Kein Impfstoff, keine Bezahlung, volles Risiko

09.03.2021, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Die zweite Corona-Welle hat die Krankenhausbeschäftigen noch härter getroffen als die erste. Erfahrungsbericht einer Pflegepraktikantin.

1
Foto: Wirestock Creators / Shutterstock

Durch die erste Coronawelle im März 2020 wuchs – zurecht – die Anerkennung gegenüber dem Pflegepersonal. Als Pflegepraktikantin, die während der zweiten, viel heftigeren Welle Vollzeit im Krankenhaus arbeitet, möchte ich auf die Veränderungen des Arbeitsumfeldes Krankenhaus eingehen sowie die möglichen Auswirkungen der neu gewonnenen gesellschaftlichen Anerkennung diskutieren.

Sichtbarkeit – doch für wen?

Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Klatschkonzerte ist, dass das Pflegepersonal überhaupt wahrgenommen wird. Krankenschwestern, die viele nur mit einem sexy Karnevalskostüm in Verbindung bringen, werden nun als die hart arbeitenden Frauen gesehen, die sie sind. Gleiches gilt für Krankenpfleger.

Leider werden die Altenpfleger:innen bei diesem Thema nicht wirklich bedacht, obwohl die Ausbrüche in den Pflegeheimen wohl beweisen, dass auch sie sich täglich einem hohen Infektionsrisiko aussetzen müssen. Außerdem arbeiten viele Altenpfleger:innen auf 450-Euro-Basis und werden auch im Krankenhaus eingesetzt, insbesondere als Zuarbeiter:innen in den Nachtschichten.

Wer in der Debatte jedoch völlig übergangen wird, sind die Azubis, Praktikant:innen, Pflegehelfer:innen, FSJler:innen sowie das Servicepersonal. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele Stationen ohne die Hilfe der genannten Gruppen völlig untergehen würden. Belohnt werden diese dann mit weniger (oder keiner) Bezahlung, kaum gesellschaftlicher Anerkennung und vorerst keiner Impfung.

Impfung ja – doch für wen?

Seit Januar wird in meinem Haus geimpft. Ich arbeite auf einer Station, die neben den normalen Zimmern auch zwei „Corona-Zimmer“ hat, da die Kapazitäten der eigentlichen Pandemie-Station erschöpft waren.

Es gibt Vorsichtsmaßnahmen für die nicht festangestellten Mitarbeiter:innen, so dürfen wir die beiden „Corona-Zimmer“ nicht betreten. Jedoch werden wir weiterhin in Bereichen eingesetzt, in denen Patient:innen mit Corona-Verdacht liegen und müssen uns gezwungenermaßen auch mit den Corona-positiven Patient:innen auseinandersetzen, die aufgrund von Demenz oder allgemeiner Desorientiertheit ihre Zimmer verlassen.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Gefahr kaum von den identifizierten Corona-Patient:innen ausgeht, sondern von den unentdeckten Fällen, denen wir nicht mit den notwendigen Hygiene- und Schutzmaßnahmen begegnen können. Durch solche unentdeckten Fälle hatte ich in den letzten fünf Monaten sehr häufig erstgeradigen Kontakt zu Betroffenen.

All dies führt dazu, dass das Infektionsrisiko für uns fast genau so hoch ist wie für die Festangestellten. Und trotzdem wurde ich nicht gemeinsam mit meiner Station bzw. den dort festangestellten Kolleg:innen geimpft. Azubis, Praktikant:innen und FSJler:innen werden – wenn überhaupt – erst geimpft, wenn alle anderen bereits ihre Spritze bekommen haben. Und so werden wir abermals wie Mitarbeiter:innen zweiter Klasse behandelt, während wir gleichzeitig wie eine examinierte Pflegekraft eingesetzt werden.

Die größte Frechheit ist jedoch der Umgang mit dem Servicepersonal. Diese hart arbeitenden Menschen, ohne die das System Krankenhaus kollabieren würde, bekommen nämlich erst ab jetzt ihre Impfung. Warum? Weil sie nicht im Haus, sondern bei einer Leasing-Firma angestellt sind. Und weder die Krankenhäuser, noch die Leasing-Firmen wollen die Verantwortung übernehmen.

Die Servicekraft, die auf meiner Station für die Küche verantwortlich ist, hat mehr Patient:innenkontakt als die meisten Ärzt:innen, wird in der Corona- bzw. Impf-Debatte jedoch völlig übergangen. Sogar die Masken musste sie bis vor wenigen Wochen noch aus eigener Tasche bezahlen, da für sie nur die OP-Masken und keine FFP2-Masken vorgesehen waren. Als ob die schlechte Bezahlung und das Arbeiten auf der untersten Stufe der Hierarche im Krankenhaus nicht ausreichen würde, wird das Servicepersonal mitten in dieser Pandemie auch noch mit unzureichenden Hygienemaßnahmen bestraft.

Und immer wieder Profit über Menschenleben…

Während der ersten Corona-Welle wurden die Krankenhäuser stark runtergefahren. Die Stationen nahmen nur wirklich akute Fälle auf und Praktikant:innen, FSJler:innen und Azubis wurden nach Hause geschickt. Dass diese effektive Strategie in der zweiten Welle nicht angewandt wurde, hat den einfachen Grund, dass leere Betten ein finanzielles Minus für das Krankenhaus darstellen. Grade für kleine Häuser, wie das, in dem ich momentan arbeite, könnte das eine Schließung nach der Pandemie bedeuten.

Und so bleiben die Stationen voll mit Menschen, die zum Teil keine akuten Behandlungen brauchen und Azubis, Praktikant:innen und FSJler:innen werden mehr gebraucht, denn je. Hierbei wird auch völlig übergangen, dass jede zusätzliche Pflegekraft auch eine weitere Person ist, die das Virus von außen hereintragen könnte. Es kann und darf sowieso nicht sein, dass nicht-examiniertes Pflegepersonal, das eigentlich zum Lernen im Krankenhaus ist, als volle Pflegekraft gebraucht und eingesetzt wird. Noch weniger darf dies zu Zeiten einer Pandemie sein.

Doch die Strategie der ersten Welle ist auch bei weitem nicht ideal. Wer entscheidet, was akuter Behandlung bedarf und was aufgeschoben werden kann? Ab wann ist jemand „krank genug“ um ins Krankenhaus zu „dürfen“? Solche Abwägungen können nur subjektive Einschätzungen sein, die von überforderten Einzelpersonen getroffen werden.

So weit sollte es gar nicht kommen. Die Zero-Covid-Strategie könnte eine gute Alternative zu überfüllten Intensivstationen oder der radikalen Aussortierung von Kranken darstellen. Um das Gesundheitssystem weiterhin aufrecht zu erhalten und die Situation für die dort Beschäftigten zu verbessern braucht es – grade mit der sich anbahnenden dritten Welle durch die Mutationen – einen richtigen Lockdown, der die Zahlen so nah an die Null heranführt, wie möglich.

Mehr zum Thema