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Marx21: Die ewige Hoffnung auf die Transformation der Bürokratie

26.09.2020, Lesezeit 15 Min.
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Janine Wissler in der WDR-Sendung "Maischberger" am 15.11.2017. © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Nachdem die hessische Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, ankündigte, für den Parteivorstand zu kandidieren, beendete sie ihre Mitgliedschaft im Netzwerk “marx21”. Die marx21-Redaktion veröffentlichte nach längerem Schweigen vergangene Woche ein FAQ über ihre eigenen Positionen. Bedeutet Wisslers Kandidatur, dass revolutionäre Positionen in der Linkspartei Fuß fassen? Oder ist sie nur ein linkes Feigenblatt für Regierungssozialist:innen?

Wisslers Austritt: “weinendes Auge” oder Augenwischerei?

Das Netzwerk kommentiert Wisslers Kandidatur folgendermaßen: “Für den linken Flügel in der LINKEN bietet ihre Kandidatur eine Chance: Nicht nur, weil damit die Chancen erhöht werden, den Kurs einer bewegungsorientierten und klassenkämpferischen Mitgliederpartei weiterzuentwickeln, sondern auch, um das antikapitalistische und antirassistische Profil der Partei zu schärfen.[…] Wie mit den vorherigen uns nahestehenden Parteivorsitzenden werden wir gemeinsam den Kampf um eine klassenkämpferische, sozialistische Mitgliederpartei führen. In diesem Sinne unterstützen wir Janines Kandidatur und freuen uns auf die nächsten Wochen bis zum Parteitag.” Der Austritt von Wissler aus marx21 sei eine “persönliche Entscheidung” als “Konsequenz für die Kandidatur zum Parteivorsitz”, den das Netzwerk “auch mit einem weinenden Auge” betrachte.

Doch es handelt sich hierbei ganz eindeutig um ein politisches Manöver, eine Augenwischerei, um gleich mehrere Ziele zu erreichen: Zum Einen möchte sich Janine Wissler gegenüber Kritik vom rechten Flügel der Partei in Schutz nehmen, indem sie ihre Mitgliedschaft formal beendet und sich schon jetzt als “Vertreterin der gesamten Partei” – also auch der rechten Hardliner um Dietmar Bartsch und den fds (aus dem Bartsch übrigens auch als Fraktionsvorsitzender nie ausgetreten ist) – geriert. Zum Anderen ist es aber auch für marx21 von Vorteil, denn so kann sich das Netzwerk jeder formelle Verantwortung für die künftige Politik Wisslers entziehen, wenn diese den Kurs auf Rot-Rot-Grün im Bund gemeinsam mit der zukünftigen Co-Vorsitzenden Susanne Henning-Wellsow, thüringische Landesvorsitzende der Linkspartei und vehemente Verfechterin von RRG und Unterstützerin von Bodo Ramelow, weiter vorantreibt.

Doch als Marxist:innen betrachten wir politische Kräfteverhältnisse nicht auf der rein formalen Ebene. Marx21 stellt sich zwar formell gegen Regierungsbeteiligungen, jedoch unterstützt sie politisch die ihnen “nahestehenden” bisherigen Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger, die seit Langem für einen RRG-Kurs werben. Wissler selbst ist seit Jahren schon Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands, ihre jetzige Kandidatur für den Vorsitz ist nur die Konsequenz ihrer bisherigen Politik. In Hessen hat sie selbst rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen geführt und betont, dass sie in eine solche Regierung will. Damals sagte sie: „An uns wird es nicht scheitern. Wir wollen mitregieren, wenn die Bedingungen stimmen.“

Hier lohnt auch ein genauerer Blick in die Haltung von marx21 zu Regierungsbeteiligungen. Nehmen wir als Beispiel einen Artikel von Volker Mosler, führender Kopf von marx21 und politischer Mentor von Janine Wissler, aus dem Jahre 2013: “[E]inen Absturz in die gegenteilige Richtung einer sektiererischen Isolation hätte die hessische LINKE sehr leicht haben können, wenn sie mit Verweis auf negative Erfahrungen in anderen Bundesländern erklärt hätte, dass sie gegen jedes Regierungsbündnis mit Rot-Grün sei. Der politische Preis einer solchen abstrakten Weigerung wäre hoch gewesen, DIE LINKE hätte die Mehrheit ihrer Wähler und Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die Hoffnungen in ein Bündnis der »linken« Parteien setzen und nicht sehen, wie begrenzt die Handlungsmöglichkeiten gerade einer solchen Regierung wären.” Im Klartext: Eine Ablehnung einer Regierungsbeteiligung würden die Wähler:innen nicht verstehen. Also auch wenn man gegen Regierungsbeteiligung ist, muss man sich dafür aussprechen, um dann in den Verhandlungen die Umsetzung dieser Option zu torpedieren.

Marx21 brüstet sich in ihrem FAQ mit Zitaten der Revolutionären Rosa Luxemburg. Eine zentrale Lehre von Luxemburg verschweigt das Netzwerk aber:

Die revolutionärste Tat ist zu sagen, was ist.

Die Herangehensweise zu Regierungsbeteiligungen könnte nicht ferner von der revolutionär-sozialistischen Tradition sein, die marx21 zu vertreten behauptet. Die Aufklärung der Arbeiter:innen über die Ziele revolutionärer Organisationen, um politische Klarheit und Kohärenz für den Kampf zu schaffen, gehörte stets zur marxistischen Tradition. Doch dass dies in diesem Fall nicht zutrifft, ist kein Zufall, sondern Produkt der versöhnlerischen Politik des Netzwerks. Die Praxis von Wissler und von marx21 ist die der engen politischen Kooperation mit RRG-Befürworter:innen – dass sie etwas Gegenteiliges behaupten, ist nichts als Augenwischerei.

“Rote Haltelinien”: Ja, aber irgendwie doch nicht.

Dass sich momentan der regimenahe Flügel der Partei auf eine Rot-rot-grüne Koalition vorbereitet, kann marx21 in ihrem FAQ natürlich nicht verschweigen. Die Integration der Linkspartei, die sich zunehmend auf parlamentarische Tätigkeiten fokussiert und wenig Verbindung zur Arbeiter:innenbewegung und sozialen Bewegungen pflegt, wird richtigerweise problematisiert.

Auch wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass linke Regierungsbeteiligungen daran scheitern, dass der Staat keine neutrale Institution ist, deren Charakter man durch Reformen ändern könnte, sondern “Ausdruck der kapitalistischen Klassengesellschaft und der Eigentumsverhältnisse”. Zitiert wird die Revolutionärin Rosa Luxemburg in ihrer Auseinandersetzung mit dem Reformismus:

“Es ist freilich Tatsache, daß die Sozialdemokratie, um praktisch zu wirken, alle erreichbaren Positionen im gegenwärtigen Staate einnehmen, überall vordringen muß. Allein als Voraussetzung gilt dabei, daß es Positionen sind, auf denen man den Klassenkampf, den Kampf mit der Bourgeoisie und ihrem Staate führen kann. (…) In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.

Dieses Zitat Luxemburgs existiert für marx21 jedoch nur auf dem Papier. Die laut marx21 “ erste gesellschaftlich relevante sozialistische Massenpartei (links von der SPD) in der Geschichte der Bundesrepublik”, regiert schon längst in mehreren Bundesländern. Genau genommen war die Linkspartei bereits in der Regierung, bevor sie überhaupt gegründet wurde, noch als PDS. In ihrer ganzen Geschichte gab es keinen einzigen Tag, an dem sie nicht irgendwo in der Regierung war. D.h. jeden Tag trägt sie Verantwortung für Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen. Und Janine Wissler ist wie erwähnt seit Jahren im geschäftsführenden Vorstand dieser Partei — Christine Buchholz, eine andere Führungsfigur von marx21, noch länger.

Die “roten Haltelinien”, festgehalten im “Erfurter Programm”, schließen Regierungsbildungen aus, “an einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen vornimmt, (wo) Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt werden”. Diese Haltelinien wurden jedoch auf Länderebene bereits mit Füßen getreten, wie als in Berlin gemeinsam mit der SPD das größte Landeseigene Wohnungsunternehmen privatisiert wurde. Die Beschäftigten in den outgesourcten Berliner Gesundheitsbetrieben können bestätigen, dass Rot-Rot-(und mittlerweile Grün) bis auf leere Versprechen nichts gegen den Sozialabbau im Gesundheitswesen unternommen hat.

Wozu also “rote Haltelinien”, wenn sie problemlos überschritten werden können? Und was hat dieser parlamentarische Zirkus mit einer sozialistischen Massenpartei zu tun?

Revolutionäre Perspektive oder “Nichtsalsparlamentarismus”?

Auffällig am erwähnten Positionspapier ist, dass es nur partielle Antworten zu geben scheint, welchen Kurs die Linkspartei nehmen soll. Jedoch ist viel auffälliger, was nicht gesagt wird.

Wie wir bereits schrieben, ist bei marx21 keine Rede davon, dass sich die Frage der Regierungsbeteiligung nicht in irgendeinem Land abspielt, sondern im zweitwichtigsten imperialistischen Land der Welt. Dass die “Zukunft der Partei offen” sei, wie marx21 behauptet, ist eine extreme Unterschätzung der Fähigkeit des deutschen Staates, soziale Bewegungen und kritische Stimmen zu kooptieren und in seine Bürokratien einzuverleiben. Mehr noch: Führende Posten an der Spitze einer Regierungspartei bekommt man in einem imperialistischen Staat nicht einfach so. Trotz aller rechten Angriffe auf marx21 aus bürgerlichen Zeitungen wird verschwiegen, dass der RRG-Flügel der Linkspartei offenbar Vertrauen darin hat, gemeinsam mit Wissler die Partei anzuführen. Kein Wunder: Wissler leitet auch den Wirtschaftsausschuss im hessischen Parlament, und marx21 ist seit Jahren fest im Parteiapparat verankert.

Revolutionäre Sozialist:innen verfolgen das Ziel, für die Machteroberung der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen. Hierfür bedienen sie sich eines Programms, welches anhand der konkreten Situation, also den objektiven Notwendigkeiten der Bevölkerung, die Brücke zum Sozialismus aufzeigt. Dies mag banal klingen, ist jedoch im Positionspapier nicht zu finden. Fast kein Wort wird verloren über die großen Fragen heute: Was tun gegen die Massenentlassungen, die die Existenz Zehntausender aktuell bedrohen? Wie vorgehen gegen den deutschen Imperialismus, der im Falle Moria wieder sein wahres Gesicht zeigt? Wie können Sozialist:innen ein Bündnis mit den rassistisch Unterdrückten schmieden, die beginnen, die Rolle der Polizei in Frage zu stellen?

Vor allem ist erstaunlich, dass die Frage, wie die Arbeiter:innenklasse mit ihren bereits existierenden Organisationen diese Kämpfe aufnehmen kann, keinerlei Betrachtung findet. Während die Illusion gefördert wird, die Linkspartei mit ihren gut 60.000 Mitgliedern sei eine “sozialistische Massenpartei”, lässt sich das Wort Gewerkschaften im gesamten Text nicht finden. Und dass, obwohl der DGB mit knapp 6 Millionen Mitgliedern 100 Mal mehr Arbeiter:innen organisiert als besagte Partei. Überhaupt befasst sich marx21 in dem Positionspapier nicht mit der verräterischen Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die sich in der aktuellen Krise weigern, einen Kampfplan aufzustellen und ein ums andere Mal die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse in für das Regime ungefährliche Bahnen lenken. Eine Perspektive dagegen bietet marx21 nicht an, im Gegenteil versucht das Netzwerk selbst, Positionen in der Gewerkschaftsbürokratie zu erlangen.

Mit diesem Schweigen passt sich das Netzwerk an eine Trennung an, die der Kapitalismus uns auferlegt und die der Reformismus aufrechterhält, um die Arbeiter:innenbewegung von der politischen Macht zu trennen. Während auf politischer Ebene die Arbeiter:innenklasse nur die Möglichkeit hat, alle paar Jahre ihre Vertreter:innen zu wählen, ist sie auf ökonomischer Ebene entmachtet. Die Entscheidungen, was und wie produziert wird – inmitten einer globalen Pandemie umso offensichtlicher ein zentrales Thema – treffen die Bosse Tag für Tag, während wir in Kurzarbeit um unseren Lohn beraubt werden oder Überstunden schieben müssen.

Die Überwindung dieser Trennung zwischen “politischen” und “wirtschaftlichen” Fragen ist eine zentrale Aufgabe der Revolutionär:innen. Schon Rosa Luxemburg stieß im Jahre 1910 mit dem damaligen sozialdemokratischen Anführer Karl Kautsky eine Debatte über diese Frage an. Während die Arbeiter:innenklasse gleichzeitig politische Forderungen nach einer Wahlrechtsreform aufstellte und, inspiriert durch die russische Revolution von 1905, eine Streikwelle anführte, hielt die SPD und die Gewerkschaftsbürokratien diese Prozesse getrennt. Während Luxemburg die Notwendigkeit agitierte, dass sich die Sozialdemokratie das Ziel stelle, beide dieser Prozesse zu verbinden, beabsichtigte Kautsky, diese Prozesse voneinander zu trennen. Die “Ermattungsstrategie”, die er vorschlug, die sich auf das Parlament und die ökonomischen Streiks und nicht auf den aufständischen Generalstreik stützt, begründete er damit, dass der Moment der revolutionären Machtübernahme noch nicht gekommen sei.

Luxemburg antwortete auf diese Gegenüberstellung:

Da Genosse Kautsky nun diesem so gedachten Massenstreik unsere altbewährte Taktik des Parlamentarismus entgegenstellt, empfiehlt er in Wirklichkeit vorläufig und für die gegenwärtige Situation einfach Nichtsalsparlamentarismus; nicht im Gegensatz zum utopischen Barrikadensozialismus. wie Engels, sondern im Gegensatz zur sozialdemokratischen Massenaktion des Proletariats zur Erringung und Ausübung politischer Rechte.

Und heute?

Zwar hat das Netzwerk eine Analyse und Stellungnahme in Bezugnahme auf die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst verfasst, bleibt jedoch auch hier auf Kautskys Boden stehen. Zurecht wird kritisiert, dass die Bürokratie in den Gewerkschaften die Basisdemokratie verhindert, jedoch ist die Frage losgelöst von den anderen Arbeitskämpfen, die in Deutschland aktuell stattfinden: Die von der Bürokratie mitgetragene Spaltung und Tarifflucht, die das Kapital durch die Gründung von Tochterunternehmen beispielsweise in der Pflege massenhaft durchsetzte, wird nicht benannt. Genauso wenig wird Bezug genommen auf die angekündigten Massenentlassungen in der Industrie, bei der Lufthansa, bei Galeria Karstadt Kaufhof. Kein Wort wird verloren über die, die die Kosten der Krise am schlimmsten erleben: die migrantischen Arbeiter:innen in der Fleischindustrie, die prekäre Jugend, die Frauen, deren Doppelbelastung in einer Gesundheitskrise nur steigt.

Die Rolle der Linkspartei wird auf eine ledigliche Unterstützer:innenrolle beschränkt. Die verräterische Rolle, die sie sowohl in der Regierung, als auch in der Bürokratie spielt (in den niedrigen Stufen lassen sich viele Parteimitglieder finden), bleibt unbeleuchtet. Durch die fehlende Beleuchtung der Trennung zwischen Politik und Gewerkschaft und die mangelnde Analyse über die spalterische Rolle der Bürokratie in beiden Bereichen, verliert marx21 den strategischen Norden, das strategische Ziel, dass alle Taktiken und Teilkämpfe miteinander verbinden muss: Die Überwindung der Spaltungen unserer Klasse und die Schaffung einer Einheit im Kampf dafür, dass die Kapitalist:innen für die Krise zahlen. Dafür muss die Gewerkschaftsbürokratie aus den Gewerkschaften herausgeworfen und die Organisationen für den Kampf zurückgewonnen werden – anstatt eines konsequenten Kampfes gegen die Bürokratie setzt marx21 jedoch darauf, den Apparat von innen zu reformieren. Eine Sackgasse, die genauso zur Integration in das Regime führt wie die Vorstellung, den Regierungsapparat der Linkspartei zu einer sozialistischen Partei umformen zu wollen.

Linke Regierung vs. Arbeiter:innenregierung

Etliche Beispiele der letzten Dekaden zeigen, dass eine “linke” Regierung im kapitalistischen Staat nicht das Ziel erfüllt, das Kapital anzugreifen und zu verhindern, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihre Interessen durchsetzen. Syriza, die große Hoffnung der reformistischen Linken, die Reformismen Chávez’, Morales’ und Konsorten in Lateinamerika und zuletzt die Integrierung der spanischen Podemos in die Regierung zeigen dies deutlich.

Abgesehen davon, dass diese Regierungen ihre Wahlversprechen nicht eingehalten haben (ein Paradebeispiel hierfür ist die Durchsetzung der Kürzungsprogramme der Troika in Griechenland, wo nicht vergessen werden darf, dass marx21 damals Syriza unterstütze, auch wenn sie die Partei jetzt kritisiert), gibt es ein tieferes strategisches Problem dahinter, welcher marx21 nicht benennt: Die Regierungen im bürgerlichen Staat sind eine Hürde dafür, die Selbstorganisation der arbeitenden Massen aufzubauen. Es war doch eben die sozialdemokratische Regierung nach der Novemberrevolution in Deutschland, die die Unabhängigkeit der Räte beschnitt und ihre Interessen mit Waffengewalt gegen die revolutionären Arbeiter:innen durchsetzte. Die Arbeiter:innen in den chilenischen cordones industriales baten die linke Regierung um Salvador Allende, ihnen Waffen zu geben, um sich vor der Konterrevolution zu verteidigen, was ihnen verwehrt wurde. Das Ziel linker Regierungen ist es eben, Zugeständnisse an die Massen zu machen, damit sie sich nicht auflehnen und in ihren Organen der Selbstorganisation die Macht ergreifen. Diese Fakten zu ignorieren, führt zu einer vulgären Logik des “geringeren Übels”, laut der die Massen mit einem großzügigen Regierungsprogramm besser dastünden, während sie jedoch tatsächlich politisch entmachtet werden.

Marx21 lobt in ihrer Erklärung zu Wisslers Kandidatur den „klassenkämpferischen Kurs“ der bisherigen Parteivorsitzenden. An ihrem Kurs ist jedoch nichts klassenkämpferisch, sondern es geht ihnen um die Integration in eine kapitalistische Regierung, die die arbeitenden Massen bestenfalls als Druckpotenzial betrachtet, jedoch nicht als Subjekt der Emanzipation der Menschheit.

Nicht nur ist dies ein Betrug an den Massen; die Organisationen selbst, die solche Illusionen schüren, werden direkt in die Verwaltung kapitalistischer Regime eingebunden: Democracia Socialista über die PT in Brasilien, DEA über Syriza in Griechenland, die PSR über den Bloco de Esquerda in Portugal (sie tolerieren eine sozialdemokratische Minderheitsregierung) und die SAP über die Rot-Grüne Einheitslisten in Dänemark (ebenfalls Minderheitsregierung).

Wenn das die Perspektive von marx21 ist, ist das Netzwerk auf dem besten Weg dahin. Wenn nicht, muss das Netzwerk sofort mit dieser Perspektive abrechnen – oder es bleibt das linke Feigenblatt einer Partei, die sich auf die Regierung der zweitgrößten imperialistischen Macht der Welt vorbereitet.

Nur in einer Situation wäre eine Regierungsbeteiligung legitim: wenn sie Teil eines Plans für einen unmittelbar bevorstehenden revolutionären Aufstand darstellt. So war es bei den roten Arbeiter:innenregierungen im Jahr 1923 in Sachsen und Thüringen. Diese Regierungen hatten die Aufgabe, die Polizei aufzulösen und das Proletariat zu bewaffnen, um die sozialistische Revolution in Deutschland unmittelbar vorzubereiten. Das ist die einzige Regierungsbeteiligung, die für Revolutionär:innen in Frage kommt. Die Frage der Regierungsbeteiligung wird in diesem Sinne eine taktische Frage des politischen und militärischen Kräfteverhältnisses: es geht darum, wie die Unterdrückten den ganzen Kuchen bekommen können, und nicht, ob ihnen mehr oder weniger Krümel serviert werden.

Jedoch fallen diese Situationen nicht vom Himmel. Die Entwicklung der Räteorganisationen, deren Wichtigkeit auch marx21 verbal anerkennt, bedarf einer revolutionären Strömung in den Betrieben und Gewerkschaften und eine völlige Unabhängigkeit von den Bürokrat:innen, die diese in kampflose undemokratische Organe der Sozialpartnerschaft verwandeln. Beispielsweise muss aktuell gegen den Kurs der Gewerkschaftsbürokratie, im Falle von Massenentlassungen und Betriebsschließungen eine Transfergesellschaft zu verhandeln, daraufhin gearbeitet werden, dass diese Betriebe unter Arbeiter:innenkontrolle entschädigungslos enteignet werden. Gegen die Entlassungen müssen die Gewerkschaften ein Verbot durchsetzen, die Geschäftsbücher öffnen und Arbeitszeitverkürzung beim vollen Lohnausgleich fordern. Gegen die Profitlogik in der Gesundheitsversorgung müssen die Gewerkschaften gegen Outsourcing und DRG-System vorgehen.

Dafür braucht es einen Kampfplan, der sich auch in den aktuellen Mobilisierungen in der TVöD-Runde entwickeln kann: Die Arbeiter:innen sollten auf Versammlungen in Betrieben und Gewerkschaften die Entscheidungen über den Streik und über den Kampfplan selbst treffen. Die Mobilisierungen müssen die Fragen der Folgen der Pandemie aufgreifen: gegen Mieterhöhungen, gegen die Kurzarbeit und im Allgemeinen dagegen, dass die Arbeiter:innen die Krise der Kapitalist:innen zahlen müssen.

Damit die Funktionär:innen in den Gewerkschaften keine Privilegien haben und als Vermittlungsinstanz fungieren, sollten sie durchschnittliche Facharbeiter:innenlöhne erhalten und jederzeit abgewählt werden können.

All diese und weitere Aufgaben bleiben unerfüllt, wenn die Revolutionär:innen sich dafür nicht einsetzen, die Bürokratie aus den Gewerkschaften rauszuwerfen, damit die Arbeiter:innen ihre Kampforgane aktiv anwenden können. Dazu wollen wir dazu beitragen, eine eigenständige revolutionäre Partei im Sinne Luxemburgs und Lenins aufzubauen, die sich einer Strategie verschreibt, den kapitalistischen Staat mit Hilfe eines aufständischen Generalstreiks zu zerschlagen, anstatt ihn im Pakt mit der Bourgeoisie zu verwalten.

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