„Könnt ihr euch noch mal küssen?“ – Meine Sexualität ist nicht zu deiner Unterhaltung da

07.06.2017, Lesezeit 4 Min.
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Gesellschaftlich wirkt es schnell so, als würden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen leichter akzeptiert als zwischen Männern, schließlich finden viele (vor allem) hetero Männer Lesben-Pornos ja auch super sexy, während schwule Männer als eklig gelten. Doch die Wirklichkeit für lesbische, bi- und pansexuelle Frauen sieht anders aus.

LGBTI*s gab es schon vor der Bezeichnung LGBTI*. In der Zeit bevor Frauen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten und als sie noch „Eigentum“ von Vater und Ehemann waren, gab es lesbische Frauen beziehungsweise Frauen, die keine heterosexuelle Beziehungen eingehen wollten. Für schwule Männer war es materiell möglich, alleine zu leben, da sie arbeiten gehen konnten. Eine lesbische Frau galt jedoch ein Feindbild zur Frau als Mutter.

Im Mittelalter wurden Frauen, die alleine lebten, als Hexen aus der Gesellschaft ausgestoßen und ermordet. Während bis weit ins 20. Jahrhundert Gesetze homosexuelle Männer („Sodomie„) bestraften, wurde Frauen überhaupt die Möglichkeit eigenständiger Sexualität abgesprochen. Im Modell der bürgerlichen Kleinfamilie ist vorgesehen, dass sie einen Mann heiratet, ihm Kinder gebärt und er arbeiten geht.

Weder Phase noch Fake

Heute ist es in Deutschland für viele von uns – nach vielen Kämpfen – leichter, unsere Sexualität auszuleben. Als Frau darf ich arbeiten gehen, auch wenn der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen zu den höchsten in Europa gehört. Dennoch müssen Frauen über 30 sich ständig rechtfertigen, wenn sie keine Kinder haben (oder haben wollen), da zur Identität Frau auch die Identität Mutter dazu gehört.

Gerade junge Frauen, die nicht heterosexuell sind, werden konfrontiert mit Sätzen wie: „Könnt ihr euch noch mal küssen?“ oder auch: „Du musst einfach mal von einem echten Mann gefickt werden.“ Der Grund ist, dass weibliche Sexualität, wenn sie nicht die heteronormativen Erwartungen erfüllt, als Phase oder als „fake“ angesehen wird. Lesbische Beziehungen werden sexualisiert und als Unterhaltung für hetero Männer angesehen.

Die Ideologie der Kleinfamilie als Standardmodell

Wenn Frauen nicht in heterosexuellen, monogamen Beziehungen leben, gerät das Konzept der bürgerlichen Familie als Reproduktionsort ins Wanken. Frauen, die ihre Erfüllung nicht im Kinder kriegen, pflegen und erziehen sehen, und die Möglichkeit haben, sich gegen diesen Lebensentwurf zu entscheiden, werden keine künftigen Arbeiter*innen unbezahlt großziehen. Wenn Familien in anderen Konstellationen organisiert werden und eine Kollektivierung von Reproduktionsarbeit angestrebt wird, stellen sich mehr Menschen die Frage, welchen Zweck denn eine heterosexuelle Kleinfamilie hat.

Der deutsche Staat hat bereits die ersten Reaktionen darauf gefunden: Homosexuelle Familien sind in Ordnung, solange sie möglichst nahe an dem Idealbild der heterosexuellen Familie liegen. Solange Menschen die Vorstellungen von der bürgerlichen Kleinfamilie nicht in Frage stellen, sondern sich in den unterdrückenden Formen einfinden, wird das Ende der bürgerlichen Kleinfamilie nicht realistischer als wenn es nur hetero Kleinfamilien geben würde.

Wenn Menschen für sich beschließen, in einer monogamen heterosexuellen Beziehung leben wollen, sollen sie das gerne tun. Wir wollen aber auch leben, wie es uns glücklich macht. Deshalb streben wir eine Welt an, in der die bürgerliche Kleinfamilie nicht die einzige akzeptierte Form des Zusammenlebens darstellt und von diesem Modell kein materieller Zwang mehr ausgeht. Wenn Reproduktionsarbeiten wie Hausarbeit vergemeinschaftet werden und Kinder die Möglichkeit haben, mit anderen Bezugspersonen als „Mutter“ und „Vater“ aufwachsen und es vor allem für Frauen eine wirklich existente Option ist, ohne Kinder und Mann zu leben ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, wird sich das gesellschaftliche, romantische und sexuelle Zusammenleben auf so vielfältige Arten entwickeln, die wir uns wahrscheinlich noch gar nicht vorstellen können.

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