Jugend, Depression und Pandemie

01.10.2020, Lesezeit 10 Min.
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Bis zu 50 Prozent der jungen Menschen leiden möglicherweise an Angststörungen oder Depressionen. Unsere Schwesterseite IzquierdaDiario.es hat mit Studierenden im Spanischen Staat gesprochen, um sie zu fragen, wie sie sich der Zukunft stellen und wie sie sich das kommende Studienjahr vorstellen.

Das Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft, der drastische Einkommensrückgang, die Zunahme der Arbeitslosigkeit und die schlechte Leistung der Bildungseinrichtungen und Regierungen sind Schlüsselfaktoren dafür, dass etwa 50% der jungen Menschen auf dem Planeten möglicherweise an Angststörungen oder Depressionen leiden.

Die wirtschaftliche Unsicherheit, die in der Jugend seit der Krise von vor einem Jahrzehnt weit verbreitet ist, wird durch die Pandemie allmählich konsolidiert und verschärft. Das Gefühl der Zukunftsunsicherheit, der drastische Einkommensrückgang, der Anstieg der Arbeitslosigkeit und das mangelhafte Handeln der Bildungseinrichtungen und Regierungen zeichnen eine desolate Zukunft für die Jugend des Spanischen Staates vor, die mehr denn je spürt, dass das derzeitige Wirtschaftssystem nur Elend zu bieten hat.

In einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) heißt es, dass fast 50 Prozent der jungen Menschen auf der Welt an Angststörungen oder Depressionen leiden, und wahrscheinlich zudem weitere 17 Prozent. 67 Prozent der Jugend würden somit negativ auf Aussagen wie „Ich blicke optimistisch in die Zukunft“, „Ich habe die Probleme gut bewältigt“, „Ich habe klar denken können“ oder „Ich kann Entscheidungen über Dinge treffen“ antworten.

Darüber hinaus weist der Bericht darauf hin, dass familiärer Stress, soziale Isolation, das Risiko Gewalt zu erleiden, abgebrochene Ausbildungen und eine ungewisse Zukunft einige Ursachen für den Schwund der psychischen Gesundheit junger Menschen sind; eine Jugend, deren weltweit zweithäufigste Todesursache der Selbstmord ist (bei den 15 bis 29-Jährigen).

Wir haben mit einigen Studierenden gesprochen, die an Angststörungen, Depressionen und weiteren mit dem psychischen Wohlbefinden zusammenhängenden Affekten leiden, um sie zu fragen, wie sie sich der Zukunft stellen und wie sie sich das kommende Studienjahr vorstellen. Sie alle sind sich einig über das Gefühl der Unsicherheit und die mangelnde Kommunikation mit Hochschulen und Universitäten, die in diesem Jahr, das für viele das komplizierteste ihres Lebens ist, anscheinend mehr Hindernisse in den Weg legen.

Vicente war Doktorand. Er war es, bis er vor einigen Wochen entdeckte, dass ihm zum dritten Mal ein Forschungsstipendium verweigert worden war, sodass er seine Forschung nicht fortsetzen konnte, wenn er die Miete bezahlen wollte. Er stellt fest, dass „als Doktorand die Anfänge der Pandemie sowohl enorme Kopfschmerzen als auch einen Segen“ darstellten.

Kopfschmerzen, weil die Universität Complutense Madrid (UCM) einige Dienste aufrecht erhielt, während sie andere willkürlich einstellte. „Der Segen bestand darin, dass man das Doktorand:innenprogramm nicht fortsetzen und somit genug arbeiten konnte, um sich keine Sorgen machen zu müssen, während des Lockdowns über die Runden zu kommen“, sagt Vicente. Vicentes Fall ist Teil jener 21 Prozent der jungen Menschen, die laut IAO das Gefühl haben, dass ihr Recht auf Wohnung durch die wachsenden Schwierigkeiten bei der Bezahlung untergraben wird.

Der Studienabbruch, zu dem Vicente gezwungen wurde, ist eine der häufigsten Folgen dieser Krise. Die Pandemie hat nach Angaben der IAO dazu geführt, dass jede:r achte Hochschulstudent:in keinen Zugang zu Kursen oder zur Ausbildung selbst hat. Neun Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Ausbildung wahrscheinlich scheitern wird. Auch die Master-Studentin Cecilia hätte beinahe das Studium abbrechen müssen.

Sie erzählt, dass „mein Master-Praktikum am Tag nach der Immatrikulation gestrichen wurde; wir mussten also die gesamte Einschreibung ändern und mehr Fächer belegen. Ich dachte daran, für ein bezahltes Praktikum zu kämpfen, das es mir ermöglicht hätte, meine Miete zu bezahlen und gleichzeitig zu studieren. Aber jetzt musste ich einen Job annehmen, den ich nur schwer finden konnte, und ich weiß nicht, ob ich Zeit haben werde, gleichzeitig zu studieren und zu arbeiten. Im August stand ich kurz davor, den Master-Studiengang abzubrechen.“

Einer von sechs jungen Menschen weltweit, die vor Beginn der Pandemie arbeiteten, hörte ganz auf zu arbeiten, und die durchschnittliche Arbeitszeit wurde reduziert. Die Jugendarbeitslosigkeit im Spanischen Staat liegt nun bei 40 Prozent. Die mit dieser Arbeitszeitverkürzung verbundene Einkommensverringerung hat sich in den Taschen vieler Studenten bemerkbar gemacht, die sich entscheiden, das Studienjahr abzubrechen.

Das katastrophale Management der Pandemie, das die Arbeiter:innenklasse im Stich gelassen hat, vertreibt jene Studierenden von den Hochschulen, die während der letzten Krise nicht vertrieben wurden. Die IAO stellt ferner fest, dass diejenigen, deren Ausbildung oder Arbeit unterbrochen wurde, doppelt so häufig an Angststörungen oder Depressionen leiden würden wie diejenigen, die ihre Tätigkeit fortgesetzt haben.

Carmen ist eine 24-jährige Studentin aus der Region Asturien, die bis vor wenigen Monaten in Madrid lebte. Sie studierte für einen Abschluss an der UNED (eine Fernuniversität), wo sie keine großen Schwierigkeiten hatte. Jedoch fiel es ihr schwer, Arbeit und Studium an der privaten Universität, an der sie zwei Kurse belegte, miteinander zu verbinden.

Sie weist jedoch darauf hin, dass ihre spätere Arbeitssituation der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte:

Die Pandemie begann mich psychologisch zu beeinflussen, als die Ausgangssperre aufgehoben wurde und wir raus gehen konnten. Es war sehr frustrierend, keine Arbeit zu finden und nicht zu wissen, was mit mir und meiner Zukunft geschehen würde. Als ich im Juli nach Asturien zurückkehrte, begann ich noch bedrückter zu sein. Ich bin bedrückt von der Situation, in der ich mich befinde, weil es keine Arbeit für die Dinge gibt, auf die ich mich spezialisiert habe.

Im Laufe der Zeit wurde ihre Beklommenheit zu etwas anderem: „Ich habe Angststörungen. Ich bin ständig in Alarmzustand und muss mich sehr stark konzentrieren, um nicht in eine Krise zu geraten. Gerade heute Morgen bin ich mit Beklemmung aufgewacht. Tatsächlich hat mich die Angst aufgeweckt.”

Die Beschränkungen wirkte sich auch auf die Qualität des Studiums und die psychische Gesundheit von Paloma aus, einer Studentin, die gerade ihren Abschluss an der UAM (Autonome Universität Madrids) absolviert und darauf hinweist, dass die Universität nur Barrieren für Studierende errichtet hat: „Generell bin ich der Meinung, dass sich die Universitäten nicht an das Modell der Onlinekurse angepasst haben und uns mit Arbeit überlastet haben“.

Carmen weist auch darauf hin, dass ihre Prüfungen bei der UNED schwieriger waren als üblich, und für Vicente war das Bildungsmanagement mit dem Drama der Pandemie selbst vermischt. Das Doktorandenprogramm und der Wettbewerb um die Stipendien waren derart, dass er, als es ihm gelang, Zeit für seine Forschungen zu finden, feststellte, dass er blockiert war: „mit der Ungewissheit, den täglichen Fallzahl [an Corona-Infizierten] wurde mir klar, dass ich, wenn ich ein Buch in die Hand nahm, nicht mehr lesen und auch nicht mehr schreiben konnte“.

Andererseits stellte jeder dritte von der IAO befragte junge Mensch fest, dass sein Recht auf öffentliche Teilhabe erheblich untergraben wurde. Julia, die im vergangenen Jahr Vertreterin ihrer Klasse war und immer noch ist, schreibt uns. Sie weist darauf hin, dass die Verwaltung an der UAM „katastrophal“ gewesen sei: „Wir wurden überhaupt nicht befragt. In der Sitzung, in der wir unsere Ideen einbringen und unsere Meinung äußern sollten, ging es nur darum, uns die Maßnahmen mitzuteilen, die sie bereits ergriffen hatten, ohne die Studierenden zu berücksichtigen. Maßnahmen, die wie ein Witz erscheinen und die nicht einmal einen ersichtlichen Grund haben. Niemand hat uns bisher erklären können, warum unser großer Rasen unter freiem Himmel kein guter Ort ist, um Zeit zwischen den Kursen zu verbringen.“

Obwohl die Kritik an den willkürlichen Maßnahmen der UAM Konsens unter den Studierenden zu sein scheint, wie die rasante Verbreitung mehrerer Kritiken in sozialen Netzwerken zeigt, ist für Julia das Schwierigste an diesem Kurs die Trennung von ihren Freund:innen nach sechs Monaten, in denen es schwierig war, ihr soziales Leben aufrechtzuerhalten; ebenso wie die fehlende Planung an der Universität, die nicht klarstellt, wie die Fernlehre ablaufen wird:

Beklemmung, Stress und Depression sind im Moment die Säulen meines Lebens. Alles Schlechte verstärkt sich mit dem Beginn eines Semesters, von dem wir nicht wissen, wie es verlaufen wird und die eine Spaltung erzeugt, die mich von all meinen Freund:innen trennt. Ich bin im vierten Jahr. Ich werde nicht in der Lage sein, das Pensum gut abzuschließen, und wir werden kaum ein Universitätsleben haben.

Carmen fügt hinzu, dass es keinen Sinn macht, dass die Universitäten ihre Lehrstunden reduzieren, jedoch von den Studierenden genau die gleichen Gebühren verlangen: „Ich finde es nicht fair, genau das Gleiche zu bezahlen, wie einige Freund:innen von mir, die noch studieren, um einen Tag in der Woche zum Unterricht zu gehen und auch noch für eine Wohnung in Madrid zahlen zu müssen“.

Angesichts dieser ganzen Situation, die sich eindeutig sehr negativ auf junge Menschen auswirkt, findet Cecilia es „empörend“, dass die Regierung junge Menschen für die Pandemie verantwortlich macht:

Sie versucht, die Zunahme der Ansteckungen mit einer Frage der individuellen Verantwortung zu erklären. Seit Januar bin ich nicht feiern gegangen, aber ich musste in der Hauptverkehrszeit viele Male die U-Bahn nehmen, um zur Arbeit zu fahren. Ich glaube, man gibt uns die Schuld, um die wirkliche Ursache für die Zunahme der Infektionen unbeachtet zu lassen: dass die Unternehmen die Sicherheitsmaßnahmen nicht einhalten, dass wir jungen Leute prekäre und unsichere Arbeitsplätze haben und dass diejenigen von uns, die schwarz arbeiten, nicht aufhören können, zur Arbeit zu gehen, wenn sie krank sind, weil wir von etwas leben müssen.

Sie stimmt Julia zu, dass es inakzeptabel ist, dass Maßnahmen, die darauf abzielen, jeden Kontakt zwischen den Studierenden zu vermeiden, normalisiert werden, und weist darauf hin, dass „sie eher dazu dienen, uns daran zu hindern, uns zu organisieren, als dazu, eine Ansteckung zu vermeiden“.

Aber die Angst und Depression, die junge Menschen empfinden, ist nicht – wie uns die neoliberale Kultur des Leistungsdrucks zu verkaufen versucht – ein individuelles Problem, das aus persönlichem Versagen resultiert und das durch „Mentalitätswechsel“ gelöst werden kann. Es ist eine natürliche Reaktion auf eine kontinuierliche Verschlechterung der Lebensbedingungen, auf die Notwendigkeit, sich an ein kriminelles System anzupassen, das auf Schnelligkeit, Produktivität und mangelnder Empathie gegenüber anderen beruht. Das einem sich dabei der Magen umdreht, ist nicht nur ein Symptom von Gesundheit, sondern ein erster Schritt zur Untergrabung der mörderischen Logiken des Kapitals, die sich gerade in dieser Krise als rücksichtslos erwiesen haben.

Unsicherheit und mangelnde Zukunftsaussichten sind auch nicht Teil einer natürlichen Ordnung, die wir akzeptieren müssen, wie es uns die Regierungen glauben lassen wollen, in der „wir alle Opfer bringen müssen“. Die Arbeiter:innenklasse und die Jugend können keine Opfer mehr bringen, denn was auf dem Spiel steht, ist ihre Gesundheit und ihr Leben. Die Pandemie ist eine Katastrophe, aber der drastische Rückgang der Einkommen ist das Ergebnis politischer Entscheidungen. Wir müssen Unsicherheit und Angst in Wut verwandeln, uns organisieren und auf jede Entscheidung reagieren, die uns noch mehr von unserer Zukunft wegnehmen will.

Die Jugend der Frauenstreiks, von Fridays For Future, von Black Lives Matter und von den Aufständen in Chile, sowie der Rest der Jugend, die sich gegen das System auflehnt, darf nicht in Verzweiflung leben. Aus diesem Grund ermutigen wir die Jugend, sich mit uns zu organisieren. Schreibt uns, um uns zu berichten, wie die Rückkehr in den Unterricht für euch verläuft und welche Maßnahmen eurer Meinung nach ergriffen werden sollten. Schaffen wir Räume für studentische Debatten und denken wir gemeinsam weiter darüber nach, wie wir diesem Kapitalismus, dem wir nichts zu verdanken haben, entgegentreten können.

Dieser Artikel erschien zuerst am 14. September auf IzquierdaDiario.es.

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