Muss die Linke erst verlieren, um zu gewinnen? Augstein sagt ja

11.10.2018, Lesezeit 6 Min.
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Die AfD ist bundesweit auf dem Vormarsch. Wie soll die Linke dem begegnen? Wenn es nach dem linken Publizisten Jakob Augstein geht, sollte man sie gewähren lassen: "Die AfD muss mitregieren, dann kann sich die Linke befreien und loslegen."

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat das bisherige Parteienregime in Deutschland ganz schön ins Wanken gebracht. In Bayern muss sich eine stark geschwächte CSU gerade nach einem möglichen Koalitionspartner umschauen. Aber vor allem in ostdeutschen Bundesländern könnte bei den nächsten Wahlen nicht einmal mehr eine „Große Koalition“ die Hälfte der Stimmen bekommen. Rein rechnerisch müsste die CDU entweder mit der AfD oder mit der Linkspartei koalieren, um überhaupt noch Regierungsmehrheiten bilden zu können.

Eine Debatte in der Linken, wie wir der immer weiter erstarkenden AfD entgegentreten können, ist deshalb mehr als nötig. Doch was der Herausgeber der linken Wochenzeitung Freitag, Jakob Augstein, in einem Artikel Ende vergangener Woche zu der Diskussion beitrug, ist haarsträubend. Er gibt die Parole aus: „Die AfD muss mitregieren, dann kann sich die Linke befreien und loslegen.“

Wie kommt Augstein, der sonst immer wieder gegen die AfD anschreibt, auf eine solche Idee? Schließlich analysiert er die Partei von Gauland, Höcke und Co. auch in demselben zitierten Artikel als eine „in ihrem Kern rassistische, vor allem eine antimuslimische Partei“, deren „Regierungsbeteiligung […] vor allem Migranten zu spüren bekommen“ werden.

Augstein beschreibt seine politische Vision selbst so: „Aus progressiver Sicht hätte [eine Regierungsbeteiligung der AfD] einen entscheidenden Vorteil: Das linke Lager könnte endlich den zunehmend halsbrecherischen Spagat zwischen dem eigenen Anspruch und der politischen Realität aufgeben und zu sich selbst finden. Der pathologische Zwang, nach rechts zu schielen, hat Linken, Sozialdemokraten und Grünen lange genug den Kopf verdreht. Eine befreite Linke könnte sich endlich daran machen, gemeinsam um eine neue, bessere, gerechtere Politik zu werben.“

Die Linke könne sich also von der AfD „befreien“, wenn diese erstmal an der Regierung wäre. Wohlwollend könnte man Augstein hier eine Kritik an der anbiedernden Haltung von vielen Politiker*innen – unter anderem Sahra Wagenknecht und ihrer „aufstehen“-Plattform – zur AfD unterstellen. Doch leider ist genau das Gegenteil der Fall: Augstein gehört – anders als einige andere Autor*innen des Freitag – zu den Unterstützer*innen der Wagenknecht-Plattform. Diese Unterstützung radikalisiert er – ohne es offen auszudrücken – in seinem Artikel in einer brandgefährlichen Art und Weise.

Dabei beweist er ein rein instrumentelles Verhältnis zur Lebensrealität von Migrant*innen in Deutschland. Schon in seinem ursprünglichen Kommentar zu „aufstehen“ hatte er die Frage der Migration als eher zweitrangige Frage definiert. Nun geht er soweit, dass die Folgen einer etwaigen Regierungsbeteiligung der AfD für Migrant*innen (und Frauen, Rentner*innen, Arbeiter*innen) quasi zum „notwendigen Übel“ für eine Neuorientierung der Linken werden.

Doch was noch viel schlimmer ist: Für Augstein gibt es keinerlei Perspektive, die AfD von einer Regierungsbeteiligung abzuhalten. Er akzeptiert im Vorhinein die politische Niederlage im Kampf gegen die AfD. Weil der real existierende Reformismus kein Rezept gegen die AfD hat, müssten wir den Aufstieg der AfD nun einmal akzeptieren – er schreibt selbst: „Demokratie ist nicht nur das, was einem gefällt“ und „Es ist zu spät, die Bombe zu entschärfen“. Seine Perspektivlosigkeit im Kampf gegen die AfD drückt sich in dem Satz „Es gibt nur eine Partei, die Deutschland aus seiner politischen Verklemmung befreien kann: die CDU“ glänzend aus.

Der Genauigkeit halber muss allerdings hinzugefügt werden: Augstein ist nicht völlig perspektivlos, vielmehr ist seine Perspektive – auch wenn er sie in dem Artikel nicht expliziert ausführt – eine rot-rot-grüne Bundesregierung. Klar, die SPD wird kaum glaubwürdig Teil einer gegen den Rechtsruck der letzten Jahre gerichteten rot-rot-grünen Regierung sein können, solange sie selbst aus der Regierungsverantwortung kommt. Insofern wäre eine CDU-AfD-Regierung für die SPD tatsächlich eine Art „Befreiung“: Sie könnte sich endlich wieder als Oppositionskraft profilieren.

Und aus der Opposition heraus könnte Legitimität für ein Projekt einer rot-rot-grünen Bundesregierung entstehen, nachdem die AfD sich mit Sparpolitik und Neoliberalismus vor den Augen der Massen delegitimiert hat.

Für Augstein ist das komfortabel: Als Verleger wird er selbst kaum davon betroffen sein. Es ist ihm ein Leichtes, die Interessen von Arbeiter*innen, Frauen und Migrant*innen für Gedankenspiele über mögliche Regierungsbündnisse zu opfern. Denn das was für ihn schmerzhaft ist, sind die „Verrenkungen, mit denen die Parteien bislang versuchen, den rechten Wandel aufzufangen“ – nicht die realen materiellen Auswirkungen einer erstarkenden AfD.

Diese Vision ist höchst zynisch und erklärt die Niederlage zur Notwendigkeit. Weil es im real existierenden Reformismus keine tatsächliche Kampfperspektive gegen den Rechtsruck, der viel tiefer geht, als „nur“ der Aufstieg der AfD, sondern auch die Prekarisierung und Militarisierung der letzten Jahre beinhaltet, gibt, setzt Augstein die Hoffnung in eine Re-Legitimation ebendieses Reformismus nach einem Regierungsbeitritt der AfD.

Wir hingegen sind der Ansicht, dass der Kampf gegen die AfD und gegen den Rechtsruck vor allem ein Kampf gegen Prekarisierung, Militarisierung, Rassismus und Sexismus und damit auch ein Kampf gegen die Regierung und das Kapital sein muss. Ein Kampf, der eine unabhängige Perspektive der Arbeiter*innen, der Frauen und der Migrant*innen in den Mittelpunkt stellt und sich gerade nicht darauf verlässt, dass die etablierten Parteien – und schon gar nicht die Regierung – die AfD stoppen können.

Denn auch eine „linke“ Regierung unter Rot-rot-grün wäre keine annehmbare Alternative für die Arbeiter*innenklasse. Mit der Agenda 2010 sorgte Rot-grün für eine massive Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und legte damit auch den Grundstein für den Rechtsruck in Deutschland. Die Neuauflage einer „linken“ Verwaltung der Profitinteressen des deutschen Kapitals wird uns im Kampf für ein gutes Leben nicht weiterbringen.

Nur mit einer Perspektive, die nicht auf Regierungsbeteiligung abzielt, kann erfolgreicher Widerstand gegen den Rechtsruck organisiert werden.

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