Lockdown könnte über 100.000 neue Arbeitslose bringen – aber muss er das?

29.10.2020, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Agentur für Arbeit in der Sonnenallee, von Schockwellenreiter.

Zuletzt sind die Arbeitslosenzahlen in Deutschland gesunken. Eine Entwarnung ist das jedoch nicht, denn die neuen Beschränkungen für Gastronomie und Kultur werden nicht ohne soziale Folgen bleiben. Dagegen braucht es endlich ein entschlossenes Notfallprogramm. 

Der Arbeitsmarkt stehe weiter unter Druck, zeige jedoch eine spürbare Besserung. So lautet das Urteil der Bundesagentur für Arbeit in ihrem Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt für den Oktober. Demnach sind derzeit 2,76 Millionen Menschen ohne Arbeit, die Arbeitslosenquote befindet sich damit bei sechs Prozent. Das ist über eine halbe Million mehr als vor einem Jahr. Die „spürbare Besserung“ besteht darin, dass die Zahl um 87.000 niedriger liegt als im September. Saisonbedingt liegt die Zahl der Arbeitslosen im Sommer üblicherweise zurück. In diesem Sommer kam hinzu, dass bundesweit die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zurückgefahren worden waren und z.B. in der Gastronomie und der Kulturbranche zumindest wieder ein sehr eingeschränkter Betrieb möglich gewesen war.

Für ein umfassenderes Bild ist jedoch daneben auch die sogenannte Unterbeschäftigung zu berücksichtigen. Darunter fallen Personen, die z.B. an Maßnahmen des Jobcenters teilnehmen müssen. Hier liegt die Zahl bei 3.552.000. Dazu kommt, dass die Krise junge Beschäftigte deutlich härter trifft. Bei den unter 25-jährigen stieg die Zahl der Arbeitslosen um 27 Prozent im Vergleich zum vergangenen Sommer. Städte wie Berlin und Bremen sind besonders betroffen. In Berlin ist die Quote doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt und stieg im Oktober bei den unter 20-jährigen sogar um weitere 20 Prozent an.

Weiterhin trägt der massive Einsatz von Kurzarbeit dazu bei, dass die Zahl der Arbeitslosen nicht noch viel höher liegt. Der letzte verfügbare Stand vom August beziffert die Zahl der Beschäftigten, die Kurzarbeitergeld beziehen auf 2.580.837. Sie behalten zwar ihre Arbeitsstellen, sind jedoch z. T. drastischen Einkommenseinbußen ausgesetzt. Kürzlich hatte der SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil die geltenden Regeln zum Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 verlängert – sicherlich auch, um größere soziale Verwerfung vor den Bundestagswahlen zu vermeiden.

Kurzum: Viele Millionen Menschen in Deutschland sind unmittelbar wirtschaftlich von den Folgen der Pandemie betroffen – und mit der sich weiter aufbauenden zweiten Welle werden es noch mehr werden.

Wie geht es weiter?

Angesichts rasant steigender Infektionszahlen haben die Bundes- und die Landesregierungen nun jedoch erneut eine Verschärfung der Beschränkungen verkündet, die am kommenden Montag bundesweit in Kraft treten werden. U.a. werden Gastronomische Betriebe wie Restaurants und Bars für den Publikumsverkehr geschlossen, der inländische Tourismus gestoppt und Kultur- und Sportveranstaltungen abgesagt. Die größten Teile der Wirtschaft sind davon nicht betroffen.

Der Süddeutschen Zeitung sagte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, dass diese Schließungen mehr als 100.000 Arbeitsplätze kosten könnten. Bereits vor Inkrafttreten des neuerlichen „Lockdown light“ bedeuteten die Einschränkungen wie etwa eine vorgezogene Sperrstunde in Kommunen mit hohen Inzidenzzahlen, dass Beschäftigten in der Gastronomie z.B. Schichten und damit Lohn wegfielen, ohne dass dies sofort in irgendeiner Statistik erfasst worden wäre.

Kann die Pandemiebekämpfung nur so erkauft werden?

Während nun wieder weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens eingeführt und von repressiven Maßnahmen begleitet werden, bleibt die Privatwirtschaft davon weitestgehend unberührt. Erklärtes Ziel der derzeitigen Politik ist es, wie auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, erkannt hat, die „wirtschaftliche Aktivität weitestgehend am Laufen zu halten.“ Für die effektive Eindämmung der Pandemie ist das fatal, schließlich kommen gerade im öffentlichen Nahverkehr, in Büros und in Werkshallen ständig größere Menschenmengen in Kontakt. Um die Pandemie effektiv einzudämmen, wäre es dringend notwendig nicht nur die Gastronomie und die Kulturbranche zu schließen, sondern vor allem auch diejenigen Betriebe, die keine essentiellen Güter produzieren, sofern die Produktion nicht umgestellt werden kann.

Ein solcher „Lockdown“ der Wirtschaft könnte tatsächlich Leben retten – und gleichzeitig gewährleisten, dass die Ausbreitung des Virus soweit eingedämmt wird, dass eine individuelle Kontaktnachverfolgung wieder möglich wird und damit das öffentliche und kulturelle Leben weitergehen kann.

Gleichermaßen müssen solche Maßnahmen nicht wie derzeit zulasten der arbeitenden Bevölkerung gehen. Gegen die steigenden Arbeitslosenzahlen hilft nur ein sofortiges Entlassungsverbot, das verhindert, dass die Unternehmen die Arbeiter:innen ihre wirtschaftlichen Einbußen tragen lassen. Stattdessen könnte eine drastische Steuer auf große Vermögen die Lohnausfälle der Beschäftigten in temporär geschlossenen Betrieben ausgleichen.

Eine Kritik der Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Pandemie ist nicht nur von rechts möglich. Denn in ihrem Wunsch, die Interessen der deutschen Wirtschaft zu schützen, verfolgt sie eine Politik, die auf Kosten der arbeitenden Mehrheit geht und dabei noch nicht einmal dazu in der Lage ist, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Eine Politik, die gleichzeitig die sozialen Interessen der Massen schützt und gleichzeitig die Pandemie besiegt, ist möglich – doch geschenkt wird sie uns nicht.

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