafen, wo der Verdächtige gemeldet gewesen sein soll. Festnahmen gab es keine.

Dennoch: Während die Einzelheiten inzwischen mehr und mehr dafür sprechen, dass es sich um eine vorsätzliche Tat und möglicherweise einen Anschlag handelt, ist über das Motiv im Hintergrund bisher überhaupt nichts bekannt.

Viele Menschen zeigten auf Twitter, auf Facebook und anderswo ihr Mitgefühl für die Opfer und ihre Angehörigen. Es gab aber auch viele hetzerische Kommentare von rechts gegen Migrant*innen. Rechte Demagog*innen schärften ihre Hetze schon kurz nach dem mutmaßlichen Anschlag. Ein Paradebeispiel dafür bot der AfD-Landesvorsitzende Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell:

Pretzells Kommentar steht exemplarisch für noch mehr „Sicherheit“, noch mehr Abschotttung und Militarisierung, und noch mehr Hass gegen Geflüchtete. Es geht um indirekte Legitimierung von rechtem Terror. Die Logik ist: Wenn der Rechtsstaat unfähig ist, müssen rechte Horden selbst „zurückschlagen“. Im selben Sinne stellte die AfD vor einigen Tagen eine Selbstjustiz-App für Smartphones vor.

Unabhängig vom Motiv, unabhängig davon, ob es sich um einen koordinierten Terroranschlag oder um die Tat eines Einzeltäters handelt, müssen wir aufs Allerschärfste die Instrumentalisierung des Vorfalls durch AfD und Co. bekämpfen.

Sollte es sich tatsächlich um einen Terroranschlag handeln, ist aber auch klar: Die imperialistischen Kriege, Besatzungen und rassistischen Unterdrückungsverhältnisse schlagen in die Zentren zurück. Die Übernahme von immer mehr „Verantwortung“ durch den deutschen Imperialismus in verschiedenen Krisengebieten, kombiniert mit den wachsenden weltweiten geopolitischen Spannungen mit Epizentrum in Syrien, sorgen auch dafür, dass Deutschland eine Zielscheibe wird. Die Unterstützung diktatorischer Regime durch die deutsche Regierung und der Einsatz der Bundeswehr in Kriegsgebieten muss deshalb sofort beendet werden.

Es zeigt auch: Die Politik der „Festung Europa“, die dieses Jahr im Mittelmeer noch mehr Menschenleben als je zuvor gekostet hat, kann solche Vorfälle nicht verhindern. Im Gegenteil haben gerade diejenigen am meisten unter der zunehmenden Militarisierung und dem Rassismus zu leiden, die aus Ländern wie Syrien vor denselben Kräften fliehen, die mutmaßliche Anschläge in Europa verüben.

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