Julian ist scheinbar ein Lügner – aber der rechte Straßenterror ist echt! (Update)

13.01.2016, Lesezeit 3 Min.
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"Schwule Kommunistensau" riefen drei Neonazis, als sie ein junges Mitglied der Linkspartei mit einem Messer angegriffen haben. Von überall kommt Solidarität. Eine Woche später steht die Frage im Raum: Hat Julian diese Geschichte erfunden?

Letzten Montag erlebten viele Menschen einen Schock: Julian Kinzel, ein 18-jähriges Mitglied der Linkspartei, wurde in Wismar von drei Neonazis angegriffen. 17 Mal stachen sie auf den Nachwuchspoltiiker ein. „Schwule Kommunistensau!“ riefen sie dabei. Von allen Seiten kamen Solidaritätserklärungen. Denn es handelte sich um ein weiteres Beispiel des tagtäglichen rechten Terrors in Deutschland, der hauptsächlich gegen Geflüchtete, aber eben auch gegen Linke gerichtet ist. Sogar aus Strömungen in der Linkspartei wurde die Forderung nach antifaschistischem Selbstschutz laut.

Und nun? Kinzel ist wahrscheinlich ein Lügner. Wie die Polizei am Montag mitteilte, sei „die Art der Verletzungen nicht mit dem behaupteten Verlauf des Überfalles in Übereinstimmung zu bringen“. Anders ausgedrückt: Von den 17 Messerstichen sei kaum etwas zu finden gewesen. Stattdessen gäbe es nur leichte Wunden, die sich Kinzel wahrscheinlich selbst beigefügt habe.

Das wäre ein riesiger Skandal. Wenn die Anschuldigungen stimmen: Dann ist Julian ein Verbrecher. Nicht wegen des „Vortäuschen einer Straftat“, wogegen nun ermittelt wird. Sondern weil im Fall Julian für alle linken Menschen klar war: „Gemeint sind wir alle!“ In den USA gibt es hierfür den Begriff „Hate Crime“: Wenn ein Mensch aus einer unterdrückten oder verfolgten Gruppe angegriffen wird, soll der Angriff die ganze Gruppe einschüchtern. Wenn sich die Anschuldigungen nun aber bewahrheiten, wird es nun noch schwieriger werden, dass Opfer rechter Gewalt Hilfe bekommen. Durch Julians mögliche Lüge können die Behörden noch leichter wegschauen: „Vielleicht wurde der Brandanschlag von den Geflüchteten selbst gefälscht?“

Doch der rechte Terror ist echt. In Köln machten am Sonntag Abend Nazis Jagd auf Migrant*innen. Schon am Tag davor kam es zu Ausschreitungen der Kölner Pegida. In Leipzig zog am Montag ein Mob aus 250 Nazis randalierend durch den linken Stadtteil Connewitz. Die Angriffe verdeutlichen die Notwendigkeit einer kollektiven Selbstverteidigung der Linken, Arbeiter*innen und Migrant*innen.

UPDATE VOM AUTOR am 13. Januar um 20 Uhr:

In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels habe ich über Kinzels Motive für seine Tat spekuliert. Das war völlig daneben. Ich möchte mich bei allen Leser*innen dafür entschuldigen.

Wir haben nicht genug Infos über den Fall. Es ist nicht auszuschließen, dass die Polizei selbst lügt – vielleicht täuscht sie selbst das „Vortäuschen einer Straftat“ vor. Oft genug versucht die Polizei in Deutschland, rechte Gewalt mit Falschmeldungen zu verharmlosen.

Hier wäre die Linkspartei am Zug. Es ist falsch, die Aufklärung dieses Falls der Staatsanwaltschaft zu überlassen, wie die Linkspartei auf ihrer Facebook-Seite gefordert hat. Die Arbeiter*innenbewegung muss die Aufklärung und den Kampf gegen rechte Gewalt insgesamt in die eigenen Hände nehmen.

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