Kein Elfenbeinturm, sondern eine Uni der sozialen Kämpfe

27.06.2023, Lesezeit 7 Min.
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Ein Beispiel an Frankreich nehmen: Vollversammlung in Toulouse im März diesen Jahres gegen die Anhebung des Rentenalters. Bild: Le Poing Levé Toulouse

Wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten ist nicht frei und zudem prekär. Studierende und Beschäftigte müssen gemeinsam für eine Universität unter ihrer Kontrolle kämpfen.

Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an den Unis und Hochschulen sind häufig mit der Vorstellung konfrontiert, dass es ein großes Privileg sei, an einer Hochschule arbeiten zu dürfen. Viele Menschen, auch Studierende, glauben, dass diese Arbeit mit intellektueller Selbstverwirklichung, akademischer Autonomie und der Möglichkeit verbunden ist, völlig frei auf einem Gebiet zu forschen, das einem persönlich am Herzen liegt. Die Tatsache, dass es nur wenigen gelingt, eine Stelle an einer Hochschule zu bekommen, verstärkt das hartnäckige Bild des Elfenbeinturms.

Und es stimmt: Die Arbeit an der Universität macht Spaß und kann erfüllend sein. Der Austausch mit Studierenden ist oft sehr bereichernd und die Möglichkeit, sich intensiv mit theoretischen und empirischen Fragestellungen zu beschäftigen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und zu vermitteln, ist eine tolle Sache. Spätestens seit #ichbinhanna sollte aber auch klar sein, dass an den Universitäten nicht alles Gold ist, was glänzt.

Prekäre Arbeitsbedingungen – schlechte Lehre

Doktorand:innen und Postdocs haben oft eine extrem hohe Arbeitsbelastung und machen viele Überstunden. Denn neben eigenen Forschungsprojekten, Publikationen und Vorträgen müssen sie für ihre Vorgesetzten Gelder einwerben, indem sie zum Beispiel an Anträgen mitschreiben, Seminare leiten und Abschlussarbeiten betreuen. Aufgrund ihrer befristeten Anstellung und der daraus resultierenden Konkurrenz stehen sie unter ständigem Druck, in kurzer Zeit möglichst viel zu leisten. Die prekären Arbeitsbedingungen von Doktorand:innen und Postdocs haben Auswirkungen auf die Lehre und die Betreuung der Studierenden. Die begrenzten zeitlichen Ressourcen erschweren es, den Studierenden die volle Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen zu lassen und der Lehre und Betreuung die notwendige Sorgfalt zu widmen.

Die Einführung des neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das diese Bedingungen noch verschärfen wird, hat zu öffentlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen geführt. Insbesondere die Verkürzung der maximalen Befristungsdauer für Postdocs von sechs auf zunächst vorgeschlagene drei und nun vier Jahre und die Notwendigkeit einer Aussicht auf eine unbefristete Stelle nach vier Jahren hat auch unter Professor:innen für Aufregung gesorgt. Eine Weiterqualifikation für eine Professur in dieser kurzen Zeit ist schlicht nicht möglich, wenn nebenher auch noch die Lehre und Betreuung von Studierenden laufen soll. Auch wird die Reform keinesfalls eine „klare Perspektive“ schaffen, denn die Schaffung von mehr Dauerstellen ist nicht in Sicht.

Trotz aller Probleme ist die gewerkschaftliche Perspektive an den Hochschulen weitgehend ausgeklammert, der Organisierungsgrad unter den wissenschaftlich Beschäftigten entsprechend gering. Dies hängt zum einen mit dem Individualismus zusammen, der durch die an den Universitäten geförderte isolierte und karriereorientierte Arbeit bedingt ist. Ständige Umzüge und Wechsel zwischen den Universitäten tragen ebenfalls dazu bei. Hinzu kommt, dass viele Beschäftigte im Mittelbau (alle wissenschaftlichen Beschäftigten unterhalb der Lebenszeitprofessur) Angst haben, dass politisches und gewerkschaftliches Engagement ihrer akademischen Karriere im Wege steht, denn es besteht eine starke Abhängigkeit von den vorgesetzten Professor:innen. Das Vertrauen in die Gewerkschaften wird aber auch dadurch geschwächt, dass die gewerkschaftliche Strategie an den Hochschulen nicht auf die Organisation von Streiks an den Hochschulen ausgerichtet ist, sondern sich auf Appelle an die Politik in Form von Petitionen und Manifesten beschränkt, die keine Konsequenzen haben.

Finanzierungsdruck, Forschungsfreiheit, Verfassungstreue

Im Kapitalismus hat die Universität die Aufgabe übernommen, die zukünftigen Eliten der herrschenden Klasse hervorzubringen. Dies geschieht einerseits durch die bevorzugte Förderung bestimmter Forschungsrichtungen, wie z.B. die Entwicklung profit-versprechender technologischer Innovationen und andererseits durch die Sicherung und Weiterentwicklung der bürgerlichen Ideologie. Durch die immer schlechter werdende Grundfinanzierung der Forschung stehen Wissenschaftler:innen unter enormem Druck, Drittmittel einzuwerben, um die eigene Stelle zu sichern sowie Forschungsvorhaben finanziert zu bekommen. Institutionen und Stiftungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geraten dadurch zunehmend in die Position, Forschungsinhalte indirekt zu steuern. Zudem sind die Vergabeverfahren oft intransparent, langwierig und teilweise von „guten Beziehungen“ innerhalb des Hochschulsystems abhängig. Auch private Unternehmen stecken viel Geld in die Hochschulen und vergeben Forschungs- und Entwicklungsaufträge in ihrem Interesse, was die Ausrichtung von Forschung unmittelbar beeinflusst. Nebenbei wird Rüstungsforschung an den Universitäten betrieben, an der LMU München finanziert durch das US-Verteidigungsministerium.

Wissenschaftler:innen, die explizit nicht im Interesse des Kapitals forschen und lehren wollen und sich zum Ziel gesetzt haben, einen ideologischen Kampf gegen die bürgerliche Hegemonie zu führen, sind nur noch eine Seltenheit. In dem lesenswerten Artikel „Die Universität als Bastion im Klassenkampf“ zeichnen Andrés Garcés und Stefan Schneider nach, wie der Marxismus mehr und mehr aus den Universitäten verbannt wurde. So lässt sich feststellen, dass im Zuge des cultural turn marxistische und herrschaftskritische Ideen vor allem in den Sozialwissenschaften in den Hintergrund gedrängt wurden. Unterstützt wird dieser Mechanismus an bayerischen Unis durch die sogenannte Verfassungstreueprüfung. Bis heute wirkt hier der Radikalenerlass von 1972 nach. Dieser zog zahlreiche Berufsverbote von Beschäftigten im öffentlichen Dienst nach sich und richtete sich insbesondere gegen links. Durch die Verfassungstreueprüfung wird die Möglichkeit zu einem solchen Berufsverbot weiterhin aufrechterhalten.

Welche Uni für welche Gesellschaft?

Den Tendenzen der Kommerzialisierung und der Anpassung an bürgerliche Ideologien an den Universitäten muss aus marxistischer Perspektive entgegengewirkt werden. Um die Universität wieder zu einem Ort des Kampfes für die Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu machen, muss sich der Mittelbau mit anderen Gruppen zusammenschließen. Die gewerkschaftliche Organisierung ist dabei von großer Bedeutung, aber immer im Zusammenhang mit einer politischen Vision, wie die Universität als Ganzes umgestaltet werden kann, um materielle und moralische Ressourcen zu bündeln und aktiv in den Klassenkampf einzugreifen. Es lohnt ein Blick über die Grenze: In Frankreich sind Studierende, Schüler:innen und Beschäftigte mit gutem Beispiel vorangegangen. Mit der Blockade von 80 Universitäten und Schulen haben sie gegen die Rentenreform protestiert und sich gegen die staatliche Repression zur Wehr gesetzt.

Ein erster Schritt in Deutschland ist die kommende Tarifrunde der Länder (TVL) und die laufende TV-Stud-Kampagne: Studierende und wissenschaftliche Beschäftigte haben gleichermaßen ein Interesse daran, dass an der Lehre nicht gespart wird. Die kommende Tarifrunde bietet die Chance, gemeinsam mit Studierenden und Beschäftigten aus Technik und Verwaltung auf die Straße zu gehen und für bessere Arbeits- und Studienbedingungen an den Hochschulen zu kämpfen. Auch die TV-Stud-Kampagnen werden im kommenden Herbst auf Hochtouren laufen. Studentische Beschäftigte nehmen ihre Arbeitsbedingungen hier selbst in die Hand und setzen sich für einen Tarifvertrag ein. Darüber hinaus sind Initiativen unterstützenswert, die die Frage aufwerfen, welche Hochschulen wir brauchen, um soziale Kämpfe zu unterstützen und zu Orten im Interesse der Arbeiter:innenklasse zu machen. Die marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik von Klasse Gegen Klasse stellt genau diese Fragen, wie in ihrem Manifest nachzulesen ist und kandidiert am Institut für Soziologie bei den Fachschaftswahlen.

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