„Kinderlos, reich und konstant gesund“

04.02.2023, Lesezeit 6 Min.
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Quelle: Kitreel / shutterstock.com

Über dreißig Abgaben in einem Semester, Burnout, Paternalismus. Eine Lehramtsstudentin im Interview.

Aimée1 studiert Französisch und Englisch auf Lehramt an der Humboldt-Universität. Wir haben sie interviewt.

Du machst einen Master of Education. Wie nimmst du dein eigenes Studium wahr?

Erst einmal sei gesagt, dass viele ja schon im Vorhinein abgelehnt werden. Aber das Lehramtsstudium selbst entmutigt dann auch so sehr, dass viele auf ihren Bachelor keinen Master draufsetzen.

Man hört ja oft, dass die Praxisanteile in eurem Studium nicht ausreichen, um sich adäquat auf den Berufsalltag vorzubereiten.

Ja, das stimmt auch. Gerade im Bachelor studiert man relativ viele unnötige Inhalte. In Französisch und Englisch guckt man sich zum Beispiel höhere Literatur- oder Sprachwissenschaft an. Da realisiert man dann relativ schnell, dass man das, was man in drei Jahren Bachelor lernt, eigentlich nicht wirklich anwenden können wird. Und auch in der Fachdidaktik wird vieles oft nur theoretisch behandelt. Praktischere Elemente gibt es kaum, sodass vielen Student:innen die Umsetzung schwerfällt.

Hat man denn kein Praktikum?

Im Rahmen des Bachelorstudiums ist nur ein verkürztes Praktikum vorgesehen, in dem viele schlecht oder sogar überhaupt nicht betreut werden. Die dafür zuständigen Lehrer:innen haben oft keine Zeit und Energie, die angehenden Lehrkräfte auszubilden – sie sind einfach überlastet. Ich persönlich hatte es deshalb auch sehr schwer, überhaupt einen Praktikumsplatz zu finden.

Und wie war das dann für dich im Praktikum?

Ich würde sagen, dass ich da realisiert habe, dass man während des Lehramtsstudiums einfach in einer Bubble ist – ganz weit entfernt von der Realität der Schüler:innen und ihren Bedürfnissen. Es wird an der Uni ja gar nicht darüber gesprochen, dass Schulen de facto auseinanderfallen, Material selber beschafft werden muss, es in Klassenräumen teilweise nicht einmal WLAN oder funkionierende Beamer gibt und man mit so veralteten Geräten arbeiten muss.

Jetzt bist du ja im Master, ist es da besser?

Nein. Im Master werden sehr viele Inhalte in verhältnismäßig wenig Zeit gequetscht. Dann kommen noch viele Abgaben dazu. Ich studiere zwei Sprachen und habe dieses Semester über dreißig Abgaben und muss mehrere Vorträge halten. Die Anforderungen sind einfach unverhältnismäßig hoch. Wenn man nicht nur das Mindeste machen möchte, sondern auch noch Ansprüche an sich selbst und den Luxus hat, nebenher nicht arbeiten zu müssen, ist das einfach sehr viel Arbeit.

Und was ist mit denen, die nicht so viel Glück haben?

Wer nebenbei arbeiten oder Kinder betreuen muss, hat es schon schwer. Und vor allem im Master arbeiten fast alle und viele sind Eltern. Dafür gibt es sehr wenig Verständnis.
Beispielsweise hat uns in einem Inklusionskurs letztens eine Dozentin eine Aufgabe gegeben, die wir fünf Tage später abgeben sollten. Wir haben sie dann darauf hingewiesen, dass die meisten von uns arbeiten. Dass wir uns also unter der Woche nicht treffen können, woraufhin sie meinte, wir sollten gucken, wie wir das trotzdem hinkriegen.

Das ist aber ganz schön dreist von eurer Dozentin.

Ja, vor allem war das während einer dieser Krankheitswellen. Deswegen waren in der Woche danach weniger von uns als sonst im Seminar. Daraufhin haben wir eine E-Mail von ihr erhalten, in der sie schreibt: „Schade, dass so viele von Ihnen Ihren Unmut über die kurze Bearbeitungszeit durch Wegbleiben vom Seminar ausgedrückt haben.“ Ich finde es unglaublich anmaßend, so etwas zu sagen, ohne zu wissen, was die Leute für sozioökonomische Umstände haben. Gerade von jemandem, der sich Inklusionspädagogin nennt – aber auch sonst.

Du hast mir ja im Vorhinein erzählt, dass sie sich bei euch dafür entschuldigt hat, sobald ihr klar geworden ist, dass das mitten in der Erkältungssaison war.

Aber damit hat sie sich ja nur bei einem Teil von uns entschuldigt. Einige hatten ihr nämlich geantwortet, dass sie arbeiten müssen und viele andere, dass sie aufgrund von Krankheit nicht zum Seminar kommen konnten, ja. Aber die Leute sind ja nicht nur körperlich krank. Ich hab‘ unglaublich viele in meinem Umfeld, die am Burnout kratzen, also extrem überlastet sind. Dabei sollte das Studium eine schöne und lehrreiche Zeit sein. Es ist natürlich auch nicht besonders hilfreich, wenn dann auch in anderen Kursen Dozierende die Augen verdrehen, seufzen oder den Kopf schütteln. Es ist einfach ein sehr ungewöhnlicher Umgang.

Sowas kommt also öfters vor?

Ja. Bei einer Informationsveranstaltung zum Praxissemester Anfang Januar war der Ton, in dem mit uns gesprochen wurde, auch mal wieder genervt. Da ist irgendwie eh schon mitgeschwungen, dass wir dumm sind und gar nichts verstehen. Aber dann hat die gleiche Dozentin uns empfohlen, im Praxissemester nicht schwanger zu werden. Man kann den Leuten im Jahr 2023 doch nicht vorschreiben, wie sie ihr Leben zu planen und mit ihrem Körper umzugehen haben. Schlimm war auch, dass sie gesagt hat, man könne im Praxissemester nicht arbeiten, was natürlich „bitter“ sei.

Aber wovon soll man denn ihrer Meinung nach leben im Praxissemester?

Gute Frage, die haben wir auch gestellt. Sie hat dann geantwortet, dass wir jetzt schon Geld beiseite legen können, weil die Lebenskosten ja nicht so hoch wären. Angesichts der aktuellen Mietpreise ist das echt absolut lachhaft – insbesondere wenn das Lehramtsstudium zum Beispiel das eigene Zweitstudium ist, wenn man also kein Kindergeld mehr bekommt, nicht mehr in der Familienversicherung ist, und so weiter.

Was denkst du, warum die Situation von Lehramtsstudent:innen von ihren eigenen Dozierenden so falsch eingeschätzt wird?

Ich denke, dass von sich auf andere geschlossen wird. Diese Person hat zwar selber mal studiert, aber offensichtlicherweise mit dem Luxus, von den Eltern oder einem Stipendium durchs Studium gebracht worden zu sein. Aber ein Stipendium haben beispielsweise nur ein Prozent der Studierenden in Deutschland. Deshalb war ihre Aussage einfach sehr frech. Ich meine, man hätte das ganze Meeting zusammenfassen können mit der Erkenntnis, dass man am besten im Praxissemester und im Studium generell kinderlos, reich und konstant gesund ist.

Warum studierst du trotzdem weiter?

Ich studiere aus Überzeugung und mit absolutem Herzblut Lehramt. Ich möchte etwas bewegen und Kindern eine gute Zukunft ermöglichen. Früher war Lehramt mehr eine Berufung als ein Beruf, aber heutzutage ist es mit der Lage in den Schulen und unter den Studienbedingungen mehr als das.

Fußnoten
1. Name von der Redaktion geändert

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